Sie fuhren weiter nach Norden. Durch Regen und stürmischen Wind vergrößerte sich der Abstand zwischen den Schiffen mehr und mehr. Am folgenden Abend musste Horik feststellen, dass Arngrims Boot deutlich zurückgefallen war. Der König wollte auf den Nachzügler warten und wies seine Männer an, das Nachtlager früher als sonst aufzuschlagen. Jetzt war der Moment gekommen, an dem Ragnar Gelegenheit bekam, mit dem König über Arngrims möglichen Angriff auf Straumfjorður zu sprechen. Außerdem musste er dem Herrscher eine Antwort auf dessen Angebot geben. Sollte er Horiks Tochter zu seiner Hauptfrau machen?
Ragnar hatte lange überlegt. Doch wegen Arngrim war ein langes Gespräch mit dem König noch vor ihrer Ankunft unumgänglich und wer war er, dass er die Hand von dessen Tochter zurückweisen durfte? Ähnlich hatte es auch Santór gesehen, dem er seine Möglichkeiten und auch seine Zweifel vorgetragen hatte.
›Ein Mann sollte viele Söhne haben‹, hatte der Franke ihm geraten. ›Wenn Ihr ein Weib habt, das seiner wichtigsten Pflicht, Euch Kinder zu schenken, nicht nachkommt, solltest Ihr Euch nach einer anderen Frau umsehen. Seid nicht dumm, Jarl Ragnar! Man wird Euch kein zweites Mal die Hand einer Königstochter antragen.‹
Wenn er ehrlich war, sah der Jarl das ebenso. Horiks Tochter würde früher oder später einem anderen Mann gegeben werden, sollte er deren Hand ablehnen. Dann jedoch wäre auch sein Status an der Seite des Königs erneut unsicher. Und es war gut, einen ihm wohlgesonnenen König nach Straumfjorður zu bringen, egal, wie dort die Dinge standen.
Ragnar füllte ein Horn mit Met und gesellte sich zu Horik und Erik, die bereits einen Platz am Lagerfeuer eingenommen hatten. Auf den Hügeln oberhalb des Strandes und auch auf den Schiffen hielten Teile der Mannschaften Wache, während andere an benachbarten Feuern zusammensaßen, aßen und tranken.
Ragnar überreichte seinem König das Horn und folgte dessen einladender Handbewegung, sich an den Speisen zu bedienen, die auf einem langen Holzbrett neben dem Feuer aufgetragen worden waren.
»Iss und trink, mein Freund!«, forderte der König ihn auf. »Und dann erzähl uns von dem Brand in deiner Siedlung und wie weit ihr mit dem Aufbau seid. Hat Arngrim euch dabei unterstützt?«
Die Erwähnung des Nachbarn kam Ragnar gerade recht und so berichtete er nicht nur vom Fleiß seiner Leute, sondern auch von den seltsamen Begebenheiten, die in Moseby vor sich gegangen waren und welche Vorkehrungen er für einen möglichen Überfalls durch den unberechenbaren Nachbarn er getroffen hatte.
Selten hatte der Jarl seinen König so unbeherrscht fluchen hören. Zwar hatte Ragnar mehrfach betont, dass es ihm an stichhaltigen Beweisen noch mangele und er keine voreiligen Schlüsse ziehen wolle. Doch Horik war kein dummer Mann und so sah auch er, was den anderen Zuhörern ebenfalls klar war: Mit dem Wissen um Arngrims Pläne stand dessen Handeln plötzlich in einem völlig anderen Licht da. Dass er die Nähe zu seinem König suchte und Ragnar, wann immer es ging, in den Schatten zu stellen versuchte, konnte durchaus dazu dienen, die Nachsicht des Königs zu erlangen, sollte sein Angriff gelungen sein.
»Wie viele Männer hast du noch in Straumfjorður?«, forschte Horik nach. Als Ragnar ihm antwortete und auf seine Schildmaiden verwies, die die Kämpfer unterstützen würden, nickte der Herrscher nachdenklich.
»Mit meinen und Eriks Getreuen sind wir genug Fäuste, um Arngrim zur Rechenschaft zu ziehen. Es wird auf meinem Land keine Rangkämpfe zwischen Nordmännern geben, solange ich der Herrscher bin.«
Er redete sich in Rage. »Wir werden ein Zeichen setzen, dass alle allzu Gierigen und Zwieträchtigen sofort zur Ruhe bringen wird, verlass dich darauf!«
Erik seufzte. »Wir sollten zunächst nach Straumfjorður gehen und nachsehen, was wirklich geschehen ist. Vielleicht hat es gar keinen Angriff gegeben und Arngrims Männer haben auf ihre Vernunft gehört. Vielleicht haben deine Spione, Ragnar, auch nur die Träumereien einer bierseligen Nacht für bare Münze genommen. Ich würde nicht vorzeitig urteilen und Arngrim schon als Täter bezeichnen, wenn ich den Schaden noch nicht sehen konnte.«
Ragnar nickte. »Das ist auch mein Vorschlag. Das Wohl Straumfjorðurs und meiner Leute liegt mir am Herzen. Lasst uns zuerst sichergehen, dass alle wohlauf sind und unsere Häuser und Hallen noch stehen. Dann können wir hören, ob es tatsächlich Handgreiflichkeiten mit Moseby gegeben hat. Bis dahin werde ich niemanden beschuldigen – selbst dann nicht, wenn ich annehmen muss, dass er mir einen Manneslego auf den Hals gehetzt hat.«
Horik sah zwischen den beiden Anführern hin und her. »Ihr habt recht. Es ist eine schwere Anschuldigung, die wir gegen Arngrim erheben. Lasst uns also Zeugen hören, die wissen, was sich während unserer Abwesenheit ereignet hat. Doch so wie ich die Dinge sehe, kann es durchaus einen Zusammenhang zwischen Arngrims möglichen Verrat und dem Angriff auf Ragnar geben. Wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein.« Mutwillig grinste der Herrscher über die Flammen zu seinem besten Verbündeten. »Ich will doch meinen angehenden Schwiegersohn nicht verlieren, noch bevor ich ihm standesgemäß die Hand meiner Tochter übergeben habe, nicht wahr?«
Ragnar neigte den Kopf ehrerbietig vor Horik und machte eine Geste des Dankes. »Ich kann es kaum erwarten, eure liebliche Birthe kennenzulernen und sie in mein Heim zu geleiten. Es wird mir eine große Ehre sein!«
Horik lachte. »Das mein Freund, denke ich auch. Sorgen wir dafür, dass Birthe eine angenehme Heimat und kein niedergemachtes, verkohltes Dorf ohne Einwohner vorfindet.« Er räusperte sich. »Wenn es aber zum Äußersten gekommen und Straumfjorður gefallen ist, stehe ich mit allen meinen Männern hinter dir und werde dir zu einer angemessenen Rache verhalfen. Odin sei mein Zeuge!«
Der König goss einen gehörigen Schluck Met ins Feuer, um die Rechtmäßigkeit seines Eides zu bezeugen und die Männer schwiegen. Was die kommenden Tage bringen würden, war sehr ungewiss. Selbst der König fühlte ein Unwohlsein, wenn er daran dachte, einen Gefolgsmann strafen zu müssen, der seine Eidespflichten so veruntreut hatte.