Gedanken um den Sinn des Lebens
Ich sitze an meiner Lieblingsstelle, wie so oft, wenn ich im Urlaub bin und Zeit für mich alleine brauche, um dem Trubel meiner Familie zu entgehen. Dann wandere ich hier hoch, ganz nach oben, auf den Berg, wo ich dem Himmel so nahe bin. Hier oben stört mich niemand. Ich höre nur den Gesang der wenigen Vögel, die sich hierher verirren. Oder ich sehe mal einen Adler, der in der Nähe seinen Horst hat und auf der Jagd ist, um seinen Nachwuchs füttern zu können. Ihn höre ich am liebsten, wenn er seine schrillen Schreie ausstößt. Das klingt wie Musik in meinen Ohren. In der Ferne sehe ich die Täler, die sich weit ausstrecken, manchmal auch, wenn die Sicht gut ist, die Häuser, die klein sind, winzige Hütten manchmal, die aber belebter sind, als man es erahnt. Oder dort drüben, wo die Spitze eines Berges aus den Wolken hervorragt, wie die Nase eines vorwitzigen Kindes, das sich aus Spaß versteckt. Oder ich sehe noch weiter, da wo der Horizont zu Ende zu sein scheint.
Aber am liebsten bin ich hier, um nachzudenken. Nachzudenken über den Sinn des Lebens. Oft sinniere ich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich meinem Mann nicht begegnet wäre. Wäre es in denselben Bahnen verlaufen wie jetzt? Oder hätte ich einen ganz anderen Weg eingeschlagen? Ich schaue in die Wolken, als würden sie mir eine Antwort auf meine Fragen geben können. Aber sie schweben nur schweigend an mir vorbei, türmen sich auf zu riesigen Gebirgen, ballen sich zusammen, werden auch manchmal schwarz, so als hätten sie Wut und Ärger und müssten den loswerden, egal wie und auf Teufel komm raus. Ab und an folgt diesen schwarzen Wolken auch einmal ein Gewitter, wovor ich dann schnell in die Sicherheit des nächsten Hauses flüchten muss, wo mir, trotz, dass mich hier niemand kennt, freundlich Einlass gewährt wird. So etwas würde es in meiner Heimat nicht geben. Da sind wir jeder uns der Nächste. Der Nächste, ja wer ist eigentlich unser Nächster? Wir selber? Unser Partner? Unsere Kinder? Die Eltern, die uns gezeugt, aufgezogen und erzogen haben, nach besten Wissen und Gewissen. Die wollten, dass wir eine gute Erziehung genießen und auch in heiklen Situationen unsere gute Kinderstube nicht vergessen und den anderen respektieren und seine Gefühle nicht verletzen, egal ob dieser Freund oder Feind ist. Die Arbeitskollegen? Freunde? Ich weiß es nicht. Mir fehlt so oft, wenn ich zu Hause bin, die Wärme und die Nähe der Familie, obwohl ich selber eine habe. Aber der Stress des Alltags lässt es manchmal nicht zu, dass man sich näher kommt, dem anderen zuhört oder einfach auch mal nur Spaß zusammen hat. Nein, dann lieber lassen wir uns vom Stress treiben und denken nicht daran, dass man auch an die schönen Seiten des Lebens denken muss, um zu existieren.
Während diesen Zeiten denke ich immer an die gemeinsamen Urlaube zurück, wenn ich da oben auf dem Berg gesessen und nachgedacht habe. Oder einfach auch nur in die Ferne geschaut habe. Die Ruhe genossen habe, die um mich war, kein Verkehrslärm, kein Fernseher und kein Radio, kein Internet, kein Handy, das ständig klingelt, manchmal sogar nicht einmal ein Auto, mit dem man von A nach B kam, sondern zu Fuß zu gehen muss, um an einen anderen Ort zu gelangen. Das einfache Leben, die Einschränkungen die man hat, wie man mit einfachen Mitteln ein Mahl auf den Tisch bringt, ohne erst in den Supermarkt zu gehen, um teure Zutaten einzukaufen. Wo man im Ofen ein Feuer anzünden muss, um es warm zu haben oder ein Essen zu kochen und vorher das Holz dafür aus dem Wald holen muss. Wo die Kühe friedlich auf den grünen Wiesen grasen, die Schäfer mit ihren Herden durch die Berge ziehen, die zum Schutz vor Wölfen von riesigen Hunden bewacht werden. Wo ich nachts auf einem einfachen und harten Lager, ja manchmal sogar nur auf einer dünnen Matratze schlafe, wohin sich ab und an mal eine Maus hin verirrt, die dann die unter meinem Kopfkissen versteckte Schokolade nascht, ohne dass sie verscheucht wird. Auch mal eine Spinne ihr Netz in der Zimmerecke baut, das nicht gleich von der Hausfrau entfernt wird. Oder auch mal eine kleine Eidechse durch das geöffnete Fenster huscht und schnell versucht zu entkommen, wenn man sie entdeckt hat. Wo jedes Lebewesen als ein Geschöpf Gottes angesehen wird, das das Recht hat, zu leben und zu lieben.
Das ist für mich Leben, ein Leben in Ruhe und Zufriedenheit, ohne Stress und Hektik, Autoabgase, Flugzeuglärm.
Und dann, wenn ich wieder im Urlaub bin, da oben auf dem Berg an meiner Lieblingsstelle sitze, nachdenke oder einfach nur in die Ferne schaue. Dann geht mir durch den Kopf: Wie schön, dass es hier diesen Ort gibt, wohin ich mich zurückziehen kann, wo ich aufgenommen wurde, ohne dass man auf meine Religion geschaut hat, wo man mich so akzeptiert, wie ich bin, wo ich mich nicht verstellen muss, sondern ich einfach nur ich sein. Wo der Respekt zum anderen noch groß geschrieben wird. Dann bin ich glücklich, dass mich mein Weg hierher geführt hat, da, wo ich dem Himmel so nah bin.
Mein liebster Schatz
Mit diesen wenigen Zeilen in dem kleinen Buch wollte ich Dir sagen, wie sehr ich Dich liebe.
Für immer!
Deine Frau
Willst vergessen deine Mühen,
Willst vergessen deinen Schmerz,
Musst auf Heimatberge steigen,
Dort schlägt froh dein Herz!
© Milly B. / April 2010