Dimitri – 26. August
Es ist Abend geworden, während ich bewusstlos war. Demetia erklärt mir, dass sie Angst um mich hatte und deshalb die Zerstörung nicht bemerkt hat. Ich fürchte, dass da noch mehr ist, was sie nicht ausspricht. Eine unheilvolle Wahrheit, die sie mir nicht aufbürden will.
Wir gehen Seite an Seite zurück, stolpern über Äste und Erdgräben. Demetia will nach meiner Hand greifen, aber ich wehre sie ab.
Das alte Kloster ist eingestürzt. Als wir näher kommen, laufen die Nonnen über den Hof, die schwarzen Gewänder schmutzig. Das ist nicht nur Erde, sondern auch Blut. Auf behelfsmäßigen Tragen, oftmals aus den zerbrochenen Wänden gebaut, ziehen sie Verletzte aus den Trümmern.
Meine Freunde. Die Kinder, mit denen wir groß geworden sind.
Da ist Tobias, mit dem ich immer bei den Gebeten herumgealbert habe: Sein Kopf ist mit einem schmutzigen T-Shirt verbunden. Neben ihm liegt die hübsche Mia, in die ich mal eine Woche oder so verliebt war. Sie hat einen Arm und ein Bein verbunden, offenbar gebrochen. Anna sitzt an Mias Seite – sie waren beste Freundinnen. Mia fiebert und erkennt Anna nicht, Anna weint.
Viele weitere stolpern über den Kopf, Tränenspuren in den staubigen Gesichtern.
„Ich dachte, hier gibt es keine Erdbeben“, höre ich jemanden murmeln.
Irgendwo betet eine der Mütter, wobei sie sich vor und zurück wiegt. Ich schnappe etwas von ihrem Gemurmel auf: „Es sind doch nur Kinder, bitte bestrafe die Kinder nicht, sie sind noch so jung, es sind doch nur Kinder … “
Mir ist eisig kalt. Grauen kriecht mir über den Rücken. Ich möchte mir am liebsten die Augen auskratzen und dann schreiend wegrennen, um all das hier zu vergessen.
Das kann doch nur ein Alptraum sein. Ich kneife in meinen Arm. Irgendwo bricht mit lautem Getöse ein Balken herunter und Menschen schreien. Offenbar sind noch Kinder in dem Teil des Gebäudes.
Ohne noch einen Blick auf mich zu werfen, rennt Demetia los, um zu helfen. Eine große Staubwolke erhebt sich an der Stelle in den Himmel, ich sehe in ihr einen Totenkopf.
Was habe ich nur getan? Als meine Energie losbrach, habe ich mich in Richtung des Waisenhauses gedreht. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? Ich hätte doch ahnen müssen, dass es katastrophale Folgen haben würde, wenn eine Welle unkontrollierter Magie auf ein Haus voller Kinder und Nonnen losgelassen würde.
„Warum nur, Teufel, bestrafst du uns?“, fragt die betende Nonne neben mir.
Mir wird schwindelig, meine Knie treffen den Boden.
Ich habe das alles getan. Weil ich wissen wollte, ob ich es kann.
Warum wollten wir auch ausprobieren, ob wir Magie beherrschen. Warum haben wir diesen Fluch, warum sind wir nur in das Erdloch gefallen und haben alles entdeckt?
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen, mir ist kalt.
Es gibt Mächte, von denen sollten Menschen sich fern halten. Weil wir sie nicht beherrschen können.
Weil dann solche Dinge geschehen.
Vom anderen Ende des Platzes aus wirft Demetia mir einen Blick zu. Ich sehe den Schrecken in ihrem blassen Gesicht. Es gibt keine guten Neuigkeiten von dem Einsturz. Dann wird ihr Gesicht finster … vorwurfsvoll.
Wie viele jetzt wohl gestorben sind?
Ich kann vor lauter Tränen nichts mehr sehen. Ich kippe langsam auf die Seite und rolle mich zusammen.
Demetia bleibt drüben, bei den anderen, fern von mir. Sie hilft, zu retten, was zu retten ist. Ich will schreien, dass es nicht meine Schuld ist. Dass nicht ich das war, dass ich keine Kontrolle hatte, dass eine andere Macht meine Hand gelenkt hat. Ich erinnere mich an die Fratze in der Erde, auch, wenn ich sie nur für eine Sekunde gesehen habe.
Und ich bleibe stumm, weil ich mich vor diesem Gesicht fürchte. Ich wünschte, Demetia wäre bei mir. Sie könnte mir vielleicht den Mut geben, diese andere Macht zu konfrontieren.
Aber ich bin ganz allein.
Und mein Herz wird zu Stein.