12. September
Die Dealer lassen mich nicht aus den Augen. Jens begleitet mich auf Schritt und Tritt, zeigt mir das Drogenlager und erklärt mir, wie die Deals ablaufen. Björn folgt mir wie ein riesiger, unheimlicher Schatten.
Ich fühle mich wie ein Gefangener, doch als es Abend wird und ich in dem weichen Bett liege, der Geruch nach Rauch aus dem Wohnzimmer dringt, wo die drei Dealer sitzen und reden, da fasse ich den Entschluss, zu gehen.
Nicht, dass ich vorhatte, zu bleiben. Aber ich will gehen, jetzt, auf der Stelle.
Leise stehe ich auf und suche meine Kleidung, die am Fuße meines Bettes liegt.
Als ich mein T-Shirt untersuche, finde ich trockenes Blut daran. In großen Mengen. Auch die Hose ist voll davon. Also war der Überfall doch kein Traum.
Die Dealer müssen gedacht haben, dass es nicht mein Blut war, immerhin hatte ich keine Wunden. Und sie haben mich zum Glück auch nicht als den Sohn des Polizisten erkannt, den sie umgebracht haben.
Ich lasse mein T-Shirt liegen. Das will ich nicht anziehen. Ganz zu schweigen davon, dass es nicht gerade unauffällig ist, vollkommen blutverschmiert durch die Straßen zu laufen.
Ich nehme die Kleidung, die Jens mir geliehen hat. Eine ausgeblichene Jeans, ein T-Shirt mit einem blöden Spruch drauf – „Ich denke, also bin ich hier falsch“.
Außerdem finde ich einen schwarzen Wintermantel, den ich überziehe. Ich schlüpfe in ausgelaufene Turnschuhe und schleiche dann in den Flur.
Jens und Wolfgang reden und lachen im Wohnzimmer. Björn sitzt schweigend bei ihnen und leert Bier um Bier. Sie rauchen, die Schwaden hängen dicht unter der Decke, bis der ganze Raum wie im Nebel liegt.
Ich spüre ein Kribbeln im ganzen Körper. Ich schiebe es auf die Aufregung, doch es ist ein intensives Gefühl.
Ich husche lautlos an der geöffneten Tür vorbei. Doch Wolfgang dreht seinen Kopf plötzlich genau in meine Richtung. Er sieht mir direkt in die Augen.
Ich erwarte, dass er mich laut fragt, wohin ich denn unterwegs sei. Doch sein Blick gleitet einfach über mich hinweg.
Er hat mich nicht gesehen! Bevor mein unverschämtes Glück mich noch verlässt, laufe ich los.
Das Treppenhaus scheint noch höher geworden zu sein. Ich verursache kaum Geräusche, doch der Abstieg zieht sich ewig hin. Bald keuche ich vor Erschöpfung.
Endlich kann ich die Tür öffnen. Sam bemerkt mich sofort und spring schwanzwedelnd auf.
Er sieht besser aus. Offenbar hat er heute wenigstens gefressen. Er versteht sofort, dass er leise sein muss, während ich das Schloss des Zwingers untersuche.
Ein Vorhängeschloss hält den Riegel geschlossen. Ich habe keinen Schlüssel. Kurzerhand hebe ich einen Stein vom erdigen Boden auf und schlage auf das Schloss ein.
Das Geräusch hallt laut durch die Gasse. Es wird auch Jens und die anderen alarmieren. Ich schlage noch fester zu, in dem Wissen, dass mir nicht viel Zeit bleibt. Ich hole aus und sammele Kraft für einen letzten Schlag. Ich höre bereits Schritte durch das Treppenhaus hallen. Beinahe glaube ich zu sehen, wie sich dunkle Schatten um meine Hände sammeln.
Ich reiße die Arme nieder und schlage mit einer Kraft auf das Metall ein, die ich mir nicht zugetraut hätte.
Das Schloss bricht und fällt aus den Boden. Ich schiebe den Riegel zurück. Sam springt mir entgegen, ich ziehe ihn in eine kurze Umarmung.
„Komm mit, mein Junge“, flüstere ich dann, als Sam versucht, mein Gesicht abzulecken. Ich stehe auf und ziehe ihn mit mir, aus der Gasse.
Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Deshalb wende ich mich einfach in irgendeine Richtung und laufe los.
Sam hält sich dicht an meiner Seite. Ich muss grinsen.
Ja, wir haben kein Geld und jetzt die Mafia auf den Fersen. Wir sind allein, ohne Freunde, an die wir uns wenden könnten.
Aber wenigstens habe ich meinen treuen Hund, alles andere wird sich zeigen. Wir könnten uns in einen Zug schmuggeln und die Stadt verlassen. Dann sehen wir weiter.
Irgendwo werden wir schon einen sicheren Fleck finden.