Die Pfahlbauten
Es ist schon aufregend, in der Zeit zurückzureisen. Das funktioniert gar nicht, wird so Mancher von Euch sagen. Ich aber behaupte, das ist möglich! Ich tat es bereits und es war ungeheuerlich spannend.
Es war 2012, Ende Juli. Noch etwas über einen Monat und für mich würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Am 3. September sollte meine Umschulung zur Bürokauffrau starten. Ich freute mich schon darauf, einen neuen Beruf zu erlernen, neue Leute kennenzulernen und zu sehen, wie es ist, mit über vierzig Jahren wieder auf der Schulbank zu sitzen. Doch vorher wollte mir mein Freund noch etwas Gutes tun und mit mir verreisen.
Anfangs sträubte ich mich ein wenig dagegen, aber dann gab ich nach… das habe ich nie bereut.
An einem schönen Morgen Mitte August ging es los. Es war noch sehr früh, sogar noch dunkel. Der Weg war weit und es dauerte lange, bis wir vom Altenburger Land in Winterthur, in der Schweiz, unserem ersten Ziel, ankamen. Die etwa 800 Kilometer fuhren sich nicht in nur zwei Stunden. Da mein Freund kein Auto mehr fahren konnte, war es an mir, Strecke unter den Räder zu bekommen. Ich fuhr schon immer gerne und viel Auto. Daher machte mir dies nichts aus, die ganze Strecke allein zu fahren. Die zwei Tage Schweiz waren herrlich.
In Winterthur hatte uns ein Freund aus dem Schweizer Landen ein Zimmer gebucht. Ihn trafen wir dann auch und verbrachten eine schöne Zeit mit ihm.
Von Winterthur aus fuhren wir nach Konstanz. Ein genaues Ziel hatten wir dort nicht. Wir hatten auch kein Hotel gebucht. Natürlich war das ein Risiko, mitten in den Sommerferien. Doch wir waren voller Vorfreude und Zuversicht. Irgendwo würden wir schon etwas zum Schlafen finden, da waren wir uns beide einig. Einer Reisegruppe wollten wir uns nicht anschließen. Wir fanden es viel zu langweilig, wie eine Herde Schafe hinter einem Touristenführer her zu traben und seinen Ausführungen zu lauschen. Erstens war uns so etwas auch viel zu viel Stress und zweitens wollten wir im Urlaub tun und lassen, was uns gefiel und uns keine Vorschriften machen lassen.
Unser erstes Augenmerk in Konstanz galt der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Zwei Nächte und einen Tag verbrachten wir in Konstanz, wo mein Freund einen Teil seiner Kindheit verbrachte und mir so einiges zeigte, was für mich interessant war. Ich fand die Stadt, den See und die Umgebung wunderbar und nahm mir vor, irgendwann wiederzukommen.
Aber wir wollten in unserem Urlaub nicht nur an einem Ort bleiben. Wir wollten weiter und mehr sehen.
Wir suchten einige Städte rund um den Bodensee heim. Darunter war Meersburg, das wir mittels einer Fähre von Konstanz aus über den See erreichten. Stein am Rhein in der Schweiz, auch Bodman war dabei. Die Rheinfälle in Schaffhausen waren kein Reinfall, sie waren sehenswert. Ein Besuch auf der Insel Mainau war natürlich Pflicht. Urlaub am Bodensee ohne die Mainau zu sehen, grenzt an Frevel.
Zuletzt landeten wir in Überlingen, wo wir für mehrere Tage ein Hotel fanden, das Zimmer frei hatte. Es war zwar teuer, aber unser Budget war groß genug. Von dort aus starteten wir einige Ausflüge, hingen aber auch mal einen Tag am hoteleigenen Strand ab und badeten im Bodensee. Einer unserer Ausflüge führte uns nach Unteruhldingen.
Doch jetzt zu dem absoluten Highlight des Urlaubs.
Im Internet hatte ich in Unteruhldingen etwas gefunden, was mich interessierte und was ich unbedingt sehen wollte. Die Pfahlbauten aus der Stein- und Bronzezeit. Ich hatte auch schon Berichte darüber gesehen, es aber wieder vergessen. Erst die Internetrecherche brachte mich wieder darauf. Da ich mich sehr für Geschichte interessiere, war es für mich sozusagen Pflichtprogramm. Die Stein- und Bronzezeit war zwar nicht so die Zeit, für die ich mich richtig interessierte, aber so etwas gesehen zu haben, war schon was. Also machten wir uns auf nach Unteruhldingen.
Mein Freund kannte das Museum schon und wollte nicht mit hineingehen. Daher setzte er sich in eine Gaststätte und genoss das eine oder andere Bierchen. Meine Gedanken waren nur: „Wenn das mal gut geht bei der Hitze.“ Es war an diesem Tag nämlich unheimlich warm. Eigenartigerweise machte mir das nicht viel aus. Ich schwitzte zwar, aber nicht so heftig wie zu Hause, wenn die Anzeige des Thermometers so nach oben schoss. Am Bodensee ist das Klima ein wenig anders als im Altenburger Land, fast schon mediterran. Für mich ist dies ein wenig bekömmlicher. Überdies wehte an diesem Tag noch ein laues Lüftchen, was die Hitze etwas erträglicher machte.
Eine kleine Bootsfahrt war der Auftakt des Tages. Vom See aus konnten wir einen ersten Blick auf die Pfahlbauten werfen. Es war beeindruckend, die alten reetgedeckten Häuser, ja, sogar ein ganzes Dorf, auf Pfählen am Rand des Bodensees. Ich konnte meinen Blick gar nicht mehr abwenden und konnte es kaum noch erwarten, ins Museum zu kommen.
Die Pfahlbauten in Unteruhldingen sind ein Freilichtmuseum, in dem ein Dorf aus der Stein- und Bronzezeit nachgebaut wurde. Archäologen fanden um 1911 im Bodensee Überreste einer historischen Pfahlbausiedlung. Leider war es nicht möglich, das Dorf wieder so zu restaurieren, herzustellen, dass die ursprüngliche Form zu erkennen war. Daher wurde es sehr detailgetreu nachgebaut. Leider hatte das zur Folge, dass es kein Teil des Weltkulturerbes wurde, sondern nur auf die Liste dessen aufgenommen wurde.
Das Museum wurde seit der Eröffnung 1922 mehrfach umgebaut und erweitert. Zuletzt wurde dies 2014 getan, also zwei Jahre nachdem ich dort gewesen bin.
Das Museum ist in fünf verschiedene Dörfer eingeteilt. Unter anderem wurde dort das SWR-Dorf gebaut, in dem die Serie „Steinzeit – Das Experiment. Leben wie vor 5000 Jahren“, gedreht wurde. Das ist auch die Sendung, die ich im Fernsehen gesehen hatte.
Außerdem gibt es dort noch das bronzezeitliche Dorf Unteruhldingen, das Hornstaad- und Arbon-Haus, das steinzeitliche Dorf Sipplingen, das bronzezeitliche Dorf Bad Buchau und die Steinzeithäuser Riedschachen.
Das gesamte Dorf ist nur über breite Stege erreichbar. Gleich zu Beginn erhält man eine Belehrung, wie man sich zu verhalten hat. Anfassen ist natürlich nicht erlaubt, es ist ja ein Museum, das täglich viele Menschen besuchen. Außerdem durfte in den Häusern nicht fotografiert werden, da der Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde das Markenrecht darauf hat. Verbotenerweise tat ich es doch einmal, unbemerkt von den anderen Besuchern.
Die Stege fungieren wie unsere Straßen und Wege. Auf ihnen kann man von einem Haus zum anderen gehen. Es gibt sogar kleine Plätze, die wohl für Zusammenkünfte, oder auch Feste genutzt wurden. Ansonsten war alles vorhanden, was man sich in einem steinzeitlichen Dorf vorstellen konnte.
In den einzelnen Häusern wird das Leben der Menschen in diesem Zeitalter sehr genau dargestellt. Ich war erstaunt, wie einfach damals die Menschen lebten und wahrscheinlich doch glücklich waren. Natürlich gab es nicht das, was wir heutzutage haben und was wir uns unter Luxus vorstellen. Aber sie kannten es nicht anders und ein anderes Leben war nicht möglich. Sie lebten in kleinen Sippen zusammen, verrichteten alle Arbeiten gemeinsam, fischten, bestellten Felder, hielten Tiere und vieles mehr. Das Leben war ganz bestimmt hart, jeden Tag auf den See hinaus zu müssen, damit genügend Essen auf den Tisch kam und somit das Überleben der Sippe zu sichern.
Ich hatte bereits Krüge, Töpfe und anderen Hausrat aus der Steinzeit im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gesehen. Doch in Unteruhldingen konnte ich alles noch genauer betrachten. Immerhin kam ich hier sehr viel näher heran und wenn ich wollte, oder es dürfte, würde ich diese Dinge sogar berühren können. Es war erstaunlich, wie klein die Betten waren. Die Menschen waren wohl sehr viel kleiner als wir heutzutage. Anstatt Matratzen sorgte Stroh für Bequemlichkeit im Bett, mit gegerbten Tierhäuten schützte man sich vor der Kälte der Nacht.
Was mich besonders beeindruckte, waren die Pfähle, die in den Grund des Bodensees getrieben wurden und auf denen die Stege und Häuser gebaut wurden. Sogar Feuer konnte gemacht werden, sehr imponierend bei Holz.
Sogar Tiere wurden dort gehalten werden. Auch heute sind Nutztiere, wie Ziegen, einige Schafe und Hühner Bestandteil des Museums. Die Menschen, die ursprünglich dort lebten, hielten ebenfalls Tiere, die sie aßen, obwohl sie eigentlich auf dem Bodensee fischten.
Ich war viel zu schnell am Ende des Rundgangs angekommen. Am liebsten wäre ich noch länger geblieben. Doch wir hatten an diesem Tag noch mehr vor. Ein Besuch des Reptilienhauses in Unteruhldingen stand uns noch bevor, den mein Freund ein wenig angeschickert absolvieren musste. Denn dieses Mal bestand ich darauf, dass er mich begleitete. Ich hatte meinen Spaß dabei und er die Kopfschmerzen.
Unser Urlaub ging leider viel zu schnell vorüber. Aber einen Tag hatten wir noch. Auf dem Heimweg ins Altenburger Land machten wir noch einen Zwischenstopp in Donaueschingen, wo wir übernachteten und die Quelle der Donau bestaunten.
© Milly B. / 01.11.2022