Zusammengekauert wie ein Embryo lag Sally auf dem Bett und starrte auf die Tür, die Blake eben hinter sich zugeschlagen hatte. Tränen verschleierten Blick der gepeinigten jungen Frau. Ihr ganzer Körper schmerzte, vor allem die empfindliche Stelle zwischen ihren Beinen. Vorsichtig griff sie dorthin und befühlte die wunden Stellen. Schmerz, so heftig wie ein Blitz, durchzog sie, so dass sie erschrocken und stöhnend ihre Hand weg zog. Sie fühlte sich beschmutzt und wund. Sally konnte es nicht fassen, dass sie bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit auf schändliche Art und Weise benutzt wurde. Wie konnte das nur geschehen? Waren die Männer wirklich solche Monster, dass sie aus Spaß Frauen benutzten und quälten? Sie begriff es nicht. Dabei war sie vor gar nicht allzu langer Zeit noch im Kreise ihrer lieben Freunde, die sie alle ehrte und liebte.
Die junge Frau versuchte sich aufzusetzen. Doch der Schmerz, der sich von ihrer Mitte aus ausbreitete, war zu stark. So ließ sie sich wieder zurücksinken und zog die Decke über ihren Kopf. Nun flossen die Tränen noch heftiger. Einsam und verlassen verfiel Sally in Selbstmitleid.
„Ihr solltet nach Sally schauen“, sagte zur gleichen Zeit Edwina, die sich mit Sabrin und Lani in der Küche befand, zu den beiden Dirnen.
„Irgendwas stimmt da nicht“, erwiderte Sabrin. „Ich nahm an, Sally kommt sofort zu uns, nachdem ihr Freier gegangen ist.“
„Ich mache mir Gedanken um sie“, ließ nun auch Lani verlauten. Die Sorge um die Neue stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Komm, gehen wir nachschauen“, sagte sie zu ihrer Freundin und machte sich sogleich auf den Weg in die Kammer, in der Sally ihren ersten Freier empfangen hatte. Sabrin folgte ihr.
„Oh mein Gott“, schrie Lani entsetzt auf, als sie den Raum betreten und die arg zugerichtete Sally erblickt hatte. Sabrin trat hinzu, machte aber sofort auf dem Absatz kehrt, um zu Edwina in die Küche zu rennen. Hier war sofortige Hilfe nötig.
„Schnell, Sally ist schwer verletzt“, schrie sie der Alten entgegen und rannte zurück in die Kammer. Edwina schlurfte gemächlich hinterher. In ihrem Alter war man nun mal nicht mehr so flink wie ein junges Reh.
„Wir hätten sie mit diesem Monster nicht alleine lassen dürfen“, jammerte Lani herzerweichend. „Dieser Blake ist allgemein bekannt, Dirnen sadistisch zu quälen. Einfach so zu seinem Spaß. Aelfric hätte es auch wissen müssen. Aber der sieht wieder nur das Geld.“
„Jammern hilft hier nicht“, schimpfte nun Edwina, die endlich dazu gekommen war. „Du gehst in die Küche und machst heißes Wasser“, bestimmte sie und schickte die weinende Lani weg. „Und du“, wandte sie sich an Sabrin, „geh, hole saubere Leinen und meine Salben. Danach schicke ein Mädchen los, Aelfric suchen. Er soll sofort herkommen und sich die Bescherung ansehen.“
Als die Mädchen gegangen waren, setzte sie sich auf die Bettkante und strich Sally die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Armes Ding“, sagte sie beinahe zärtlich. Obwohl sie nie Mutter geworden war, hatte sie plötzlich mütterliche Gefühle für Sally. „Lass mich dich ansehen“, bat sie das Mädchen. „Ich muss sehen, wie schwer du verletzt bist.“
Sally schüttelte nur den Kopf. „Lass mich in Ruhe“, stieß sie hasserfüllt aus. „Du hast es garantiert gewusst, was dieser Mistkerl für einer ist. Und trotzdem hast du es zugelassen, dass er mich nimmt.“ Darauf wusste Edwina keinen Einwand. Sallys Worte waren wahr und sie selbst war genau so schuld an deren Schmerzen wie Aelfric.
„Ich bin ganz vorsichtig“, versprach Edwina. „Deine Wunden müssen versorgt werden, damit sie sich nicht entzünden. Ansonsten könnte es sein, dass du stirbst.“ Sie redete mit Engelszungen auf die Kranke ein, bis sie endlich nachgab.
„Oh weh, oh weh“, murmelte Edwina immer wieder vor sich hin. Es gab fast keine Stelle an Sallys Körper, die nicht von blauen Flecken und Wunden übersäht war. Zu den kleineren Verletzungen, die die Entführer ihr zugefügt hatten, waren noch unzählige mehr dazu gekommen.
„Ich muss dich auch unten untersuchen“, versuchte Edwina nach der äußerlichen Untersuchung Sally zu erklären.
„Bitte nicht“, begann diese erneut zu weinen.
„Es tut mir leid. Ich muss es tun. Wenn du auch dort blutest, kann das fatale Folgen für dich haben. Du könntest verbluten.“ Edwina musste ihre ganze Geduld aufwenden, um das Mädchen von der Wichtigkeit der Untersuchung zu überzeugen.
„Bitte Sally, es ist wichtig. Ich stehe dir bei“, versuchte nun auch Sabrin, die mit Leinen und den Salben zurück in die Kammer gekommen war. Auch sie sprach mit Engelszungen auf die Neue ein.
Sally wehrte sich noch einige Zeit, bis sie endlich nachgab und Edwina ihres Amtes walten ließ. Tapfer stand sie die Prozedur durch und war froh, als die alte Frau fertig war. Nachdem Sally gereinigt und verarztet war, konnte sie sich endlich ausruhen. Lani blieb bei ihr und bewachte ihren Schlaf.
Während Sally in der Kammer ihrer Genesung entgegen schlief, gingen Edwina und Sabrin in die Küche, in der ich inzwischen einige der anderen Mädchen versammelt hatten. Aufgeregt plapperten sie durcheinander, nachdem Edwina sie über den Vorfall mit der Neuen und deren ersten Freier informiert hatte.
„Dem gehört der Schwanz abgehackt“, schimpfte eine von ihnen.
„Nein, geteert, gefedert und gerädert, so ein Schwein“, warf eine andere ein. Alle redeten aufgeregt durcheinander, dass man kaum ein Wort verstehen konnte.
„Was ist hier los? Sind wir im Hühnerstall?“, schrie Aelfric gegen den Lärm der Mädchen an. Er war schnell in sein Hurenhaus geeilt, nachdem ihn eine seiner Dirnen ihn einer Spelunke am Hafen aufgespürt und berichtet hatte.
Abrupt waren alle still. „Also! Was ist hier los?“, wetterte Aelfric. „Edwina, mach endlich dein Maul auf!“, herrschte er seine Puffmutter an, da die Mädchen, starr vor Entsetzen, kein Wort hervorbrachten.
Edwina tat sich ein wenig schwer, von Sallys Verletzungen zu sprechen. Immerhin waren einige davon eine reine Frauensache, von der Männer keinen blassen Schimmer hatten. Trotzdem erzählte sie ihm haarklein. Aelfric hörte genau zu.
„Das gibt es doch nicht!“, schrie er aufgebracht, dass die Mädchen vor Schreck wie eine Schar Hühner auseinander stoben. „Da reitet mir dieser Hundsfott mein schönstes Pferd im Stall zunichte! Wie geht es ihr? Wie lange wird die Genesung brauchen? Wann kann sie wieder arbeiten?“ Aelfric sorgte sich, aber wohl mehr um das Geld, das Sally, während sie krank darnieder lag, nicht verdienen konnte. „Sag schon, wie lange?“, drängte er Edwina.
„Sehr, sehr lange“, gab die Frau Auskunft. „Sie hat auch innere Verletzungen.“
„So ein Mist! Wenn sie das Geld, das ich für sie gezahlt habe, nicht bald wieder reinbringt, muss sie gehen. Unnütze Fresser kosten nur Geld.“
Edwina starrte Aelfric entsetzt an. Auch die Mädchen, die sich im Flur erneut versammelt hatten, tuschelten entsetzt miteinander.
„Was kann Sally dafür, dass dieser Blake nicht an sich halten konnte. Er ist allgemein bekannt für seine sadistischen Spielchen. Ich sollte eher dir einen Vorwurf machen. Es ist deine Schuld! Du wusstest, dass Sally noch unbedarft war. Was musstest du sie auch gleich an den erstbesten Haderlumpen verschachern?“, schimpfte die Alte mit Aelfric, der die Tirade emotionslos über sich ergehen ließ.
„Halte dein Schandmaul, Alte. Kümmere dich lieber drum, dass die Neue schnell wieder auf die Beine kommt. Ich gebe dir eine Woche, keinen Tag länger!“, schrie der Hurenwirt Edwina an und stapfte erbost hinaus. Im Flur fand er den nächsten Stein des Anstoßes. „Raus mit euch! Aber dalli! Bringt Freier ins Haus! Verdient Geld!“, fuhr Aelfric die Frauen an. Dann verließ er die Herberge.
„Geht, geht endlich“, scheuchte Edwina die Mädchen auf, die wie erstarrt dem Hurenwirt hinterher sahen.
„Was wird mit Sally?“, fragte Sabrin ängstlich.
„Mach dir keine Sorgen um sie. Ich kümmere mich höchstpersönlich um sie“, versprach die alte Frau. „Und nun geht!“ Dabei fuchtelte sie mit den Händen, als würde sie einen Schwarm Fliegen verscheuchen.
Als alle aus dem Haus waren, ging Edwina zu Sally in die Kammer. Die junge Frau lag apathisch auf der Seite und starrte vor sich hin.
„Hey, Kleine“, sagte Edwina und setzte sich zu Sally auf das Bett. „Geht es dir besser? Soll ich dir etwas bringen? Ich habe Brühe aufgesetzt“, fragte sie. Die Sorge um die junge Frau stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Hm, ich habe keinen Hunger“, antworte Sally nur und zog die dünne Decke höher. Wie ein ängstliches Kind versteckte sie sich darunter. Eine Weile schwiegen beide. „Ich habe gehört, was Aelfric gesagt hat“, durchbrach Sally auf einmal die Stille. „Da kann ich gleich gehen. Ich will auf keinen Fall für ihn arbeiten, als Hure schon gar nicht.“ Trotzig sah sie Edwina an.
„Ich verstehe dich, Kleines“, erwiderte die Alte. „Welche Frau will schon als Dirne arbeiten. Aber denke mal nach. Wo willst du hin, so ohne Geld und ohne Schutz, ganz allein als Frau. Du wirst Freiwild sein für alle Vagabunden, Gauner oder sogar Mörder. Unsere Welt ist eine Männerwelt, in der eine Frau alleine untergeht.“
„Ist mir doch egal, Hauptsache weg von hier“, entgegnete Sally.
Edwina wusste keinen Rat mehr. „Werde erst einmal wieder gesund. Dann sehen wir weiter“, sagte sie zu Sally. „Schlafe noch ein wenig. Ich bringe dir nachher etwas zu essen. Danach schaue ich noch einmal nach deinen Wunden.“
„Mir egal“, knurrte Sally und drehte Edwina den Rücken zu.
Ratlos und kopfschüttelnd verließ Edwina die Kammer, um Sally Essen zuzubereiten. „Das wird schon“, murmelte sie dabei und versuchte, sich auf die Zubereitung der Mahlzeit zu konzentrieren.
Etwa zur gleichen Zeit in Genefas Longbirds Salon
Sallys Freundin hatte alle Verbündeten zusammen gerufen, um Neuigkeiten auszutauschen. Obwohl anfangs alle gegen die Einbeziehung von Lord Cedric und Lady Ophelia Kimberley waren, hatten sie sich letztendlich doch dafür entschieden. Keinesfalls konnten sie auf die Beziehungen verzichten, die Lord Kimberley in ganz England hatte. Auch er und seine Frau waren von Liliths Machenschaften schockiert und waren sich sogar recht sicher, dass Sallys unverhofftes Verschwinden auf Liliths Konto ging.
„Meine Lieben“, begann Genefa und sah in die Runde der um sie versammelten Freunde. „Gibt es Neuigkeiten in Sallys Angelegenheit?“
Alle schüttelten verzweifelt den Kopf.
„Sie ist wie vom Erdboden verschluckt“, sagte Sir Selwyn, dem Sally ganz besonders am Herzen lag. „Mit Lilith kann man auch nicht sprechen. Sie behauptet stur und steif, sie wüsste nicht, wo Sally ist.“
„Wir haben auch schon unsere Fühler ausgestreckt“, warf Lord Kimberley ein. „Ich habe Depeschen an all meine Geschäftspartner in ganz England geschickt und den Fall geschildert. Ich hoffe, alle werden die Augen offen halten und uns unterrichten, wenn Sally gesichtet wird.“
„Sehr gut. Vielleicht hilft uns das weiter“, entgegnete Genefa, froh über zwei weitere Mitstreiter in ihrer Runde.
„Irgendwo muss Miss Sally doch sein“, sagte Adelaide plötzlich. Das Mädchen war verzweifelt. „Sie kann doch nicht einfach weg sein, ohne eine Spur hinterlassen zu haben.“ Adelaide schniefte in ihr Taschentuch und tupfte sich die Tränen von den Wangen.
„Ach, Kleines. Wir dürfen nicht die Hoffnung verlieren“, versuchte Lady Ophelia Sallys Zofe zu trösten. Liebevoll tätschelte sie ihr die Hand.
„Vielleicht ist sie irgendwohin verkauft worden und wir finden sie nie wieder. Man hört so oft über ganz plötzlich verschwundene Mädchen, die nie wieder auftauchen. Oder noch schlimmer: Sie ist sogar schon tot.“ Adelaide redete sich in Rage, dass ihre Wangen zu glühen anfingen.
„Nun male mal nicht gleich den Teufel an die Wand“, bremste Sir Selwyn sie, obwohl er dieselben Gedanken hegte sie die Zofe. Er wagte es nicht einmal, die schlimmen Worte auszusprechen. Dass Sally irgendwo tot verscharrt lag, daran mochte er nicht denken. Sein Herz schmerzte, wenn er an die Tochter seines verstorbenen Jugendfreundes dachte. Er machte sich Vorwürfe, ihr seine Gefühle nicht gestanden zu haben. Da wäre sie jetzt bestimmt schon seine Gattin und in Sicherheit vor ihrer hinterhältigen Stiefmutter.
Einige Zeit ging jeder für sich allein in sich und überlegte, wie die Suche nach der Freundin weiter gehen könnte. Als erster hielt es Rynard nicht mehr aus, still auf seinem Stuhl zu sitzen. Rastlos schritt er im Salon auf und ab.
„Was ist mit dir? Du bist so unruhig. Kannst du nicht wie alle anderen auf deinem Platz sitzen bleiben?“, fragte ihn Genefa.
„Kann ich nicht, Liebes“, antwortete Rynard. „Mir ist eben eine Idee gekommen. Nur wie ich diese ausführen soll, weiß ich noch nicht. Es wird sich aber bestimmt eine Lösung finden. Eigentlich hat mich Lord Cedric drauf gebracht, als er von der Depesche an seine Geschäftsfreunde berichtete.“
„Nun sag schon, spann uns nicht zu sehr auf die Folter“, rief Genefa und sprang aufgeregt auf.
„Genau! Lass uns nicht dumm sterben“, sagte nun auch Sir Selwyn. Alle sahen Rynard neugierig an und hingen an seinen Lippen.
„Wie wäre es mit einem Detektiv?“, ließ Rynard nun die Bombe platzen. „Es gibt aber nur ein Problem.“
„Das wäre?“, wollte Genefa wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es für ihren Gatten ein Problem gab, das nicht zu lösen wäre.
Rynard schaute Genefa fest an, dann sagte er: „Geld, das liebe Geld. So ein Detektiv ist teuer. Woher so viel Geld nehmen, wenn nicht stehlen?“
„Also, wenn es nur das ist“, kam es wie abgesprochen gleichzeitig aus Lord Cedrics und Sir Selwyns Mund.
„Geld ist kein Problem“, sagte Lord Cedric. „Ich gebe gern welches dazu, um unsere Freundin zu finden.“ Er wandte sich an seine Gattin: „Nicht wahr, Liebes!“
„Aber natürlich! Für Sally tun wir das gerne“, gab ihm Lady Ophelia recht.
„Ich steuere auch welches bei“, gab Selwyn bekannt.
„Das ist ja…“, Adelaide wusste vor Staunen gar nicht, wie sie sich ausdrücken sollte. Erneut kamen ihr die Tränen. „Das ist ja genial“, schaffte sie es endlich, ihre Freude über so viel Anteilnahme auszudrücken.
Genefa riss wieder die Zügel an sich. „So ist dies nun eine abgemachte Sache?“, fragte sie. „Kennt jemand einen guten Detektiv?“
„Ich“, kam es sofort von Lord Kimberley. „Er ist zuverlässig und arbeitet sehr gut. Nicht nur einmal hat er in meinem Auftrag Erkundigungen über Geschäftskunden eingeholt. Ganz bestimmt wird er in unserer gemeinsamen Sache schnell Erfolge verzeichnen können.“
„Gut, dann machen wir das so“, ließ Rynard von sich hören. Alle waren einverstanden und Adelaide kamen schon wieder die Tränen. Diesmal vor Freude über so viele Freunde, die sich um Miss Sally sorgten.