Im Jahr 2986
„Komm schon, Arved!“, ruft Tobi mir zu und winkt mich zum Lagerfeuer. Ich bin lieber für mich allein, als zu feiern, doch an einem Tag wie diesem kann ich mich schlecht drücken.
Wir haben Marcel Kleinfinger gefangen, einen Vogelfreien auf der Flucht. Und nicht nur das. Marcel war vielleicht der schlüpfrigste Verbrecher, dem wir je gefolgt sind. Bis nach Tokyo mussten wir ihn verfolgen, und hier haben wir ihn endlich gestellt.
Jetzt sitzen wir in den Ruinen der einstigen Metropole und trinken. Der gefesselte Körper des bewusstlosen Marcel liegt ein wenig außerhalb. Ein Weinschlauch wird durch die Runde gereicht, ich nehme ihn entgegen und trinke einen Schluck.
Der Alkohol darin ist scharf und brennt in der Kehle. Kein Vergleicht mit dem billigen Bier, das wir ins Internat geschmuggelt und getrunken hatten. Ich huste und gebe keuchend den Schlauch weiter. Garrik und die anderen lachen herzhaft.
„Du bist nichts gewohnt, Junge“, sagt Garrik kopfschüttelnd: „Wie willst du so jemals ein Kopfgeldjäger werden?“
Ich schnappe nach Luft: „Ich würde es gerne vermeiden wollen, meinem eigenen Kopf hinterher jagen zu müssen!“
Wieder lachen die Kopfgeldjäger und wenden sich einem anderen Thema zu.
„Was machst du mit deinem Anteil?“, fragt Garrik seine rechte Hand, Morten.
„Saufen“, brummte der alte Kopfgeldjäger zurück. Morten war niemals sehr gesprächig, aber der beste Schütze der Kopfgeldjäger.
„Und du?“, die Frage ging an Julian, den Dritten der Erwachsenen. Von uns Kindern hatte noch keiner zum Mord beigetragen, und wir würden keinen Lohn erhalten.
„Ich werde meine Ehre zurück kaufen“, knurrte der.
Schweigen senkte sich über die drei Erwachsenen, und wir sechs warteten erstaunt, wie Garrik reagieren wollte. Immerhin wollte Julian uns verlassen.
„Das geht nicht, mein Freund“, sagte Garrik erstaunlich sanft: „Einmal Kopfgeldjäger, immer Kopfgeldjäger. Das kann man nicht mit Geld abwaschen und auch nicht mit etwas anderem.“
Julian schnaubte frustriert: „Ich kann doch nicht für den Rest meines Lebens außerhalb der Städte bleiben! Soll ich durch die Wildnis laufen, bis irgendeiner dieser Verrückten, die wir jagen, mich umbringt?“
„So läuft das, ja“, sagte Garrik streng: „Kopfgeldjäger gehen nur in die Stadt, um ihre Prämie abzuholen. Deswegen brandmarken sie uns wie Vieh.“
Jeder in der Runde zuckte zusammen. Es gab angenehmere Erinnerungen als die an heißes Eisen, das einem den Stern der Kopfgeldjäger auf die Schulter brannte.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit von dem Gespräch ab und sah in die Dunkelheit. Die Wälder in den Ruinen von Tokyo raschelten leise, und ich hörte den Wind flüstern.
Er sang vom Ende, das bald kommen würde. Und von meinem Schicksal, dem ich nicht entfliehen konnte.
„Kann ich den Schlauch haben?“, bat ich einer plötzlichen Eingebung folgend. Überrascht reichte Garrik mir den Wein.
Ich nahm einen großen Schluck. Das Brennen war beim zweiten Versuch schon weniger schlimm. Als ich den Schlauch weiterreichte und mir den Mund abwischte, hörte ich die Stimme des Windes verstummen.
„Guten Morgen, Sonnenschein“, weckte mich Tobi fröhlich.
Ich stöhnte und rieb mir die Augen. Mein Kopf schien bei der leichtesten Bewegung zu platzen. Tobis Schritte donnerten wie Lawinen.
„Sei leise!“, jammerte ich.
Tobi schlug in die Hände, dass ich aufrecht im Schlafsack saß und mich im nächsten Moment am Liebsten übergeben hätte.
„Wir ziehen weiter“, kreischte der bekloppte Junge und riss die Zelttür auf, dass mir helles Sonnenlicht ins Gesicht fiel.
Ich hatte einen schimmeligen Waschlappen im Mund, den ich nach einigen Minuten, in denen ich verzweifelt versuchte, ihn auszuspucken, als meine Zunge erkannte. Taumelnd stand ich auf und blinzelte in das grelle Licht eines sehr blassen und nebeligen Morgens.
„Genieß' deinen ersten Kater!“, spottete Julian hämisch und drückte mir einen Sattel in die Hand: „Aber mach dein Pferd dabei fertig.“
„Argh!“, sagte ich und ließ den Sattel beinahe fallen.
Zum Glück war Tobi im nächsten Moment neben mir und hievte das schwere Leder auf mein Pony.
„Du hast es total übertrieben, Arvi. Aber es war echt lustig.“
„Danke“, knurrte ich, schon jetzt von allem und jedem genervt.