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„Ihr!“, knurrte Nejakai und ihre Augen sprühten Funken vor Hass. „Wie kommt es, dass ihr mir wieder und wieder und wieder in die Quere kommt?“
„Glaub mir, wir würden diese Treffen auch lieber vermeiden“, sagte Cary halblaut, sodass Nejakai es zwar nicht hören könnte, dafür aber die Kinder der Sonne. Gudrun fing an, gackernd zu lachen.
„Es ist Schicksal!“, krähte die Hexe in Erwiderung auf die verwunderten Blicke, die ihr zuteil wurden. „Es ist unser Schicksal, gegeneinander zu kämpfen, seit Anbeginn der Zeit in Stein gemeißelt!“
Nejakai schnaubte. „Dann willst du wohl sagen, dass auch dein Verrat seit Anbeginn der Zeit in Stein gemeißelt war? Tut mir leid, so leicht kannst du dich nicht entschuldigen.“
Gudrun verstummte. In all der Zeit, die er sie nun kannte, hatte Iljan die Hexe noch nie dermaßen kleinlaut erlebt – mal abgesehen von den Gelegenheiten, da sie für seinen Vater katzbuckelte, doch das war eine andere Form von Angst gewesen.
Es schien mit einem Mal totenstill zu sein, nachdem Gudrun verstummt war.
„Das habe ich mir gedacht“, knurrte Nejakai feindselig. „Große Klappe und nichts dahinter. Es ist wirklich nicht viel von dir übrig geblieben, Gudrun.“
„Ach, was weißt du schon?“ Die Hexe winkte ab. Sie gab sich verächtlich, doch Iljan bemerkte, dass ihre Finger zitterten.
Er stellte sich die Frage, was genau Nejakai über die Hexe wusste.
„Aber mal ehrlich, darum geht’s hier doch gar nicht!“ Gudrun schien die Verwirrung abgeschüttelt zu haben und nahm wieder Fahrt auf. „Du jagst uns doch nicht nur deshalb. Du jagst uns wegen dem, was wir sind.“
„Natürlich. Ihr seid eine Bedrohung für dieses Reich!“, zischte Nejakai. „Ich werde nicht zulassen, dass ihr das Weiße Schloss betretet.“
„Bitte, Nejakai.“ Iljan drängte sich nach vorne und hob die Hände. „Wir sind keine Bedrohung. Wir wollen nichts böses, wir wollen nur … in Frieden leben. Du kannst uns die Waffen abnehmen, uns fesseln und mitnehmen, wir werden keine Schwierigkeiten machen – solange du uns zum Schloss bringst und wir der Königin unsere Geschichte erzählen dürfen. Sie soll entscheiden, und wir werden uns diesem Urteil beugen, das schwöre ich.“
Nejakai zögerte. Dann verengte sie die Augen. „Ich glaube euch kein Wort. Wenn ich euch die Waffen abnehme, habt ihr andere oder eine Form von Magie, die sich im Schloss entfalten wird. Nein, ich werde kein Risiko eingehen!“
Es rumpelte. Die eingeschlossenen Krieger in der hintersten Karosse versuchten, nach draußen zu gelangen. Nejakai ließ den Blick über die Unfallstelle schweifen und zog die Mundwinkel nach unten, ehe sie Iljan einen hasserfüllten Blick zuwarf. Sie hob ihre Waffe.
„Das ist nicht das Ende, Vampir“, zischte die Magierin. Dann musste Iljan geblendet die Augen schließen, als ein greller Blitz direkt in Nejakai einzuschlagen schien.
Als Iljan die Augen wieder öffnete, war die Magierin fort.
„Feige Sau!“, kommentierte Gudrun.
„Was tun wir mit ihren Dienern?“, fragte Merkanto in die Stille, die auf Nejakais Verschwinden eingetreten war.
„Was sollen wir mit ihnen tun?“, fragte Cary verwundert. „Wir lassen sie hier.“
„Aber sie wissen von uns!“, widersprach Merkanto. „Von unseren Plänen!“
„Nejakai ist unser Problem, nicht ihre Lakaien“, ging Iljan scharf dazwischen. „Wer weiß, wo sie jetzt ist, vermutlich im Schloss. Lasst die Leute frei und vor allem den Gefangenen!“
Seine Freunde zuckten merklich zusammen, als Iljan den Grund ihres Kampfes erwähnte. Ehe man sich versah, hatte Abarax den mittleren Karren hochgenommen, jenen, aus dem keine Soldaten gekommen waren, und setzte ihn behutsam auf einem ebenen Rasenstück ab.
Iljan besah sich die Tür, die mit einem starken Schloss gesichert war. Es gab keine Fensterschlitze.
„Hallo?“, rief er.
Er erhielt keine Antwort.
War die Kutsche leer? War der Gefangene womöglich eine Falle gewesen, um sie aus der Deckung zu locken?
Da erklang ein schwaches Klopfen aus dem Inneren der Kutsche.
Iljan seufzte erleichtert auf. „Wir müssen dieses Schloss zerstören.“
„Eigentlich kriegt man die nur mit dem richtigne Schlüssel auf, es sind Elfenstahlschlösser“, ließ sich Cary vernehmen. „Und den Schlüssel hat mit Sicherheit Nejakai.
„Du sagtest ‚eigentlich‘„, hakte Iljan nach.
Cary nickte grinsend und winkte Merkanto zu sich. „Ein starker, elektrischer Schlag oder die Tränen eines Einhorns tun es auch.“
Stella hob den Kopf. „Elfenschlösser sind grausam!“
„Der Sinn dahinter ist, dass ein Einhorn einen unschuldigen vor dem Tod retten kann“, erklärte Cary. „Es ist eine Art Sicherheit.“
„Und der Blitz?“, fragte Merkanto, als er sich bereitmachte.
Es knisterte.
„Das ist ein Herstellungsfehler“, sage Cary.
Es krachte. Das Schloss fiel ab und die Tür schwang mit einem elenden Quietschen auf.
Dahinter erwartete sie ein dunkler, enger Raum voller Gestank. Iljan drängte sich an den anderen vorbei und spähte in die Dunkelheit.
Eine zusammengekrümmte Gestalt lag in einem Gemisch aus altem Blut, Kot und dreckigem Stroh auf dem Boden. Als sie Licht sah, stöhnte die Gestalt und streckte matt einen Arm aus.
Iljan ergriff die Hand, ignorierte den wiederlichen Gestank, und zog die Person in seine Arme.
Als er mit dem Gefangenen ins Licht trat, erstarrte er und sah auf dessen Gesicht.
„Najaxis?!“
Der Inkubus lächelte schwach. Verkrustetes Blut klebte in seinem Mundwinkel. „Iljan! Ich wusste, ihr kommt.“
Die Kinder der Sonne drängten sich um den wiedergefundenen Freund und riefen seinen Namen.
„Wasser!“, rief Stella. „Er braucht Wasser!“
Abarax hatte sie fort von der Straße und zu einem kleinen Hain getragen. Erneut versteckten sich die Kinder der Sonne, wofür Merkanto im Grunde seines Herzens sehr dankbar war. Iljans rücksichtsloser Marsch zum Weißen Schloss war aufgeschoben, wenigstens für den Moment.
Auf einem Hügel in der Nähe konnte er eine schwache Erhebung ausmachen, Jackie, die Wache hielt. Auf einem kleinen, von Stella entzündeten Feuer wurde ein Messingkessel erhitzt, in dessen Wasser Gudrun leise summend Kräuter warf. Über einem zweiten Feuer köchelte ein Eintopf vor sich hin. Terziel rührte ab und zu hindurch, doch Blick und Aufmerksamkeit des Engels ruhten auf Najaxis.
Es stand schlimm um den Inkubus. Er war so abgemagert, dass man seine Knochen zählen und die Sehnen unter der Haut spannen sehen konnte. Seitdem er etwas getrunken hatte, brachte er kurze Sätze zustande. Er hatte ihnen von der Gefangenschaft erzählen wollen, doch Gudrun hatte ihm das Sprechen verboten. Nun lag Naja fiebernd im weichen Moos, das um die Füße der Bäume wuchs. Gelegentlich fuhr er aus seinen Alpträumen aus und ließ den Blick verwundert über die Gruppe wandern, ehe er mit einem gemurmelten „Ein Traum … ihr seid nicht echt … ich träume …“ wieder einschlief.
Iljan wich nicht von Najas Seite und sein Blick war grimmig und hasserfüllt. Als sich Cary neben ihn setzte und sanft die Hand auf seine legte, hörte Merkanto den Vampir flüstern: „Nejakai wird zahlen, für das, was sie ihm angetan hat!“
Schließlich war ihr Eintopf fertig, und sie aßen. Das Essen war nicht besonders lecker, die Stimmung getrübt, Iljan, Stella und Dayr, die alle nicht mitaßen, entfernten sich und gaben sich nicht die Mühe, das Abendessen zu einer gemütlichen Runde zu machen. Najaxis lag derweil immer noch im Fieberwahn und kämpfte um sein Leben.
Nach dem Essen stand Gudrun auf und ging zu ihrem Kessel. Die Kräuter, die darin geköchelt hatten, waren zu einer festen Salbe zerkocht. Wortlos nahm Gudrun den Kessel und ihre große, bauchige Flasche voll Wasser, und setzte sich zu dem Inkubus.
Iljan sah nur schweigend zu, wie die Hexe Najaxis zuerst sorgsam den Schmutz von dem bloßen Oberkörper, von Gesicht, Armen, Händen, Beinen und Füßen wusch, und dann die Salbe mit liebevollen Bewegungen auf die zahlreichen Wunden auftrug.
Ein seltsamer, betörender Duft erhob sich, der nicht nur Merkantos Neugier weckte. Er und Cary traten näher heran, um Gudruns Werk zu beobachten.
„Weiße Magie“, flüsterte Cary atemlos.
Ja, Gudrun nutzte die Kräfte der Kräuterhexen des Sonnenlandes. Zwar hieß es oft abfällig, das Hexenhandwerk beider Seiten unterscheide sich nur in den Zutaten der Tränke und dem Zweck, wofür diese eingesetzt wurden, doch Merkanto spürte ein weiches Kribbeln in der Luft, eines, das seiner Sturmmacht fremd war. Und es schien ihm, als erstrahle Gudrun in einem strahlenden Licht, als würde gelegentlich ein anderes Bild das der dicklichen, hässlichen Hexe überlagern, zu schnell entschwunden, als dass er es greifen könnte.
Gudrun sang selbstvergessen, Worte einer Sprache, die niemand der Anwesenden sprach, ein Lied, dessen Zauber niemand durch ein Geräusch zu brechen wagte.
Dann war der Kessel leer.
Gudrun stand auf, wischte sich die Hände am fleckigen Kleid ab und packte ihre Sachen zusammen. Die erstaunten Blicke ihrer Gefährten ignorierte sie. Merkanto verstand es nicht – als wäre Gudrun zu stolz, um sehen zu wollen, wie sehr ihre Vorführung die anderen beeindruckt hatte.
Flatternd öffnete er die Lider.
Ihm war warm, wie schon sehr lange nicht mehr. Seine Haut fühlte sich weich an, wie von warmem Honig umhüllt.
Najaxis öffnete den Mund und wollte etwas sagen. Sein Hals schmerzte noch immer, doch er brachte die Worte heraus.
„Wo … bin ich?“
„Naja!“ Iljan stürmte an die Seite des Inkubus‘ und schob die Hände unter dessen Kopf.
„Iljan!? Aber … das war ein Traum!“, flüsterte Najaxis. Träumte er noch immer?
„Kein Traum“, versicherte der Vampir. „Ich bin es wirklich. Du bist bei uns.“
Najaxis blinzelte. Hinter Iljan erschienen andere, verschwommene Gestalten. Gudrun. Merkanto. Caryellê.
Er blinzelte noch ein paar Mal, und die Bilder wurden schärfer. Ja, es waren seine Freunde. Für einen Moment musste er die Augen schließen. Die Wärme auf seiner Haut machte ihn schläfrig. Doch er versuchte, sich zu erinnern, was geschehen war.
„Der Kampf … wir waren auf dem Weg zum Weißen Schloss.“
„Wollte Nejakai dich dorthin bringen?“, fragte Cary. Naja musste lächeln – ja, es war Carys Stimme, immer noch hart und unbarmherzig, doch wunderschön, wie das Klingeln von kleinen Eisenglocken, wenn Hirten ihre Tiere zur Schlachtbank trieben …
„Es war … eine Falle“, krächzte er mühsam. Nejakai hatte die Botschaft verbreiten lassen, dass sie mit einem Gefangenen reiste, um die Kinder der Sonne anzulocken, nachdem sie deren Spur hinter Antordia verloren hatte.
„Sie wird den Angriff zu ihren Gunsten darstellen“, sagte Merkanto nüchtern. „Als wären wie blutrünstige Monster. Vermutlich behauptet sie noch, wie hätten den Gefangenen gegessen.“
„Denkst du wirklich, sie würde lügen?“, fragte Cary zweifelnd.
„Wieso sollte sie nicht?“, warf Merkanto verwundert ein.
„Die Wahrheit ist ein heiliges Gut im Sonnenland“, antwortete Cary. „Aber du hast recht, ich würde es Nejakai durchaus zutrauen, dass sie lügt, solange es uns schadet.“
Najaxis spürte, dass seine Augen wieder zufielen.
„Schlaf“, sagte Iljan sanft und Najaxis gehorchte.
Das Feuer glomm schwach in der Dunkelheit. Jackie trottete mit wunden Pfoten zum Lager und ließ sich zwischen ihre Freunde fallen.
„Neuigkeiten?“
„Die ganze Straße ist voller Reiter“, antwortete sie Merkanto. „Nejakai muss zum Schloss gereist sein und Alarm geschlagen haben. Die Karren wurden bereits sichergestellt und die Soldaten befreit. Jetzt suchen sie uns.“
Merkanto ließ einen beunruhigten Blick über ihre Umgebung schweifen. Ihr Versteck war nicht gerade geschickt gewählt. Mit Abarax‘ Hilfe hatten sie sich lediglich auf geradem Weg von der Straße abgesetzt und campierten nun in einem winzigen Hain, der das Licht ihres Lagerfeuers nur unzureichend kaschierte.
„Sie werden uns finden“, sagte Merkanto.
„Nicht, wenn wir weiterziehen“, meldete sich Gudrun zu Wort. „Najaxis sollte es morgen früh schon viel besser gehen. Wir können mit dem ersten Licht aufbrechen und uns durch die Wildnis schlagen.“
„Ich sagte doch schon, wir würden uns viel zu schnell verirren. Es gibt keinen Weg außer der Straße!“, knurrte Cary.
„Wir haben einen Drachen!“, knurrte Gudrun zurück und grinste dann, um ihren Worten vielleicht die Schärfe zu nehmen. „Und wir werden nicht lange abseits der Wege reisen. Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns Nejakai stellen. Sie jagt uns schon zu lange, sie hat zu viele Lügen über uns erzählt. Jetzt schlagen wir zurück!“
„Ich will keinen Kampf!“, rief Iljan aus.
„Wir haben keine andere Wahl. Nejakai weiß, dass wir kommen. Um ins Schloss zu gelangen, werden wir kämpfen müssen“, gab Gudrun zurück. „Und dieses Mal werden wir Nejakai besiegen.“
„Töten?!“, entfuhr es Iljan.
„Nein!“, rief Gudrun. „Dann würde sie ja gewinnen. Sie will unsere Mission zerstören, und unsere Mission ist der Frieden.“