Im Schritttempo zuckelte der von einem Pferd gezogene Wagen mit den Reisenden über den Schotterweg, der durch die kleine Parkanlage zum Haus der Longbirds führte. Aus dem Stall, der etwas abseits stand, kam eben ein Knecht heraus. Er schob eine mit Mist beladene Karre vor sich her. Als er die ankommenden Personen bemerkte, blieb er stehen. Interessiert blickte er zu ihnen herüber. Erstaunt riss er den Mund auf, als er Sally erkannte. Er ließ alles stehen und liegen und rannte ihnen entgegen.
„Miss Sally! Seid Ihr das wirklich?“, stammelte Edward anstatt einer Begrüßung. Die Freude über die wohlbehaltene Rückkehr war ihm anzusehen. „Wer sind all die Leute?“ Er wies auf die Kinder, Edwina und Raimon. Dass ihm gar nicht zustand, solche Fragen zu stellen, kam ihn gar nicht in den Sinn. Er bemerkte nur, dass Raimon in seinen Augen recht imposant aussah in seinem leuchtend roten Hemd, den schwarzen Hosen und dem schwarzen Schlapphut. Ein so edler Herr in Sallys Begleitung verwirrte ihn ein wenig.
„Ich bin es wirklich, Edward“, erwiderte Sally und lächelte den Mann an. „Das hier ist mein Gatte Raimon“, stellte sie den Henker vor. „Daneben sitzt unsere liebe Edwina und das hier…“, sie zeigte auf die Kinder, „sind Faylynn, Travis und Barnet.“ Erneut lächelte sie den Knecht an. „Geh bitte und melde Mistress Genefa unsere Ankunft“, bat sie dann den Mann, der immer noch wie versteinert auf dem Weg stand und sie anstarrte.
„Sofort Mistress“, rappelte sich Edward endlich auf und rannte wie von Teufeln gehetzt davon. Aufgeregt betrat er das Haus durch den Dienstboteneingang und rannte in die Küche, um nach Mistress Genefa zu fragen. Doch die war schon dort, als hätte sie ihn bereits erwartet.
„Aber Edward, warum so eilig?“, tadelte sie den Knecht, der außer Atem vor ihr den Hut zog.
„Oh, Mistress“, erwiderte Edward, dabei heftig nach Luft japsend. „Ihr glaubt gar nicht, wer eben den Weg zum Haus hoch kommt!“
„Wir bekommen Gäste?“, Genefa war sogleich aufgeregt wie ein aufgescheuchtes Huhn. „Wer ist es? Wir haben gar nichts vorbereitet!“ Sie wandte sich an die Köchin. „Richte einen Imbiss, schnell! Die Gäste werden hungrig sein!“ Sie hielt inne. „Wie viele sind es? Edward! Nun sag doch was!“
„Drei Kinder und drei Erwachsene. Es ist…“
Genefa aber schnitt ihm erneut das Wort ab. Sie wandte sich an einer der Dienerinnen. „Sag den Zimmermädchen, sie soll die Gästezimmer richten. Wer so spät kommt, reist bestimmt nicht mitten in der Nacht wieder ab.“ Damit ließ sie ihre Bediensteten einfach stehen und eilte zur Haustür, um die unangemeldeten Gäste zu begrüßen und willkommen zu heißen.
Inzwischen hatte ein weiterer Knecht das Gespann übernommen und führte das Pferd am Zügel in den Stall. Das Tier folgte ihm, wohl in der Hoffnung, bald vor einer Raufe mit Heu zu stehen. Da Raimon und Sally nicht vorhatten, lange zu bleiben, sollte das Gepäck auf dem Wagen verbleiben, der unter der Überdachung für die Kutschen der Herrschaft abgestellt wurde.
Sally und Raimon standen nun vor dem großen Eingangsportal der Longbirds. Aufmunternd nickte der Scharfrichter seiner Gattin zu, die zögerte, sich bemerkbar zu machen. Die nahm ihren ganzen Mut zusammen. Ihr Herz hüpfte vor Aufregung. Wie Genefa wohl reagiert, wenn sie hier ohne Vorankündigung auftauchte? Das auch noch mit einem Ehemann, drei Kindern, die nicht ihre eigenen waren und einer alten Frau. Sally rang mit sich, anzuklopfen. Da wurde von innen die Tür geöffnet und ihre beste Freundin stand vor ihr.
Genefa riss die Augen auf, als sie die vermisste Sally erblickte. Erst brachte sie keinen einzigen Ton hervor. Doch dann begann sie vor Freude zu jauchzen. „Oh mein Gott, Sally“, kreischte sie und fiel ihr um den Hals. „Ein Wunder ist geschehen!“, flüsterte sie dann ergriffen, während sie der Freundin Küsse auf die Wangen gab. „Du lebst“, begann sie zu schluchzen. Tränen rannen über ihr Gesicht.
„Nun beruhige dich erst einmal, liebste Freundin“, sagte Sally und wischte Genefa mit dem Zipfel ihrer Schürze die Tränen weg. Sie nahm das Treffen gelassener als ihre Busenfreundin.
Genefa riss sich zusammen und streckte sich. Obwohl sie immer noch sehr aufgewühlt war über Sallys plötzliches Auftauchen, erinnerte sie sich an ihre Hausfrauenpflichten. „Was bin ich für eine Hausherrin, dich hier draußen stehen zu lassen“, schimpfte sie mit sich selbst. „Tritt ein, willkommen bei den Longbirds.“ Ihre Augen blitzten vor Freude. Erst jetzt bemerkte sie den großgewachsenen und gut aussehenden Mann an Sallys Seite. „Entschuldigt“, sagte sie zu Raimon. „Vor lauter Freude, meine beste Freundin endlich wieder zu sehen, vergaß ich meine gute Erziehung. Ich bin Genefa.“ Sie blickte Raimon fragend an.
Ehe Raimon seinen Namen nennen konnte, tat Sally dies. „Das ist Raimon, mein Gemahl“, sagte sie zu Genefa. Dann trat sie zur Seite und gab den Blick auf die hinter ihnen stehenden Personen frei. „Das sind Faylynn, Travis und Barnet. Und neben ihnen Edwina, unsere gute Seele.“
„Du bist verheiratet?“, fragte Genefa erstaunt. Obwohl Garrick Moore davon berichtet hatte, dass Sally und Raimon vorhatten, sich zu vermählen, wollte Genefa es nicht glauben. Erst wenn ihre liebste Freundin es ihr persönlich sagte, würde sie daran glauben. Gerade Sally, die sich immer gegen eine Vermählung gesträubt hatte, kam frisch, froh und als verheiratete Frau zurück. Erneut riss Genefa sich zusammen. „Kommt erst einmal herein. Wie unmöglich von mir, euch hier an der Tür stehen zu lassen.“ Sie gab die Tür frei und ließ sie eintreten. Während sie den Weg zum Salon einschlugen, wandte sie sich an Edwina. „Die Küche ist dort hinten. Unsere Köchin wird dir etwas zu essen geben und dann zeigen, wo du schlafen kannst“, sagte sie zu ihr.
Sally blieb stehen und räusperte sich. „Genefa! Ich bitte dich! Edwina gehört zur Familie. Sie ist keine Bedienstete! Wie kommst du darauf, sie wäre eine?“
Genefa errötete sogleich vor Scham. „Entschuldigt, Mistress Edwina. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Ich nahm an, Ihr wärt Mistress Sallys Dienerin.“ Krampfhaft versuchte sie ihren Fauxpas wieder gut zu machen.
„Schon gut, Kindchen.“ Sollte sie doch beleidigt sein, ließ sich Edwina nichts anmerken. „Aber sagt Edwina zu mir. Ich bin keine Mistress.“ Über das Gesicht der alten Frau huschte ein Lächeln, als sie Genefas Beschämtheit bemerkte.
Genefa wäre nicht Genefa, wenn sie sich nicht gleich wieder unter Kontrolle hätte. Resolut führte sie ihre Besucher in den Salon. Dort saß Rynard mit ihren drei Töchtern und las ihnen etwas vor. Als Genefa und die Gäste eintraten, legte er das Buch sofort beiseite und stand auf. „Entschuldige, ich habe nicht bemerkt, dass Gäste eingetroffen sind. Wer vermutet schon, dass um diese Zeit noch jemand kommt.“ Plötzlich stutzte auch er, als er Sally erkannte. „Sally!“, stammelte er ergriffen und umarmte sie stürmisch.
Das Prozedere ging wieder von vorne los. Sally stellte die anderen vor.
„Ihr seid also der berühmt berüchtigte Scharfrichter, der das Herz unserer Sally im Sturm erobert hat“, sagte er mit Bewunderung zu Raimon. Ein wenig neidisch betrachtete er die große und sehr imposante Erscheinung des Henkers. Aber dann riss er sich zusammen und bot allen Platz an.
„Elizabeth, geh bitte zu Miss Sabrin und bitte sie in den Salon“, wandte sich Genefa an ihre älteste Tochter. „Miss Adelaide soll ebenfalls kommen. Sie müsste bei Gideon sein. Sage aber bitte nicht, warum sie herkommen soll.“
„Sehr wohl, Mutter“, erwiderte das Mädchen und knickste artig. Es lief los, um den Auftrag auszuführen.
„Kaitelynn, Jocelyn, setzt euch zu mir“, sagte Genefa zu ihren anderen Töchtern, nachdem die Älteste gegangen war. Schüchtern kamen sie näher und nahmen neben ihrer Mutter Platz. Immer wieder äugten sie zum Sofa gegenüber, wo Raimons Neffen und seine Nichte artig neben Edwina saßen. Travis und Barnet schnitten ihnen Grimassen und Faylynn zwinkerte ihnen verschmitzt zu. Genefas Töchter grinsten zurück.
Endlich kam Elizabeth mit Sabrin und Adelaide. Wie versteinert blieben die Frauen stehen und starrten Sally und ihr Gefolge an. Während Sabrin zuerst zu sich kam, brach Adelaide in Tränen aus.
„Miss Sally, meine Miss Sally“, schluchzte sie immer wieder herzergreifend.
Sally nahm ihre ehemalige Zofe einfach in den Arm und ließ sie sich ausweinen. Über deren Schulter hinweg blickte sie zu Sabrin, die sie anlächelte und nicht wusste, was sie tun sollte. Doch ehe sie etwas zu ihrer Freundin sagen konnte, traten Raimon und Edwina zu ihr. Sally konnte nicht verstehen, was sie zu ihr sagten. Aber sie konnte sehen, wie Sabrin plötzlich erstaunt schaute und Raimon um den Hals fiel. Auch Edwina wurde geherzt und geküsst. Dann erst trat Sabrin zu ihr.
Adelaide hatte sich endlich beruhigt und schnäuzte ganz undamenhaft in ihr Taschentuch. Sie wischte sich die Tränen fort. Endlich lächelte auch sie. „Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, Euch jemals wieder zu sehen“, brachte sie dann hervor. „Aber als Mister Moore eines Tages aufgeregt angeritten kam und erzählte, er hätte Euch gesund und munter durch einen Zufall gefunden, fiel mir ein Stein vom Herzen.“ Erneut schluchzte Adelaide.
„Nun ist ja alles gut“, sagte Sally lächelnd. Sie wusste, ihre ehemalige Zofe war oft sehr nah am Wasser gebaut. Daher drang sie lieber nicht weiter auf das Mädchen ein, damit es nicht vollends die Nerven verlor.
Nun hatte Sally auch für Sabrin Zeit, die geduldig darauf wartete, dass sich Adelaide beruhigte. „Dass es dich hierher verschlagen hat, grenzt wohl auch an ein Wunder. Mister Moore und später Edwina erzählte mir, dass du vor Rodney nach Dilton Marsh geflohen bist“, sagte Sally zu Sabrin. Auch sie wurde fest gedrückt. Wohl etwas zu heftig, denn sie wehrte sich ein wenig gegen Sallys Umarmung.
„Jetzt, wo wir uns alle gebührend begrüßt haben, schlage ich vor, wir suchen uns jeder ein bequemes Plätzchen“, ließ nun Genefa von sich hören. Sie winkte ihre älteste Tochter erneut zu sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Mädchen nickte und ging zu ihren Schwestern. Denen wisperte sie ebenfalls etwas zu. Dann gingen alle drei zu Travis, Barnet und Faylynn. Letztere kam zu Sally und erbat die Erlaubnis, mit den Mädchen gehen zu dürfen. Sally nickte darauf. Die Kinder verließen gemeinsam den Salon.
„Wo gehen sie hin?“, fragte Raimon die Hausherrin.
„Meine Töchter nehmen sie mit nach oben ins Spielzimmer. Dort ist es für die Kinder interessanter als hier bei uns Erwachsenen still sitzen zu müssen. Später wird sich dann meine Zofe darum kümmern, dass die Kinder ihre Zimmer beziehen können“, erwiderte Genefa. „Ich nehme an, es ist recht, wenn die Jungen ein eigenes Zimmer bekommen. Die Kleine kann mit bei meinen Mädchen schlafen, wenn sie es möchte. Sonst wäre sie über Nacht allein in einem fremden Raum.“
„Es ist mir recht. Vielen Dank“, sagte Raimon daraufhin. „Wir wollen aber keine Umstände verursachen.“
„Für Freunde tue ich alles, damit sie sich in unserem Hause wohlfühlen“, meinte Genefa wohlgesonnen. „Ich bin so glücklich, dass Sally wohlbehalten zurück ist. Dass sie auch Ehemann, Kinder und noch jemanden anderen mitbringt, das erstaunt mich allerdings etwas.“ Sie wandte sich zu Sally und lächelte ihr zu. „Über letzteres sehe ich aber gerne hinweg, denn ich sehe, wie gut es ihr geht.“
„Liebste Freundin, das ist eine sehr lange Geschichte. Einen Teil davon wirst du bestimmt bereits von Sabrin gehört haben.“ Sally lächelte ebenfalls. „Sabrin scheint sich hier bereits gut eingelebt zu haben.“
„Das hat sie allerdings. Sie ist uns eine große Hilfe mit den Kindern. Die Bande ist kaum noch zu bändigen, seit Sabrin bei uns ist. Aber leider wird sie uns bald wieder verlassen“, wusste Rynard zu berichten.
„Das ist aber sehr bedauerlich. Ich dachte, sie kommt vielleicht mit uns nach Trowbridge. Edwina wäre das ganz bestimmt auch genehm“, sagte Sally. „Warum willst du uns verlassen? Gefällt es dir hier nicht? Ich hoffe sehr, du willst nicht wieder als Dirne arbeiten“, wandte sich Sally an die Freundin aus Exmouth.
Sabrin errötete stark, als sie an ihre Vergangenheit erinnert wurde. Am liebsten hätte sie dieses Kapitel ihres Lebens gestrichen. Aber leider ging das nicht. „Nichts, was du denkst“, sagte sie trotz allem zu Sally. „Ich werde nach London gehen.“
Sally schaute sie erstaunt an. „London? Warum gerade dorthin?“, fragte sie.
Sabrin wurde noch röter.
„Nun sag schon und spanne mich nicht auf die Folter. Foltern ist Raimons Angelegenheit und nicht deine!“ Alle Anwesenden lachten. Raimons Beruf schien zum Glück für Genefa und Rynard nichts Anrüchiges zu sein.
„Ich werde heiraten“, ließ Sabrin nun endlich Sally gegenüber die Bombe platzen.
Erfreut sprang Sally auf und umarmte die Freundin. „Wer ist denn der Glückliche?“, wollte sie wissen.
„Garrick“, wisperte Sabrin.
Sally schaute sie erneut fragend an.
„Garrick Moore, der Detektiv“, klärte Sabrin Sally auf.
„Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe“, sagte Sally, erfreut über die Wahl der Freundin. „Du hast eine gute Wahl getroffen. Mister Moore ist ein außergewöhnlich liebenswerter Mann“, lobte sie Sabrins Bräutigam. Dann erzählte Sally kurz vom Zusammentreffen mit Garrick. Ihre Stimme klang recht schwärmerisch, für Raimon fast zu schwärmerisch. Er hüstelte leicht.
Sally wandte sich um und lief zu ihm. „Du bist, obwohl Mister Moore schon sehr liebenswürdig ist, noch sehr viel liebenswürdiger und mein größter und stärkster Held“, schmierte sie ihrem Gatten Honig ums Maul. Raimon bekam einen roten Kopf. Solch eine Liebeserklärung bekam ein verheirateter Mann von seiner Ehefrau nicht jeden Tag.
Nachdem die Dienstmädchen einen Imbiss gebracht hatten, saßen sie noch plaudernd beisammen. Edwina, die der Tag sehr angestrengt hatte, gähnte hinter vorgehaltener Hand.
Genefa bemerkte die Müdigkeit der alten Frau. „Möchtet Ihr Euch gerne zurückziehen?“, fragte sie Edwina. „Ihr seid bestimmt sehr müde.“
„Wenn es nicht unhöflich erscheint, gerne“, erwiderte Edwina.
Die Hausherrin klingelte nach dem Dienstmädchen und trug ihm auf, Edwina ihr Zimmer zu zeigen und ihr behilflich zu sein. Es solle ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Danach solle es nach den Kindern schauen.
Edwina verabschiedete sich und wünschte allen eine gute Nacht. Wenig später kam das Dienstmädchen zurück und meldete, die Kinder lägen bereits schlafend in ihren Betten. Mistress Genefas Zofe hätte sich darum gekümmert. Die Mädchen lägen alle in einem Bett, die Jungen hätten über den großen Raum mit den hohen Fenstern zum Garten hinaus gejubelt. Auch Gideon, der kleinste von allen, würde nun endlich friedlich schlafen, nachdem er die Amme mit seinem Geschrei fast um ihre Geduld gebracht hätte.
Genefa bedankte sich und schickte das Mädchen hinaus. Die Dienstboten könnten sich nun auch zurückziehen, es würde nun niemand mehr benötigt, wurde ihm aufgetragen.
Rynard lächelte in die Runde. Er hatte sich leise mit Raimon unterhalten. Die beiden Männer schienen sich gut zu verstehen. Sally nahm es freudig zur Kenntnis. Aber dann verzog sie schmerzgepeinigt das Gesicht.
Ihre beste Freundin bemerkte es sofort und sprang auf. „Fühlst du dich nicht wohl?“, fragte sie besorgt. „Du Arme, was bin ich für eine Gastgeberin, die nicht sieht, dass ihre Gäste erschöpft sind. Ich zeige dir euer Zimmer. Verabschieden wir uns von den Herren und gehen wir zu Bett.“
„Das wäre wirklich nett. Ich bin so erschöpft, dass ich im Stehen einschlafen könnte“, erwiderte Sally. Sie verabschiedete sich von Rynard und gab Raimon einen Gutenachtkuss. Dann folgte sie Genefa hinaus, Adelaide und Sabrin wichen nicht von ihrer Seite.
„Ich nehme an, du bist schwanger“, sagte Genefa Sally auf den Kopf zu, nachdem die vier Frauen Sallys Zimmer betreten hatten. Sally nickte nur zustimmend. Sie war zu müde, um noch eine lange Diskussion zu führen. „Dann solltest du wirklich zu Bett gehen und dich ausruhen. Du siehst nicht gut aus“, sagte Genefa. „Ich mache mir große Sorgen um dich und das Kind.“
Adelaide wollte Sally, so wie sie es gewohnt war, beim Auskleiden helfen.
„Ich kann das selbst“, wehrte Sally lachend ab.
Die Zofe war ein klein wenig beleidigt über die Abfuhr. „Ich bin längst nicht mehr die verwöhnte Lady, die du von früher kennst. Du bist nun meine Freundin, nicht meine Zofe“, erklärte Sally ihr, worauf Adelaide nichts entgegnete. „Nun aber raus hier. Ich will zu Bett“, scheuchte Sally dann die Freundinnen hinaus.
„Klingle nach mir, falls du etwas benötigen solltest“, sagte Genefa noch zu ihr. „Ich werde gleich Morgen in aller Frühe nach Lord und Lady Kimberley und Sir Selwyn schicken. Sie sollen die Neuigkeit auch erfahren“, verkündete Genefa trotzdem noch. „Gerade Sir Selwyn wird sich freuen, dass du gesund und munter zurück bist.“
„Nach Sir Selwyn bitte nicht schicken. Ich erkläre es dir morgen“, wehrte Sally ab. „Jetzt bin ich einfach zu müde dazu.“
Genefa gab sich geschlagen, obwohl sie liebend gerne sofort gewusst hätte, warum Sir Selwyn nicht benachrichtigt werden sollte.
Erleichtert kleidete Sally sich aus, nachdem die Freundinnen endlich gegangen waren. Ihre Bauchdecke spannte sich schon wieder schmerzhaft. Jedoch beachtete sie dies nicht besonders. Sie schob es auf die Aufregungen des Tages. Kaum lag Sally im Bett, war sie auch schon eingeschlafen. Sie bemerkte nicht einmal, als Raimon eine Stunde später zu ihr kam und zu ihr unter die Decke schlüpfte.