Oft sitze ich einfach nur da und überlege. Vor allem über die aktuelle Lage, die sich nun schon seit fast zwei Jahren hinzieht und die Welt auf Trab hält.
Anfangs dachte ich, in ein paar Monaten ist der Spuk vorüber. Dann ist alles wieder wie zuvor. Doch je länger es sich hinzog, desto nachdenklicher wurde ich.
Während der ersten Welle war ich noch voll der Überzeugung, das kriegen wir hin. So schlimm kann das doch gar nicht sein, dass wir das nicht in den Griff bekommen. Außerdem sind wir nicht mehr im Mittelalter und wir haben gute Medikamente. Wenn sich die Menschen etwas zusammenreißen und aufpassen, wird das schon.
Dann kam die zweite Welle. Ich blieb gesund. Um mich herum Infizierte. Angst hatte ich immer noch nicht. Ich schützte mich.
Doch aller Schutz half nichts. Im Januar wurde ich krank. Wo hatte ich mich angesteckt? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich beim Einkaufen. Tests, Quarantäne, Alleinsein… nach zwei Wochen endlich Entwarnung.
Doch noch immer kämpfte ich mit den Folgen. Atemnot, Husten, körperliche Schwäche, Geschmacksveränderungen, Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen. Erst nach drei Monaten war ich einigermaßen wieder so weit hergestellt, dass ich Treppe steigen konnte, ohne mehrmals anhalten zu müssen. Trotzdem fühlte ich mich schlapp, wie ausgelaugt.
Impfungen waren damals bereits voll im Gange. Ich entschied mich dafür und zog es durch, obwohl ich viel Negatives darüber gehört hatte. Ich nahm an, mit der Impfung würde alles besser werden. Wurde es aber nicht.
Die dritte Welle kam und ging. Die vierte kam und hält immer noch an. Erneut wurde eine weitere Mutation entdeckt. Angeblich viel schlimmer als alle anderen Mutationen vorher. Nur inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, was ich glauben soll und was nicht. Ich denke nur an Delta zurück. Damals wurde genauso Panik gemacht wie jetzt. Was stimmt da nicht?
Leute gehen auf die Straße, demonstrieren friedlich. Teilweise gebe ich ihnen Recht. Die Meisten gehen ohne Schutz zu diesen „Spaziergängen“. Haben sie gar keine Angst vor Ansteckung?
Viele lassen sich jetzt boostern. Ein neuartiges Wort. Ich habe es auch machen lassen. Wieder in der Hoffnung, dass alles besser wird.
Trotzdem habe ich Angst. Mehr Angst als vorher. Nicht davor, dass ich mich wieder anstecken könnte. Was ist, wenn ich es nicht merke? Wie viele werden krank und ich bin schuld daran? Ich mag lieber nicht daran denken. Doch die Gedanken lassen sich einfach nicht ausschalten.
Seit ich krank war, wird Einkaufen gehen für mich immer mehr zum Horror. Ich beginne zu schwitzen, mein Herz schlägt schneller, Panik macht sich breit. Nicht nur einmal bin ich aus dem Supermarkt geflüchtet, weil ich es nicht aushielt, inmitten vieler Menschen zu sein. Ich hab Angst, will ich dann schreien.
An wohlsten fühle ich mich in meinen eigenen vier Wänden, allein… obwohl ich inzwischen auch schon am Lagerkoller leide und aus heiterem Himmel ohne Grund zu weinen beginne, oder meinen Liebsten grundlos anschnauze. Ich vermisse meine Freunde, die Treffen mit ihnen, das ungezwungene Beisammensein. Ich vermisse die sorglose Zeit vor Corona. Jetzt ist es raus, das böse Wort.
Lasst uns die Hoffnung nicht verlieren! Meine ist schon fast verschwunden. Seid stark! Für Euch! Für uns alle!
© Milly B. / 25.12.2021