Nur sehr widerwillig folgte Sally den beiden leicht bekleideten Frauen, die sie in die Badestube führen sollten.
Als Lani die Tür zur Küche hinter sich schloss, drehte sie sich zu Sally um. „Ich weiß, am Anfang wird es schwer sein. Mir ging es auch nicht anders als dir", sagte sie zu ihr. Sie ergriff ihre Hand und drückte sie freundschaftlich. „Das wird schon werden, glaub mir. Du gewöhnst dich schneller daran als du denken magst“, versuchte sie Sally zu trösten. Dann wandte sie sich um und ging weiter den langen Flur entlang.
Während Sally Lani und Sabrin folgte, sah sie sich genau um und merkte sich jede Tür, die sie passierten. Sabrin erklärte ihr, die Räume hinter den Türen wären dazu gedacht, den Mädchen des Hauses einen Rückzugsort zu bieten, wenn sie die Freier bedienten. Das wäre das einzig Gute daran, unter der Obhut eines Hurenwirtes zu arbeiten. Andere Dirnen, die ihre Kunden auf der Straße oder in dunklen Ecken bedienen mussten, hätten ein viel schlimmeres Los. Da käme es schon mal vor, dass einer ohne zu bezahlen von dannen ging oder das Mädchen gleich in die ewigen Jagdgründe schickte. Sally bekam eine Gänsehaut, als sie das hörte. So hatte sie sich ihr weiteres Leben nicht vorgestellt. Sie nahm sich vor, so schnell wie möglich von diesem elendigen Ort zu fliehen.
Während Sabrin vor Sally in Richtung Badestube ging, erklärte sie ihr die weiteren örtlichen Begebenheiten des Hauses. In der oberen Etage allerdings wären die Unterkünfte der Mädchen, die hier arbeiteten. Dort wäre auch ihre Schlafstatt. Sie zeigte auf die erste Tür, gleich oben neben der Treppe. „Da gehen wir nachher hoch“, sagte sie zu Sally. „Aber erst einmal müssen wir dich wieder hübsch machen. Du brauchst unbedingt ein Bad und neue Kleidung. So können wir dich nicht die Freier empfangen lassen. Dein Haar ist auch verfilzt.“ Sabrin redete und redete ohne Unterlass.
Ab und an hörte Sally hinter den verschlossenen Türen leises Stöhnen. Im Haus schienen doch mehr Menschen zu sein, als sie angenommen hatte. Sie errötete schamhaft, wenn sie daran dachte, was dort gerade geschieht. Bald würde auch sie in solch einem Raum den Freiern ihre Dienste anbieten müssen. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich einem Mann hingeben zu müssen, den sie nicht liebt. Sehnsüchtig dachte sie an Sir Selwyn, der ihr so glühende Blicke zugeworfen hatte, dass es ihr ganz warm ums Herz wurde. Warum nur hatte sie nicht auf die warnenden Worte ihrer Freunde gehört? Was Selwyn jetzt wohl gerade tat? Schnell wischte sie die sehnsüchtigen Gedanken weg, zu schmerzhaft war die Erinnerung an ihn.
Sabrin, die nun stehen geblieben war und Sally entgegenblickte, lächelte leicht, als sie die aufziehende Röte der Neuen bemerkte. „Daran gewöhnst du dich schnell“, meinte sie lächelnd und öffnete eine Tür. „Komm jetzt, wir sind da“, sagte sie und zog den Neuankömmling in den dahinter befindlichen Raum. „Lani, du trödelst schon wieder. Mach endlich. Aelfric wird wieder böse, wenn wir uns nicht beeilen. Wir haben schon genügend gebummelt.“
Neugierig sah sich Sally um. Im Raum war es warm. Auf einer Feuerstelle standen einige Töpfe, in denen heißes Wasser brodelte. Der Dampf schwebte durch das ganze Zimmer und trübte ihnen die Sicht. Ein Badezuber stand bereits mitten in der Kammer. Auf Leinen, die von einer zu anderen Wand gespannt waren, hingen nasse Kleidungsstücke und Laken.
„Hilf mir, das heiße Wasser einzugießen“, bat Lani Sally, die sofort mit zufasste und den schweren Kessel in den Zuber ausschüttete. Wie aus heiterem Himmel freute sie sich auf das Bad. Sie fühlte sich schmutzig und besudelt. Es dauerte nicht lange und Sally konnte sich im heißen Wasser entspannen. Als sie ihr zerrissenes Nachthemd auszog, stießen ihre beiden Begleiterinnen entrüstete Schreie aus. Sallys Körper war mit blauen Flecken und Schrammen übersät.
Erschrocken sah Sally an sich herunter. Ihre Brüste zierten Flecken, die eindeutig harten Händen zuzuschreiben waren. Auch an den Oberarmen und den Oberschenkeln waren unzählige Kratzer zu erkennen.
„Oh weh, das sieht ja schlimm aus“, jammerte Sabrin herzerweichend. „Welch Grobian hat dich so zugerichtet. Das wird deinen Freiern nicht gefallen.“
„Halb so schlimm“, versuchte Sally sie zu beruhigen. „In ein paar Tagen wird davon nichts mehr zu sehen sein. Was denkst du, wie der Kerl nach der Schlägerei mit dem Hurenwirt aussah, der mich so zugerichtet hat.“ Dabei grinste sie verschmitzt, obwohl sie die Erinnerung an diese Szene keineswegs zum Lachen reizte.
„Unter deinem linken Auge hast du auch eine Schramme, die sich langsam blau verfärbt“, sagte Lani, die Sally ihr Nachthemd abnehmen wollte. Sanft streichelte sie wie zum Trost über Sallys Wange. „Edwina wird dir nachher bestimmt zeigen, wie du das fast unsichtbar machen kannst.“
„Rodney hat mich geschlagen, als ich am Hafen entwischen wollte“, erzählte Sally. „Mich stört es nicht, wie ich aussehe. Also mach dir nicht zu viele Gedanken darum.“
„Aber mich stört es, wenn du so zugerichtet wirst. Keine Frau hat es verdient, von einem Hurensohn fast zum Krüppel geschlagen zu werden“, erwiderte Lani mit sorgenvollem Gesichtsausdruck. „Vor Rodney musst du dich in Acht nehmen. Der Kerl ist ein Grobian. Er nimmt sich alles, ob du willst oder nicht. Vor allem, wenn Aelfric nicht im Hause ist. Da spielt er sich auf, als wäre er der Hausherr und tyrannisiert alle. Sogar Edwina hat so ihre Probleme mit ihm“, warnte Lani noch. „Sieh zu, dass du niemals allein mit ihm bist und wenn doch, behalte ihn im Auge und bleibe nah an der Tür.“
„Hat er dich auch geschlagen?“, wollte Sally wissen.
„Geschlagen sehr oft, wenn ich mich vor seinen Zugriffen gewehrt habe. Aber er hat auch noch sehr viel Schlimmeres mit mir getan“, erwiderte Lani. Sie hob ihr Kleid und zeigte eine lange Narbe, die sich von ihrem Knie bis zur Hüfte nach oben zog. „Daran wäre ich fast verreckt“, spie sie angewidert aus. „Mit dem Messer wollte er mich massakrieren, weil ich ihm nicht ranlassen wollte. Ich konnte zwar noch ausweichen. Doch er erwischte mich trotzdem mit seiner Klinge. Zum Glück nur hier am Oberschenkel.“
„Du machst mir wirklich große Angst“, murmelte Sally, die von Lanis Erzählung eine Gänsehaut bekam.
„Lass ihm deine Angst nicht spüren. Er kann das riechen wie ein geifernder Bluthund“, mischte sich nun Sabrin ein. „Wenn wir damals Edwina und ihre Heilkunst nicht gehabt hätten, hätten wir Lani auf dem Schindacker verscharren müssen. Doch nun genug geschwatzt, ab in den Zuber.“
Sally tat, wie ihr geheißen und schon bald entspannte sie sich ein wenig. Sie wurde von oben bis unten eingeseift und abgeschrubbt. Mit geschickten Händen halfen ihr die beiden Frauen, ihr Haar zu waschen und auszuspülen. Dann halfen sie Sally aus dem Zuber und trockneten sie ab.
„Ah, ihr seid ja gleich fertig“, vernahmen sie plötzlich Edwinas Stimme, die von ihnen unbemerkt den Raum betreten hatte. In der Hand hielt sie ein blaues Kleid, das wohl für den Neuzugang gedacht war. Am Rocksaum, an Halsausschnitt und den Ärmeln war ein gelbes Band angenäht.
Sally erschrak vor Edwinas plötzlichem Auftauchen und bedeckte schamhaft ihre Blöße mit dem Leinentuch, das sie Lani aus der Hand riss.
Die Alte lachte. „Du musst dich doch nicht schämen. Du bist nicht das erste nackte Mädchen, das ich heute sehe“, meinte sie auf Sallys Reaktion. „Lass dich erst einmal anschauen. Wie ich sehe, müssen einige Wunden versorgt werden. Hässliche blaue Flecke hast du auch.“ Sie wandte sich zu einem Regal, auf dem einige kleine Töpfe standen. Einige davon nahm sie herunter und roch am Inhalt. „Da ist es ja“, sagte sie mehr zu sich selbst, stellte den Topf neben sich und suchte weiter. Nach einer Weile schien sie alles gefunden zu haben.
„Komm her, Mädchen“, forderte sie Sally auf. „Die Schrammen müssen wir behandeln. Wenn die sich entzünden, gnade uns Gott. Aelfric legt sehr viel Wert auf die Schönheit seiner Dirnen.“ Sie strich ein wenig von der Salbe auf die Wunden.
Anfangs brannte der Balsam wie Feuer auf Sallys Haut, heftig stieß sie die Luft aus und unterdrückte ihren Schmerzensschrei. Aber dann wirkte das Mittel und kühlte die wunden Stellen.
Nachdem Edwina fertig war, reichte sie Sally ein Kleid. „Zieh das an“, befahl sie ihr. Widerwillig zog Sally das Kleid über. Es roch nicht gerade wie frisch gewaschen, doch etwas Besseres schien es nicht zu geben.
„Das blaue Auge können wir gut mit etwas Tonerde kaschieren“, bestimmte Edwina und griff nach dem nächsten Topf, in dem sich ein hellbraunes Pulver befand. „Du musst nur aufpassen, dass du es nicht wegwischst“, ermahnte sie Sally, die darauf nur ergeben nickte. Ihr war es egal, wie sie aussah. In Kürze würde sie sowieso nicht mehr hier in diesem Sündenpfuhl sein. Bis dahin wollte sie sich ergeben, mitspielen und das Beste draus machen. Vielleicht würde es ihr sogar gelingen, heimlich ein wenig Geld vom Hurenlohn beiseite zu legen, ohne dass es Aelfric bemerken würde.
Nachdem Edwina Sally verarztet und sie das Kleid angezogen hatte, drängte die Frau sie zur Eile. „Komm, Mädchen. Dein erster Freier hat sich bereits angemeldet“, sagte sie zu ihr.
„Schon?“, erwiderte Sally ängstlich. Vor Aufregung und Furcht klopfte ihr Herz wie wild. Sie musste sich jucken, der grobe Wollstoff direkt auf ihrer nackten Haut kratzte unheimlich. Ein seidenes Unterkleid, wie sie es sonst trug, gab es nicht.
„Na was denkst du, Mädchen!?“, meinte Edwina lachend. „Aelfric ist gleich in die Wirtshäuser gegangen und hat seinen Neuzugang verkündet. Auch, dass du noch unberührt bist. Das zieht die Freier an wie Motten das Licht. Es gibt nicht jeden Tag eine noch Hure, die noch Jungfrau ist.“
„Aber ich bin doch gar nicht mehr unberührt!“, erwiderte Sally, empört über die Lüge. „Wie kann Aelfric so etwas behaupten?“
„Lass das mal meine Sorge sein. Und nun komm“, sagte Edwina barsch und ging voran. Als erstes wandte sie sich der Küche zu. Sally folgte ihr dorthin und beobachtete, wie Edwina in eine Hühnerblase etwas Schweineblut füllte.
„Hier, nimm das. Stecke das in dein… na du weißt schon was. So wird dein erster Freier nicht bemerken, dass er hinters Licht geführt wurde.“
„Ich soll was?“ Sally schaute die Puffmutter fragend an.
„Steck es in dein Loch. Stell dich doch nicht dümmer an als du bist!“, schimpfte Edwina aufgebracht. „Wenn dein Freier in dich eindringt, wird die Blase platzen und du wirst bluten, wie eine Jungfrau in der Hochzeitsnacht. Pass aber auf, dass das Zeug das Laken nicht zu sehr versaut. Leg vorher noch ein weiteres Laken drunter.“ Sie griff nach Sallys Hand und führte sich nach draußen. „Hier, das wird dein Raum sein, wenn du Freier empfängst“, erklärte sie und öffnete eine der Türen im langen Flur. „Du teilst ihn dir mit Sabrin. Wenn sie Kunden empfängt, hältst du dich in der Küche auf und gehst mir zur Hand.“
Sally spähte in die schäbige Kammer hinein. Sehr anheimelnd sah das eher dunkle Loch nicht aus. Die Fensterluke war noch geschlossen und ließ nur wenig Licht durch. Es roch muffig wie in einem feuchten Keller. In der Mitte war ein recht breites Bett mit vier massiven Pfosten aufgestellt, auf dem unordentlich ein paar Laken lagen.
Langsam ging Sally darauf zu und sah sich um. Sie besah sich die Stelle, an der sie ab sofort so oft es ging, Sündhaftes tun musste. Wenigstens waren die Laken sauber und der Strohsack darunter schien nicht modrig zu sein. Auf einem Regal standen einige Tiegel mit unbekanntem Inhalt. Was dort drinnen war, würde sie später erkunden. Eine paar Kohlestücke lagen daneben.
„Ach ja, das Zimmer kostet am Tag einen Pence. Dein Bett oben im Gemeinschaftsschlafraum in der Woche zwei Pence, die Kost am Tag einen halben Pence. Die Miete für den Schlafraum zahlst du wöchentlich, das Essen und die Zimmermiete täglich. Außerdem musst du alles abgeben, was du von den Freiern an Lohn bekommst, auch Geschenke“, bekam Sally noch erklärt. „Das tust du so lange, bis du deinen Kaufpreis, den Aelfric für dich gezahlt hat, abgegolten hast. Aber wage es ja nicht, uns hinters Licht zu führen. Wir kontrollieren täglich deine Einnahmen. Wenn du einmal nicht genug eingenommen hast, wird das vermerkt. Du zahlst das dann am nächsten Tag. Also sieh zu, dass du immer genug verdienst. Baden ist einmal in der Woche, Sabrin wird dich einweisen. Wäsche waschen kannst du, nachdem gebadet wurde. Halte deine Sachen in Ordnung. Solange du abzahlen musst, wirst du dir keine neuen kaufen können.“
Sally wollte protestieren, doch sie wurde erneut von Edwina unterbrochen. „Mach dich nun fertig. Dein Freier wird gleich hier sein. Und stell dich nicht zu dumm an, das mögen unsere Kunden nicht.“
Lani und Sabrin, die an der Tür standen, sahen Sally aufmunternd an. Sie erkannten die Scham, die ihre neue Freundin empfand. Doch leider ging kein Weg daran vorbei, den Freiern zu Willen zu sein, wenn sie hierbleiben und überleben wollte.
„Dürfen wir ihr helfen, sich vorzubereiten?“, wagte Sabrin zu fragen.
„Dann macht. Zeigt ihr alles. Aber danach schnell an eure Arbeit. Heute wird viel Betrieb sein“, meinte Edwina nur. „Und du, mein kleines Täubchen, denk an meine Worte, wenn du den ersten Freier bedienst. Stell dich nicht zu dumm an, sonst gibt es gewaltigen Ärger“, sagte sie noch warnend zu Sally, ehe sie die jungen Frauen allein ließ.
Kurze Zeit später hörten sie Edwina in der Küche mit Osbert schimpfen, der sich wohl wieder heimlich an Aelfrics teurem Branntwein bedient hatte.