14. Dezember
Wir sitzen im Schnee. Ich bemerke erstaunt, dass es bereits dunkel wird. Der Tag war kurz – aber so kurz? Das Töten muss mich echt in Anspruch genommen haben.
„Ich wurde angeheuert, um dich zu töten“, sagt Mingan offen. Ich greife nach der Kälte, um ihn sofort zu vernichten, doch er hebt eine Hand. An seiner Hand fehlen zwei Finger, der Ring- und der kleine Finger.
„Jetzt warte doch! Ich wurde dafür angeheuert, doch ich habe abgelehnt. Ich habe deinen Leuten gesagt, wenn sie meine Dienste wollen, dann zu meinen Bedingungen.“
Ich lasse die Kälte wieder los. Okay, vielleicht höre ich ihm doch zu.
„Ich suche nach dir. Schon seit ein paar Monaten. Und ich habe in dieser Zeit vieles gelernt. Es gibt mehr Menschen wie dich. Und meist seit ihr einfach nur voller Angst oder Wut.“
Ich schnaube: „Weder noch!“
Er lächelt dünn: „Natürlich. Dein Element ist das Eis. Und Eis lässt sich nicht von Gefühlen leiten, sondern von Logik. Aber dann sag mir, Glacia, warum du diese Jungen getötet hast.“
Ich verschränke die Arme: „Sie kannten mein Geheimnis. Es war nur logisch, das zu tun.“
Mingan seufzt: „Jetzt sind deine Zeugen tot. Was tust du jetzt?“
Ich zögere. Ja, was eigentlich?
„Ich gehe weit fort. Irgendwo hin, wo es kalt ist.“
„Um was zu tun?“
Ich zögere diesmal nicht: „Um zu sterben.“
Es ist mir gerade erst klar geworden, doch das ist mein Plan. Mein Atem stockt.
Mingan bemerkt meine Reaktion.
„Das muss nicht sein. Ich weiß, das Eis fürchtet sich auch nicht. Aber du kannst dich fürchten, Glacia. Es gibt nicht nur Eis in deinem Leben.“
Ich merke plötzlich, dass mir doch kalt ist. Aber das darf ich vor Mingan nicht zeigen. Ich verschränke die Arme fester.
„Ich bin Eis.“
„Und eines Tages wirst du schmelzen. Glacia – ich kann dir helfen. Ich weiß einiges über diese Magie. Ich kann dir Dinge zeigen.“
„Das Eis zeigt mir alles, was ich wissen muss“, knurre ich als Antwort. Mingan sieht mich scharf an: „Das Eis redet mit dir?“
Ich nicke und er atmet tief durch: „Glacia. Du musst nicht aufgeben, wer du bist. Wir gehen fort von hier, weit fort. Wie du es geplant hast. Und dann zeige ich dir das Wasser.“
„Wasser?“, frage ich und löse meine Arme.
Mingan nickte: „Eis ist auch Wasser. Nicht nur berechnende Kälte, sondern auch fließende Hingabe. Du weißt, dass ich Recht habe.“
Ich horche in mich hinein. Es kommt mir logisch vor, was er sagt.
„Was muss ich tun?“, frage ich. Inzwischen geht der Mond langsam auf.
Mingan nimmt vorsichtig meine Hand. Seine Hände sind warm.
Wir stehen beide auf.
„Du musst nichts tun“, sagt Mingan. Plötzlich fällt er vor mir auf die Knie.
„Ich schwöre dir Treue, Glacia. Ich werde dir helfen, dich beschützen und dich lehren, was ich weiß. Nimmst du meine Dienste an?“
Ich bin vollkommen überrumpelt, dass ich nur ein leises „Ja. Denke ich.“ hauchen kann.
Mingan steht auf.
„Ich werde hier nicht mehr bezahlt werden“, sagt er. „Gehen wir.“
Ich folge ihm, während er voraus geht. Dann bleibe ich stehen: „Da geht es zu den Hütten!“
Er dreht sich zu mir um: „Dort wird es sicher sein, vertrau mir.“
Ich zögere, aber dann denke ich an seine warmen Hände.
Ja. Ich vertraue ihm. Woher auch immer er gekommen ist und warum auch immer er mir helfen will, ich vertraue ihm bedingungslos.