https://www.deviantart.com/ifritnox/art/675017108
Stella Cantici, Schnellste aller Einhörner, treue Gefährtin der Weißen Wächter und insbesondere deren Anführerin Cary, starrte entgeistert auf den rauen Strick, den man um ihren Hals geschlungen hatte. Das grob gedrehte Seil war so eng, dass es an ihrem Hals scheuerte. Das Ende des Stricks war mehrfach um einen schlanken Baum geschlungen. Stella blieb nicht genug Freiraum, um den Kopf zu senken oder sich umzudrehen. Wenn sie ein paar Schritte zur Seite ging, konnte sie immerhin Caryellê sehen.
Die Elfe saß mit dem Rücken an einer breiten Tanne, die Nadeln der unteren Äste im dunklen Haar. Ihre sonst so ordentliche Frisur war jetzt durcheinander. Cary hatte die Knie vor die Brust gezogen und funkelte ihre Geiselnehmer aus dunklen Augen an. Neben Cary saß noch jemand, eine untersetzte, mollige Frau mit einem großen, dunklen Mal auf der Wange. Stella wusste dank der Aura, die die Frau ausstrahlte, dass es sich um eine dunkle Hexe handelte.
Warum dieses Wesen der Finsternis mit ihnen gefesselt war, war ein Rätsel für Stella.
Um sie her hatte die Gruppe, die sich so hochtrabend die „Kinder der Sonne“ nannte, ihr Lager aufgeschlagen. Ein dunkles Zelt erhob sich auf der kleinen Lichtung. Es hatte ein viereckiges Dach und war mit blutroten Bannern behangen, wie das Zelt eines Heerführers in der Armee. Allerdings war dieses Zelt sehr viel kleiner und bot vielleicht drei Personen gleichzeitig Platz. Es wirkte wie ein Kinderspielzeug, nachdem Stella unzählige richtige Zeltlager gesehen hatte.
Eine Seite des dunklen Zelts war offen und auf dem Boden hatte der Vampir eine Karte ausgebreitete. Fünf Sitzkissen, die nicht zueinander passen wollten, verteilten sich um die Karte. Im Moment war nur ein Kissen besetzt, das höchste, auf dem der Vampir zusammengesunken thronte und, das Kinn auf die Faust gestützt, die Karte studierte.
Die Werwölfin lag, erneut in Tiergestalt, einen Steinwurf entfernt von Stella und Cary. Ihre waldgrünen Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen. Der kalte Wind strich durch das gelockte Wolfsfell, das auf dem Rücken besonders lang war.
Es gab noch zwei weitere Zelte in diesem Lager, kleine, schmale Schlafplätze, die nur gegen Regen schützen sollten. Hinter diesen Zelten hatte sich der rote Drache zusammengerollt, den breiten Schädel auf den Vorderpfoten und die Flügel über den Kopf gezogen.
Die restlichen Mitglieder der seltsamen Gruppe, ein Magier, ein Inkubus und ein Nachtmahr, waren auf dem Schlachtfeld, das sich vielleicht eine halbe Fußstunde entfernt befand. Sie suchten nach verletzten Überlebenden, und Stella hoffte inständig, dass sie keine finden würden.
Stella warf Cary einen neuerlichen Blick zu. Die verschlossene Miene der Elfe gab keinen Gedanken preis, aber ihre dunklen Augen huschten zu Stella herüber. Ganz leicht zuckte ein Mundwinkel in die Höhe, zu einem schwachen, sarkastischen Lächeln. Dann bestand das elfenbeinfarbene Gesicht wieder aus jener undurchdringlichen Maske, die niemand durchschauen konnte.
Stella trat unruhig auf der Stelle. Sie hatte Angst davor, was diese Wesen mit ihr tun würden. Aber darauf zu warten, dass etwas geschah, war noch schlimmer. So hatte Stella Zeit, sich die furchtbarsten Szenarien auszumalen. Wie jeder hatte sie die Geschichten derjenigen Gefangenen gehört, die aus dem dunklen Reich geflohen waren. Keiner dieser Geschichten war schön, und dabei stammten sie noch von denen, die Glück gehabt hatten.
Aus dem Wald ertönte plötzlich das Knacken brechender Zweige und riss Stella aus den düsteren Gedanken. Die Wölfin spitzte die Ohren und sah in den Wald. Auch der Vampir richtete sich auf. Seine Hand flog zum Griff des schlanken Degens.
Es waren der Magier, der Inkubus und der Nachtmahr, die aus dem Wald kamen. Der Magier zerrte eine Gestalt ins Licht des Feuers, worauf Stella das Gesicht des vierten Mannes erkennen konnte.
Blut hatte Gesicht und Kleidung des Jungen gesprenkelt, seine Hände waren gefesselt. Er trug weiße Roben und hatte ein schmales, weiches Gesicht, blaue Augen und blonde, schulterlange Locken. Aus seinem Rücken erwuchsen zwei weiße Vogelschwingen, durch ein Seil um seine Körpermitte an seinen Rücken gefesselt.
Stella kannte den Engel nur flüchtig, aber Cary richtete sich auf, als sie ihn erkannte.
»Terziel!«
Er sah zu ihr herüber und zog ein unglückliches Gesicht.
»Alle anderen sind tot oder geflohen«, erklärte der Magier dem Vampir und senkte kurz den Kopf, bevor er Terziel in den Schlamm vor die Füße des Untoten schleuderte. Der Engel konnte die gefesselten Hände nicht mehr rechtzeitig hochreißen. Mit einem Stöhnen landete er Gesicht voran im Matsch.
»Merkanto!«, sagte der Vampir. Was wie ein Fluch klang, erkannte Stella nach einem kurzen Moment als den Namen des Magiers. Der Vampir bückte sich, um den Engel auf die Knie aufzurichten. Terziel scheute vor der Berührung zurück und spuckte aus, ohne den Vampir zu treffen.
»Bind ihn zu den anderen, und zwar ohne ihm wehzutun!«, befahl der junge Vampir ungerührt. Merkanto knurrte etwas, tat aber, wie ihm befohlen war. Stella sah zu Caryellê herüber, die den Vorfall mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet hatte. Jetzt sah sie wieder zu Stella und das Einhorn konnte die verborgene Verwirrung erkennen.
Man band Terziel neben Cary, sodass die Elfe zwischen der Hexe und dem Engel saß.
»Tut mir leid, Herrin. Ich wollte euch befreien«, hörte Stella Terziel sagen. Daran, wie die rote Wölfin die Ohren spitzte, sah Stella, dass auch sie es gehört hatte. Sie schnaubte nervös, aber schon sah die Wölfin den Vampir an.
Eine Sekunde herrschte Stille, als Terziel erschrocken über sich die Luft anhielt und der Werwolf offenbar ein wortloses Gespräch mit dem Vampir führte.
Der Vampir hatte ihnen den Rücken zugewandt und drehte sich jetzt langsam um, eine Augenbraue in die Höhe gezogen.
Terziel biss sich auf die Lippe und funkelte die Wölfin hasserfüllt an.
Der Vampir kam langsam näher und ging vor Cary in die Hocke. »Du bist die Anführerin der Weißen Wächter?«
»Ja!«, fauchte Cary und riss an ihren Sticken. »Und?«
Der Vampir streckte die Hand aus und Caryellê rückte so eng wie möglich an den Baumstamm zurück. Nach kurzem Zögern fasste der Vampir sie am Arm. Seine andere Hand schoss durch die Luft, so schnell, dass Stella ein leises Pfeifen hörte.
Cary keuchte auf und Stella wieherte entsetzt. Als Stella wieder hin sah, betrachtet Caryellê verwirrt ihre Hände. Sie war unverletzt, und bis auf die zusammengebundenen Füße frei.
»Was tust du da?«, zischte der Nachtmahr. Inzwischen hatte sich die ganze Gruppe um die vier Gefangenen versammelt, sogar der rote Drache kam langsam näher. Stella fühlte sich unwohl.
»Wir sind keine Monster, verstanden?«, erwiderte der Vampir heftig. »Das ist doch gerade der Sinn unserer Mission! Die Fesseln waren viel zu eng.«
Er beugte sich über Cary und band ihre Hände jetzt vor dem Körper zusammen. »Außerdem ist es auf Dauer schmerzhaft, die Arme auf dem Rücken zu haben.«
Niemand rührte sich, selbst Caryellê wirkte zu erschüttert, um etwas zu tun. Der Vampir nickte dem Zauberer zu, der sich einen Ruck gab und Terziels Fesseln ein wenig lockerte. Der Nachtmahr trat zu Stella und verlängerte den Strick, der sie hielt, ohne ihr nervöses Zurückweichen zu beachten.
Dann standen und saßen die jetzt etwas anders Gefesselten da und starrten den Vampir verständnislos an.
Der verneigte sich leicht. »Mein Name ist Iljan Raphaele Anarcén Deacon Taidoni. Iljan. Ich möchte um eure Hilfe bitten.«
Cary, Terziel und Stella starrten den Vampir an. Cary erholte sich als erste.
»Niemals!«, fauchte sie und Terziel versuchte nochmals, den Vampir anzuspucken. Die Wölfin sprang mit einem Knurren vorwärts und schnappte nach der Kehle des Engels, der sich entsetzt nach hinten warf.
»Jackie!«, rief der Vampir scharf. Mit einem drohenden Knurren trat die Werwölfin zurück, aber ihre grünen Augen fixierten den Engel noch.
»Ich kann verstehen, dass ihr Vorurteile habt«, sagte Taidoni in versöhnlichem Tonfall. »Wir haben uns auch nicht gerade unter den besten Bedingungen kennen gelernt. Aber vielleicht solltet ihr uns erst einmal zuhören, bevor ihr eine Entscheidung fällt.«
Schweigen schloss sich an. Nach einer Weile reckte Cary das Kinn. »Sprich!«
»Wir möchten ins Reich der Sonne, um dort zu leben«, verkündete Iljan. »Ihr werdet uns hinführen.«
Stella wieherte entsetzt. Cary und Terziel stemmten sich gleichzeitig gegen ihre Fesseln.
»Nur über meine Leiche!«, rief der Engel.
»Ihr werdet niemals dorthin kommen!«, zischt Cary.
Wieder knurrte die Wölfin wütend, und auch der Inkubus drängte sich vor.
»Sie werden uns nicht helfen. Schneiden wir ihnen die Kehlen durch, Iljan, allen vieren. Wir müssen nicht noch mehr Verräter mit uns schleppen!«
»Nein!«, entgegnete der Vampir so heftig, dass der Inkubus ein paar Schritte nach hinten machte.
»Nein«, wiederholte Iljan ruhiger. »Wir geben ihnen noch Zeit.«
In der Nacht konnte Cary keine Ruhe finden. Daran war weniger ihre missliche Lage schuld als das seltsame Verhalten ihrer zweifelhaften Gastgeber.
Während der Abend sich über das Land senkte, beratschlagten die dunklen Wesen im Zelt des Vampirs, die Stimmen gesenkt. Da Cary unmöglich ein Wort verstehen konnte, musste sie sich darauf beschränken, die Körpersprache der sechs zu analysieren.
Der Vampir, Taidoni, war unzweifelhaft der Anführer der Gruppe. Cary kannte den Namen Taidoni, der zu einem der ältesten Vampirgeschlechter der dunklen Seite gehörte. Sie hatten in unzähligen Kriegen gegen das Land der Sonne gekämpft und gehörten zu den höchsten Adeligen. Wenn einer aus dieser Familie eine geheime Mission führte, dann war es eine ernstliche Gefahr für Carys Heimat.
Der blonde Vampir hatte sich erneut über die Karte gebeugt und den Kopf nachdenklich auf die Faust gestützt. Der Ellbogen ruhte wiederum auf dem Bein, und der Vampir wippte leicht mit dem Knie.
Das rothaarige Mädchen, nach der Verwandlung völlig entblößt, hockte neben ihm auf den Knien. Wenn jemand die Stimme hob, entweder im Zorn oder im Scherz, dann war es eigentlich immer sie. Die Blicke, die sie dem Vampir zuwarf, hatten etwas hündisches. Caryellê betrachtete das Mädchen mit den wilden Locken abschätzig. Ein einfacher Geist, berechenbare Treue. Vermutlich würde sie alles für "ihren" Vampir tun.
Der Alp, dunkelhäutig und schwarzhaarig, sprach nur selten. Durch die Anmerkungen der anderen wusste Cary inzwischen immerhin, dass der Nachtmahr Abarax hieß. Er hatte stechende, gelbe Augen, die immer wieder misstrauisch zu den Gefangenen und über den dunklen Waldsaum schweiften, statt sich auf die Karte in der Mitte zu heften.
Cary misstraute dem Alp zutiefst. Er war wachsam. Und noch dazu beherrschte er die Kunst, seine Miene in eine undurchdringliche Maske zu verwandeln, ebenso gut wie Cary selbst. Was er dachte oder wollte, ließ sich kaum sagen.
Dann gab es Merkanto, den dunklen Magier. Cary sah an seinen bedachten, überkorrekten Bewegungen, wie viel Macht er besaß. Er schien zu fürchten, mit einem einzigen unbedachten Atemzug das Zelt in Brand zu stecken. Wie ein kleiner Junge zog er die Hände tief in die weiten Ärmel seiner dunkelblauen Robe. Es mochte daran liegen, dass er bereits ihr Leben gerettet hatte, aber von allen in der Gruppe schien er Caryellê der Freundlichste zu sein. Merkanto hatte ein schmales Gesicht, sein Bart endete am Kinn in einer Spitze und seine dichten Augenbrauen waren tief über die dunklen Augen gesunken. Seien Frisur zeichnete sich durch zwei spitzen aus, die von der Stirn nach hinten liefen und fast wie zwei Hörner nach oben zeigten. Während die restlichen Haare von unauffälligem Schwarz waren, trugen die Spitzen eine rötliche Färbung. Obwohl er an die Dreißig sein mochte – genau konnte Cary das Alter von Menschen selten schätzen – wirkte er jung, und zu unschuldig, um auf der Seite der Dunkelheit zu kämpfen.
Allerdings gab es auch den hitzköpfigen Inkubus, der Najaxis hieß. Ähnlich wie das Werwölfsmädchen kümmerte auch er sich wenig um Bekleidung. Er trug nur eine kurze Hose, die im Schritt zu eng war und eindeutige Formen abzeichnete. Darüber flatterte ein dünnes, weißes Tuch um seine Schultern und über die kräftigen Muskeln. Wie alle Inkubi strahlte er einen eindeutigen Sexappeal aus. Wann immer er Carys Blick auffing, leckte er sich hämisch über die Lippen, aber Caryellê war längst zu alt, um sich davon noch beeindrucken zu lassen. Ihr Aussehen mochte den Inkubus täuschen, ihr finsterer Blick tat es nicht. Doch ihre Blicke kreuzten einander selten. Najaxis konzentrierte sich auf den Plan. Soweit Cary das beurteilen konnte, schlug er die riskantesten Pläne für die Mission der Gruppe vor, denn er wurde immer wieder von Iljan in seinen Erklärungen gestoppt.
Der rote Feuerdrache schließlich, Askook, beteiligte sich am wenigsten an der Diskussion. Er hatte sich neben dem Zelt zusammengerollt, schien diesmal allerdings nicht zu schlafen. Vielmehr bewachte er Cary, Stella, Terziel und die Hexe mit glühenden Augen. Sein Atem, schwer wie ein Blasebalg, war über die gesamte Lichtung zu hören.
Cary seufzte leicht. Aus der Gruppe würden ihr vor allem der Nachtmahr und der Inkubus gefährlich werden. Das Werwolfsmädchen würde vermutlich tun, was immer ihr der Vampir befahl, und auch Merkanto besaß eine Macht, die nicht zu unterschätzen war. Dagegen waren Stella und Cary gefesselt, und Terziel zudem angeschlagen. Bevor sie ihn hergeschleift hatten, mussten die dunklen Wesen ihn verprügelt haben. Oder der Engel hatte sich in der Schlacht verletzt, jedenfalls war einer seiner Flügel verstaucht, und er hatte unzählige Schrammen, insbesondere einen feuerroten Bluterguss auf der Wange. Ihre Chancen standen denkbar schlecht.
Vorsichtig rutschte Cary hin und her, bis sie eine bequemere Position gefunden hatte. Die Kälte kroch inzwischen in ihre Rüstung aus weicher Rinde und durch den Wappenrock auf ihre Haut. Während der Inkubus und der Werwolf die Kälte offenbar nicht spürten, musste Cary zugeben, dass sie fror. Sie kämpfte darum, nicht mit den Zähnen zu klappern.
»Ey, Iljan!«, rief eine Stimme neben ihr unvermittelt. Cary fuhr zusammen, denn sie hatte die Hexe schon beinahe vergessen. Die mollige Frau mit der wirren, schwarzen Kurzhaarfrisur hatte sich bisher kaum einmal bewegt.
Jetzt richtete sich die Aufmerksamkeit des Vampirs auf sie.
»Willst du deine Gäste hier erfrieren lassen? Dein Vater wäre enttäuscht!«, rief die Hexe weiter.
Schneller, als Cary blinzeln konnte, stand der Vampir auf einmal neben ihr und beugte sich über die Hexe, die Hand an ihrem Hals.
»Wag es nicht, von meinem Vater zu sprechen, Gudrun!«, knurrte er so bedrohlich, dass selbst Caryellê, der der Hass überhaupt nicht galt, in sich zusammen sank.
Die dunklen Augen der Hexe blitzten. »Eine Decke wäre nett«, sagte sie mit betont freundlicher Stimme.
Taidoni schnaubte und wandte sich von ihr ab. Die Werwölfin stand bereits, drei dunkle Mäntel über dem Arm, hinter ihm.
Cary verzog das Gesicht, als der schwere Stoff über ihren Körper geworfen wurde. Terziel zischte sogar leise und zeigte einen Gesichtsausdruck, als hätte man ihn mit Fäkalien eingekleidet. Obwohl Cary nicht halb so empfindlich war wie er, verspürte sie Übelkeit. Der Mantel war aus Leder. Aus Tieren! Solche Kleidung gab es wahrlich nur auf der dunklen Seite.
Aber, das musste sie auch zugeben, nachdem Iljan und Jackie zurück zu den anderen gegangen waren, das Leder hielt den Regen ab und speicherte ihre Körperwärme. Voller Dankbarkeit – und voller Schuldgefühle über diese Dankbarkeit – lehnte die den Kopf an den Baumstamm.
»Gern geschehen.«
Cary sah auf und blickte direkt in die spöttischen Augen der Hexe, die, wie die Elfe jetzt feststellte, zwei verschiedene Farben hatten. Kurioserweise erschien das eine Auge purpur.
»Danke«, sagte sie etwas verzögert.
»Ich bin Gudrun«, stellte die Hexe sich vor. »Würde dir ja die Hand geben, aber die sind dummerweise beide gefesselt.«
Cary nickte nur benommen, während sie immer noch von den Augen fasziniert war. Konnte sie so überhaupt vernünftig sehen? Vermutlich sollte Cary dankbar sein, dass sich die berüchtigten Verunstaltungen der Hexen bei dieser Speziellen auf die Augen und ein etwa münzgroßes Muttermal auf der Wange beschränkten. Kleine Schweißperlen hatten sich in dem Pelz auf dem Muttermal gesammelt. Und die Nasenlöcher der Hexe waren ebenfalls enorm groß. Tatsächlich hatte Cary aber in ihrer Arbeit als Anführerin der Wächter bereits schlimmere Hexen gesehen.
»Warum bist du gefesselt?«, fragte sie ihr Gegenüber endlich, bevor ihr Starren zu dreist wurde.
Die Hexe zuckte allerdings nur mit den Achseln. »Lange Geschichte«, sagte sie mit einem Tonfall, der klar machte, dass Cary diese Geschichte nicht allzu bald erfahren würde.
Caryellê unterdrückte ein Seufzen und lehnte sich wieder gegen den Stamm. Sie war müde.
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[Eine kleine Anmerkung: Die Bilder sind nicht von mir (ich habe vier linke Pfoten), sondern von meiner Betaleserin und Freundin Ifrit van Nox. Beziehungsweise "IfritNox" bei DeviantArt: https://www.deviantart.com/ifritnox/gallery/
Außerdem ... falls es irgendeinen besseren Weg gibt, Links einzufügen, muss mir das jemand sagen. Ich finde das bestimmt nicht von selbst heraus.]