28. Juli 2999
Ich sitze neben Soyala und tupfe ihr die Stirn mit einem nassen Tuch ab. Ich höre kaum, wie die Tür sich öffnet, aber ich spüre Mingan, der mit leisen Schritten hinter mich tritt.
„Geh es ihr gut?“
Ich drehe mich um.
Mingan ist blass und müde. Seit gestern ist er kaum von Soyalas Seite gewichen
„Hast du was gegessen?“, frage ich streng.
Er nickt und wischt sich über das Gesicht. Mein Blick bleibt unwillkürlich an seiner linken Hand hängen, an der zwei Finger fehlen.
Langsam setzt sich Mingan auf Aidens Bett. Soyala liegt in meinem.
„Es geht ihr besser“, antworte ich ihm dann: „Es ist dieser Ort, der ihr so sehr zusetzt, nicht wahr?“
Mingan nickt: „Ihr Element ist Wasser. Die Wüste ist kein gute Ort für sie. Aber es ist auch meine Schuld. Ich hätte sie nicht drängen dürfen, tagsüber zu reisen.“
Ich zucke mit den Schultern: „Du hast dich selbst genauso gequält. Wir wissen, dass die Zeit knapp wird. Also gab es keinen Grund, zu zögern.“
Mingan dankt mir für meinen Trost mit einem schwachen Lächeln. Ich streiche weiter Soyala über die Stirn. Je mehr Wasser sie bekommt, desto rosiger wird ihre Haut. Sie erinnert mich an eine Blume, die man sorgsam pflegen muss.
„Aiden?“, rufe ich leise.
Mein Bruder wirft einen Blick in den Raum: „Ja?“
Er mustert Mingan und Soyala mit kaltem Blick.
„Holst du bitte noch einen Eimer Wasser?“
Er seufzt: „Wir haben nicht mehr viel.“
„Sofort!“, zische ich und Aiden verschwindet wieder. Ich verdrehe die Augen.
„Er mag uns nicht“, stellt Mingan fest, als Aiden einen Eimer mit kühlen Wasser abgestellt und aus dem Schlafzimmer gestapft ist.
Ich fühle mich verpflichtet, meinen Bruder zu verteidigen: „Er möchte gerne seine Gabe vergessen, und alles, was damit zu tun hat. Er braucht nur eine Weile, um sich an euch zu gewöhnen.“
Mingan sieht mich an: „Er hat vermutlich einiges durchgemacht?“
„Das haben wir alle“, weiche ich aus.
Mingan zeigt ein grimmiges Lächeln: „Mein Vater – Adoptivvater – sagte mir, wenn wir uns von dem leiten lassen, was wir erlebt haben, sind wir alle schlechte Menschen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, es besser zu machen.“
Ein Schatten huscht über Mingans Gesicht. Ich lächele: „Das ist ein sehr schöner Spruch.“
„Er ist wahr“, murmelt Mingan bedrückt.
Dann greift er nach dem Lappen, mit dem ich Soyala abtupfe: „Gib her, ich mach das!“
Ich mache ihm Platz und gehe aus dem Raum. In der Türöffnung drehe ich mich noch einmal um und beobachte, wie Mingan sanft seiner Freundin über die Stirn streicht.
Im Wohnzimmer sitzen Dimitri und Demetia an unserem kleinen Küchentisch. Dimitri hält eine Handvoll Wüstensand vor sich und Demetia hält ihre Hände darüber. Neugierig trete ich zu ihnen: „Was macht ihr da?“
„Pfefferminze!“, sagt Dimitri fröhlich.
„Wir wollten uns einen Tee machen“, erklärt Demetia.
Die beiden haben ihre braunen Roben durch grüne, beziehungsweise graue Tücher ersetzt, die ich ihnen geliehen habe. Jetzt kann man die Zwillinge wenigstens auseinander halten.
Demetia schiebt ihre Hände zur Seite und ich kann eine kleine, grüne Pflanze sehen, die sich aus dem Wüstenboden schiebt.
„Der Boden hier ist viel zu trocken“, sagt Demetia: „Das ist fast schon viel zu viel Aufwand für ein bisschen Tee.“
Ich muss grinsen: „Für Tee ist nichts zu viel Aufwand.“
Seltsamerweise gibt mir diese Pflanze – oder die Idee dahinter – ein Gefühl von Sicherheit.