Nach einem langen und anstrengenden Tag wollten wir endlich zu Bett gehen. Anne* hatte uns eine Couch in einem der Nebenzimmer zurechtgemacht. Sie war zwar nicht sehr breit und bequem, aber zum Schlafen gerade noch geeignet.
Meine erste Nacht dort oben auf dem Berg begann. Ich ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Viele Leute hatte ich kennengelernt und ich war sehr freundlich aufgenommen worden. Eigentlich hatte ich das nicht erwartet, eher Gleichgültigkeit. Doch dann dachte ich mir, es läge an der so sehr geschätzten Gastfreundlichkeit der Türken. Dass es nicht nur mit Gastfreundlichkeit zu tun hatte, erkannte ich erst im Laufe der Jahre, in denen ich die Familie dort oben besuchte. Ich hatte sie in mein Herz geschlossen. Umgedreht war es nicht anders. Anne und auch Baba vergötterten mich beinahe.
„Vorhin gab es noch was zu lachen“, riss mich mein Freund aus meinen Gedanken.
„Warum das?“, fragte ich.
„Na ja, es gab eine kleine Diskussion, wo du schlafen sollst“, erwiderte er. „Baba sagte, wir können nicht zusammen in einem Zimmer und einem Bett schlafen, wir wären ja nicht verheiratet.“
Ich musste lachen. Gut, ich hatte schon Kenntnis davon, dass Unverheiratete in der Türkei nie und nimmer in einem Zimmer, geschweige denn in einem Bett schlafen dürfen, das wäre haram**. Doch, dass mich das hier auch treffen könnte, darauf kam ich gar nicht. Ich hatte mir da nicht einmal Gedanken darüber gemacht.
„Und wie hast du es geklärt?“, wollte ich wissen.
„Ganz einfach. Ich habe gesagt, wir sind lange genug zusammen, um auch in einem Bett schlafen zu können. Baba schaute zwar ein wenig komisch, aber dann hatte er nichts mehr dagegen.“
„Was wäre gewesen, wenn er nicht einverstanden gewesen wäre?‘“, fragte ich noch.
„Da hätten wir uns fügen müssen. Ich hätte Baba nie widersprochen“, bekam ich erklärt.
Ein wenig musste jetzt ich darüber schmunzeln. Doch irgendwie kam mir das auch bekannt vor. War ich nicht auch so erzogen worden, wenn Ältere etwas sagten, ist dies sozusagen Gesetz? Ich erinnerte mich da nur zu genau an meine Oma, die selten einen Widerspruch duldete. Ähnlich schien es auch hier zu sein.
Während mein Freund schnell eingeschlafen war (gewisser Lärm verbot sich von selbst), konnte ich lange nicht in den Schlaf finden. Fremde Gerüche, eine fremde Umgebung und ungewohnte Geräusche, das alles war für den ersten Tag wohl ein wenig viel. Unter uns hörte ich die Kuh in ihrem Stall, wie sie sich bewegte, ab und zu hörte ich sie auch mal muhen. Es raschelte lauter, wohl eine Maus, die sich ins Zimmer verirrt hatte. In der Ferne hörte ich einen einsamen Schakal heulen. Außerdem war es stockdunkel. Nicht mal der Mond hatte Lust, mit seinem Licht die Berge zu erhellen. Straßenbeleuchtung gab es hier auf dieser Seite des Hauses nicht. Das Haus stand ja ein wenig weiter unten am Hang und nicht direkt an der Straße.
Irgendwann übermannte mich dann doch die Müdigkeit und ich schlummerte ein. Jedoch war es mir nicht vergönnt, ruhig und traumlos zu schlafen. Irgendwas piesackte mich in den frühen Morgenstunden so sehr, dass ich davon wach wurde.
Auf meiner Bettdecke saß etwas Schweres. Ich nahm an, die Katze, die ich am Tage hatte hier rumschleichen sehen, war heimlich hereingeschlüpft und hatte es sich nun auf der Decke bequem gemacht. Von zu Hause her kannte ich das von meinen eigenen Katzen. Mein Bett war ein beliebter Schlafplatz.
Inzwischen wurde mir dieser ungebetene Schlafgast zu schwer. Ich wollte mit meinen Beinen strampeln, um ihn zu verjagen.
Doch was war das? Meine Beine waren schwer wie Blei. Bewegen konnte ich sie auch nicht. Als ich mich aufsetzen wollte, gelang auch dies mir nicht. Irgendwas hielt mich eisern fest. Schreien gelang mir ebenfalls nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Krampfhaft überlegte ich, was ich tun soll. Doch so sehr ich auch überlegte, ich kam zu keiner Lösung.
Irgendwann muss ich wieder eingeschlafen sein. Als ich wach wurde, zog mein Freund sich eben an.
„Ich muss mal. Komme gleich wieder", sagte er zu mir und ging nach draußen.
Im Flur hörte ich gleich darauf ein aufgeregt klingendes Gespräch, wovon ich kein Wort verstand.
Mein Freund kam nach einigen Minuten zurück ins Zimmer.
„Sag mal. Hast du die Nacht das auch bemerkt? Da war etwas hier. Ich nahm an, es war eine Katze", meinte ich zu ihm und erzählte von dem Vorkommnis in der Nacht.
Mein Freund hörte genau zu und sagte dann:
„Ich habe das auch gemerkt. Das saß auch auf mir. Ich glaube, ich weiß, was das war."
Er tat so geheimnisvoll.
„Nun erzähl schon", drängelte ich.
„Gut", begann er mit etwas seltsam verkniffenem Gesichtsausdruck. „Letzte Nacht ist eine meiner weitentfernt verwandten Tanten gestorben. Sie ist wohl hier gewesen und hat sich verabschiedet."
Ich konnte kaum glauben, was ich da eben gehört hatte.
„Erzähl nicht so einen Humbug“, begann ich zu lachen. „Wenn man tot ist, kann man nirgendwo mehr hingehen.“
„Doch, als Geist“, beharrte mein Freund auf seiner Meinung. Dann erzählte er mir von den Geistern, die es hier gab.
„Das ist so“, begann er, „wenn ein Mensch stirbt und sich nicht von allen verabschieden konnte, tut er das noch als Geist. Er besucht diejenigen vor allem nachts alle diejenigen, von denen er es bisher nicht konnte. Oft spüren es diese nicht, und wenn doch, dann so wie wir letzte Nacht. Man ist bewegungsunfähig, bekommt aber alles mit.“
„Was du für Unsinn erzählst“, gab ich wieder von mir. Solch Geisterkram konnte es doch gar nicht geben.
„Es gibt aber auch andere, böse Geister, die einen erschrecken oder Schlimmes wollen“, erzählte mein Freund weiter. „Die sind allerdings ganz selten. Meist sind es nur welche, wie der meiner entfernten Tante, die uns letzte Nacht heimgesucht hat. Vor denen muss man keine Angst haben.“
Dann erzählte er noch, dass seine Großmutter oft nachts im Schlafzimmer der Kinder war und über sie gewacht hat.
Für mich war das alles Humbug, so etwas konnte man doch gar nicht glauben. Doch Jahre später hatte ich noch zwei Begegnungen dieser Art, allerdings in meinem eignen zu Hause in Deutschland.
Einmal, das war 1998, in der Nacht zum 20. Juli. Mein jüngster Sohn war damals knapp drei Monate alt. In dieser Nacht hat er geschrien wie am Spieß. Ich konnte ihn nicht beruhigen. Obwohl es windstill war, bewegte sich die Gardine im Schlafzimmer. Es kam mir vor, es liefe jemand im Zimmer auf und ab. Drei Jahre später hatte ich ein ähnliches Erlebnis. Mein Freund war damals die Woche über außerhalb zum Arbeiten. Da ich oft nachts nicht schlafen konnte, las ich lange. Es war wieder nachts, diesmal die Nacht zum 23. Januar. Es war still im Zimmer. Ich hatte eben das Licht gelöscht, da ich schlafen wollte. Mein Jüngster schlief bei mir im Bett, die beiden älteren Kinder in ihrem Zimmer. Plötzlich meinte ich zu hören, wie jemand im Raum herumlief. Ich knipste das Licht an, nichts zu sehen. Licht aus, wieder Schritte. Licht an, nichts. So ging das einige Zeit, bis es mir dämmerte. Der 23. Januar war der Geburtstag meines ersten Ehemannes, dem Vater meines ältesten Sohnes. Nun wusste ich auch, warum damals mein Jüngster so unruhig war und nicht zu beruhigen war. Der 20. Juli war der Geburtstag meiner Großmutter.
Irgendwann hatte ich es satt, ständig das Licht an und auszumachen.
„Hau ab, lass mich in Ruhe!“, schimpfte ich laut in den Raum hinein. Ich wollte mit Geistern nichts zu tun haben. Eine Freundin von mir, die lange Jahre in der Türkei lebte, erzählte mir einmal, man muss die Geister laut ansprechen und „Hau ab“ sagen. Dann gehen die. Es war auch so. Plötzlich war Ruhe.
Nun aber zurück in meiner Erzählung in die Türkei.
„Ich muss nachher mit zur Beerdigung“, sagte mein Freund zu mir, während ich mich bereits anzog.
„Muss ich da auch mit?“, fragte ich.
„Nein, du musst nicht mit. Bei islamischen Beerdigungen*** haben Frauen nichts zu suchen. Das ist Männersache und für Frauen verboten“, erklärte er mir.
Ein wenig war ich beruhigt, doch war es mir trotzdem nicht ganz wohl zumute, alleine hier bleiben zu müssen, auch wegen der Verständigungsschwierigkeiten. Doch es ging besser, als ich gedacht hatte.
*türkisch: Mama, Mutter
** verboten, unerwünscht
*** Infos dazu hier: http://www.al-nur-bestattungen.de/?gclid=CIPZvvvZnLACFca-zAodLBUyWQ
© Milly B. / 26.05.2012