Es war einmal, vor vielen Jahren… so beginnen viele Märchen. Doch es ist keinesfalls Märchen, sondern die Wahrheit.
Es war einmal ein kleines Volk, gerade 17 Millionen zählte es. Die Menschen waren einfach, gaben sich mit dem Wenigen zufrieden, das sie hatten. Sie lebten in einfachen Verhältnissen, hatten nur wenig, denn es gab auch nicht viel zu kaufen. Nur einige kannten Luxus. Doch die Meisten mussten sich mit den zufrieden geben, das für sie übrigblieb. Oft war das nichts.
Apfelsinen, Bananen… Pustekuchen. Wenn überhaupt, dann mal zu Weihnachten, wenn das nicht wegen irgendeiner Mangelwirtschaft abgesagt wurde. Ab und an wurden sogar die Eier knapp. Wohl dem, der ein paar Hühner sein Eigen nannte und sich somit selbst versorgte.
Wohnungen gab es genauso wenige wie alles andere. Daher wurde Wohnungsbau angeordnet. An den Rändern der Städte entstanden große Gebiete, Heringsbüchsen gleich, in denen die Leute eingepfercht wurden. Doch gab es dort Warmwasser aus der Wand und Zentralheizung. Man musste sich um nichts weiter kümmern, nicht mal die Miete war hoch. Die dort leben durften, konnten sich glücklich schätzen. Ganz anders zu den Menschen, die in den Dörfern oder in Altbauten lebten. Und trotzdem war das Dorfleben viel schöner als in der Stadt.
Autos – oh weh. Über 10 Jahre musste gewartet werden, bis man ein neues Auto bekam. Gebrauchte waren noch teurer als Neue. Welch ein Wahnsinn.
Planwirtschaft war angesagt. Plan hier, Plan da. Er musste erfüllt werden, komme, was wolle. Doch wozu Planwirtschaft, wenn es nichts gab, mit dem produziert werden konnte. Parteisekretäre hielten große Reden, nur die Regierung redete noch mehr. Es wurde viel gekehrt, vor allem unter den Teppich.
Irgendwann sagte sich das Volk: „Was soll das? Warum wird uns Wasser gepredigt, aber die Oberen trinken Wein?“
Einige begannen zu hinterfragen. Nicht ganz ungefährlich. Und trotzdem wagten es immer mehr. Viele verließen das Land, anfangs heimlich über Urlaubsländer, dann offiziell. Doch es gab immer noch welche, die sich mehr wagten. Die ersten gingen auf die Straße. Rufe wurden laut: „Wir sind das Volk!“ Es wurden immer mehr, Woche für Woche. Die Rufe wurden noch lauter. Sie verbreiteten sich durch das ganze Land. Von Nord nach Süd, von Ost nach West. Sogar die Medien im Ausland berichteten. Im Land wurde immer noch gekehrt, wie gehabt, unter den Teppich.
Nach einiger Zeit war es nicht mehr zu verleugnen. Es wurde überlegt, was zu tun sei. Aber die wenigen Zugeständnisse reichten bei Weitem nicht aus. Der 40. Jahrestag der Republik kam. Die Regierung feierte, als wäre nichts gewesen, als gäbe es keine Demonstranten und unzufriedene Menschen im Land.
Dann endlich! Wie aus heiterem Himmel geschah es. Ein Versehen war es wohl, munkelte man. Die Grenzen waren offen, von Jetzt auf Gleich. Das Volk jubelte. Alle durften reisen, Verwandte besuchen, die sie schon sehr lange nicht sehen durften, weil eine Grenze sie trennte, die nicht übertreten werden durfte.
Viele waren glücklich, manche skeptisch. Doch die Revolution war am Ende friedlich. Ganz anders als viele vorher.
Und heute? Über 30 Jahre später? Das Volk ist wieder unzufrieden. Wird es erneut eine Revolution geben? Keiner weiß es.
© Milly B. / 08.01.2023