Aus der Geschichte eines deutschen Vorzeigeobjektes
Wer Prora kennt, weiß wo dieser kleine Ort liegt. Direkt am schönen Ostseestrand auf der Insel Rügen, wo viele von uns gerne Urlaub machen würden oder auch schon gemacht haben. Doch Prora hat nicht nur schöne Seiten. Prora ist auch ein Teil der deutschen Geschichte, an die nicht alle von uns gerne erinnert werden, die Zeit des NSDAP-Regimes. Und doch gehört diese Zeit dazu und keiner kann sie verleugnen.
Vor Jahren besuchte ich Prora. Ich wusste von diesem Ort, konnte mir aber noch keine großen Bilder dazu in meinem Kopf machen. Etwa 25 Jahre vorher war ich zum letzten Mal auf der Insel, aber interessiert an Prora war ich damals noch nicht.
Wie es dazu kam, dass ich mich dorthin begab, erzählt nun meine kleine Geschichte.
Während eines Praktikums in meiner Umschulung arbeitete ich in einem Museum. Ich erzählte bereits kurz davon in meinem Beitrag über Nürnberg. Zu Ende meiner Praktikumszeit ging mir die Arbeit aus und mein Chef machte sich Gedanken, was er mir noch aufgeben konnte, damit ich mich nicht langweilte. So kam ich dazu, die Memorien eines ehemaligen Werdauer Bürgers abzuschreiben. Nun gut, werden sich manche denken, eine langweilige Arbeit. Aber da ich schon immer sehr an Geschichte interessiert war, packte mich auch hier das Fieber, mehr darüber zu erfahren.
So begann ich, diesen riesigen Ordner zu durchforsten, zu lesen, abzuschreiben und zu korrigieren. Leider reichte meine Zeit im Praktikum dann doch nicht aus, die Arbeit zu Ende zu bringen. Daher machte ich den Vorschlag, sie in meiner Freizeit zu beenden. Ein Schritt, den ich nie bereut habe. Denn ich erfuhr Dinge, von denen ich niemals gehört hatte, geschweige denn, dass wir dies in der Schule behandelt hatten. Nein, noch schlimmer: Ich musste erfahren, dass wir bei vielen Dingen regelrecht belogen wurden.
Doch will ich mich hier nicht über diese Arbeit auslassen, sondern lieber über meinen Besuch in Prora berichten.
Der Mann, der die Memorien schrieb, lebte inzwischen seit etwa 60 Jahren auf Rügen, genauer gesagt, in Saßnitz. Als ich mit der Arbeit fertig war, beschlossen wir, dass ich ihm seine Unterlagen persönlich bringe. Also machte ich mich eines schönen Tages auf den weiten Weg nach Saßnitz.
Mich erwartete ein alter Herr Anfang neunzig, noch recht rüstig und fit, der neugierig am Bahnsteig stand und eine Postkarte hochhielt. Obwohl ich nur ein Bild aus seiner Jugendzeit im Ordner mit seinen Aufzeichnungen gesehen hatte, erkannte ich ihn sofort. Wir waren uns schnell einig und kamen gut miteinander zurecht. Voller Elan zeigte er mir „seine Insel“. Ich kam an Ecken, die ein normaler Tourist nie finden würde.
An meinem vorletzten Tag fuhren wir nach Prora, wo er mir seine ehemalige Arbeitsstelle zeigte. Wir fuhren mit dem Bus über die Insel. Sahen mal hier, mal da was an. Es regnete in Strömen, dass nicht einmal ein Schirm etwas brachte. Der Wind peitschte uns den Regen ins Gesicht. Wir wurden nass wie gebadete Pudel, doch das schmälerte meinen Entdeckungsdrang nicht. Wir waren ja nicht aus Zucker.
Bevor wir die Anlage des ehemaligen KdF-Bades (KdF = Kraft durch Freude) erreichten, mussten wir einige hundert Meter zu Fuß zurücklegen. Eine kleine Wohnanlage mit schönen Bungalows kreuzte unseren Weg, der sich durch die sandigen Dünen schlängelte.
Dann sah ich es endlich: Majestätisch baute sich die riesige Anlage des KdF vor mir auf. Sechs Geschosse hoch und acht je 550 Meter lange Gebäudeteile schlängelten sich am Strand entlang. Ein Bau, der mich in Staunen versetzte. So etwas hatte ich meinen Lebtag noch nicht gesehen. Ein Meisterwerk der Baukunst.
Leider etwas verkommen, musste ich feststellen. Der Zahn der Zeit nagte an den Gebäuden, die nur noch teilweise genutzt wurden. Doch einige wurden modernisiert, moderne Apartments wurden in den Gebäuden errichtet, die während des Nazi-Regimes als Erholungsort genutzt werden sollten. In einem kleinen Museum erfuhr ich alles, was ich über die Geschichte der Anlage wissen wollte.
Während des Nazi-Regimes sollte Prora das größte Erholungszentrum im Deutschen Reich werden. Genauestens ausgeklügelt, alles nach Plan – eingepresst wie in eine Sardinenbüchse sollten die Menschen dort Urlaub machen und sich nach strengen Regeln mit einem genauestens ausgeklügelten Plan erholen. Alles zum Wohle der Deutschen. Später sah ich im Fernsehen mal eine alte Reportage darüber, wie es aussehen sollte. 1937 wurde der Gesamtentwurf auf der Weltausstellung in Paris sogar mit einem Grand Prix ausgezeichnet. Nun gut, ob das damals gerade richtig war, da streiten sich die Geister. Mein Engelchen in mir sagt, es war nicht richtig, wenn man an die Grauen des Krieges denkt, der nur zwei Jahre später begann. Doch damals war es das Non-Plus-Ultra.
Nach dem Krieg stand der Komplex vor dem Aus. Was mit dem Relikt tun, das an eine schlimme Zeit erinnert. Aber russischen Besatzer wussten einen Rat, wenn auch keinen schönen. Großgrundbesitzer wurden dort interniert und Vertriebene aus den Ostgebieten untergebracht. Später wurden Teile der Anlage zur Reparationszahlung demontiert und in die UDSSR verbracht. Von 1948 bis 1953 nutzte ausschließlich die Rote Armee das Gelände.
Ursprünglich sollte die Anlage weiter als Erholungsgebiet genutzt werden. Auch eine Nutzung als Industriegebiet stand zur Frage. Aber dann wurde der militärische Ausbau beschlossen. 1949 soll es dort schon eine Infanterieschule mit etwa 1000 Mann gegeben haben, woraus 1950 die kasernierte Polizeibereitschaft hervorging, die wiederrum in die 1952 gegründete Kasernierte Volkspolizei integriert wurde. Aus letzter wurde 1956 die Nationale Volksarmee der DDR, von etwa 10000 Soldaten nur in Prora kaserniert waren.
All dies war in Prora untergebracht. Platz genug für viele Menschen. Angeblich sollen bis zu 19000 Menschen am Wiederaufbau beteiligt gewesen sein. Eine Zahl, die ich mir nicht vorstellen kann, aber wenn ich die Größe der Anlage sehe, wohl gerechtfertigt ist.
Bis in die 80ger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde Prora immer weiter ausgebaut. Mehrheitlich wurde die Anlage von der Armee genutzt, aber auch eine Jugendherberge war dort untergebracht, die 1982 geschlossen wurde.
In Prora-Ost befand sich die Militärtechnische Hochschule, wo auch mein Gastgeber bis fast zu seiner Pensionierung als ziviler Dozent arbeitete. Teile der Anlage wurden von der NVA als Erholungsort, Campingplatz und Kinderferienlager genutzt – zugänglich natürlich nur für NVA-Angehörige, denn das Gebiet war Sperrgebiet und für Otto-Normalbürger war es verboten, sich dort aufzuhalten.
Nach der Wiedervereinigung 1990 übernahm die Bundeswehr. 1993 war Schluss mit lustig, die Bundeswehr zog sich zurück und gab damit Prora dem Verfall preis. Seitdem ist das Gelände wieder öffentlich zugänglich. Ein Gebäudekomplex wird als Museum genutzt, wovon ich weiter oben bereits sprach. 1994 ging der gesamte Komplex als eine der größten Hinterlassenschaft des NSDAP-Regimes in den Denkmalschutz über.
Es wurde versucht, alles zu verkaufen. Doch wer will schon etwas kaufen, wo Denkmalschutz drauf ist und auch noch solch immense Ausmaße aufweist. Die Auflagen für Wiederaufbau und Erhaltung sind sehr hoch und kaum zu bewältigen. Daher wurden auch nur wenige Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, was den baulichen Begebenheiten nicht zum Vorteil war. Die Anlage verfiel zusehend, der Zahn der Zeit nagte daran.
Doch nun genug vom Geschichtlichen. Zurück in die Zukunft und zu meinen Eindrücken. Wenn ich mich jetzt noch daran erinnere, denke ich, es wäre erst gestern gewesen, wo ich dort war. Der Eindruck, der das KdF-Bad bei mir hinterlassen hat, ist riesig. Ich sehe die Bilder vor mir, das gigantische Gebäude, einige Kilometer lang, direkt an einem herrlichen Sandstrand an der Ostsee. Der Blick aus dem Fenster muss herrlich gewesen sein. Die Weite der Ostsee, die Wellen, das Wasser, der Wind, Sonne pur, der Strand, an dem sich Kinder tummeln und Sandburgen bauen. Die Eltern in der Nähe, die Augen achtsam auf den Nachwuchs gerichtet.
Auch sehe ich die vielen Menschen vor mir, die den Komplex errichtet haben. So nah am Ostseestrand und trotzdem keine Möglichkeit, sich zu erholen. Später der Sperrbezirk, zu dem nur ausgesuchte Leute Zutritt hatten.
Dann als krasses Gegenteil die Wirren des 2. Weltkrieges, in dem Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten, umgebracht vom menschenfeindlichen NSDAP-Regime oder ums Leben gekommen an den Kampffronten der verfeindeten Nationen. Im Gegensatz dazu muss das KdF-Bad eine Oase des Friedens gewesen sein.
© Milly B. / 08.08.2022