Das Licht der Sonne scheint direkt auf das Bett, das mitten im Zimmer steht. Der Raum ist kahl, keine Bilder, nur nackte, helle Wände. Grelles Licht aus Neonröhren erhellt es noch mehr. Das Licht blendet meine Augen.
Das große Fenster ist weit geöffnet, Frühlingsduft strömt herein. Ein Schwarm Spatzen zwitschert in den Ästen der Bäume im Hof. Ihr Zwitschern klingt wie Musik in meinen Ohren.
Eigentlich müsstest du den wundervollen Duft des Frühlings riechen, doch du riechst nichts. Auch das Zwitschern der Spatzen müsstest du hören, doch du hörst nichts. Du bemerkst nicht einmal, dass ich mitten im Zimmer stehe und dich anschaue. Deine Augen sind geöffnet, doch sie sind wie starr, starr wie die eines Toten, aber du bist nicht tot.
Mit einem Schnaufen versuche ich die Panik, die in mir hochsteigt wie Lava im Krater eines Vulkans, zu unterdrücken. Wie verschwommen sehe ich dich in deinem Bett liegen, regungslos. Kabel und Schläuche verbinden dich mit Maschinen. Ein Schlauch schlängelt sich unter der Bettdecke hervor und endet in einem Behälter, der sich nach und nach mit einer deiner Körperflüssigkeiten füllt.
Die Stimme des Arztes klingt wie weit entfernt von mir. Ich verstehe nicht, was er sagt, was er versucht, mir zu erklären. Am liebsten würde ich ihn ausblenden, aber es geht nicht. Ich höre ihn, ob ich will oder nicht. Auch das Piepsen der Beatmungsmaschine und des Überwachungsmonitors klingt wie weit weg. Es bohrt sich gnadenlos in meinen Gehörgang, trifft auf mein Hirn und ruft Reaktionen in mir hervor. Reaktionen, die ich am liebsten verbergen würde. Ich will nicht weinen, doch die Tränen kommen, ob ich will oder nicht. Sie zu unterdrücken ist nicht möglich.
Mit Grausen beobachte ich die Linien auf dem Monitor, die gezackt nach oben und unten hüpfen wie ein übermütiges Fohlen auf einer grünen Wiese. Soll das Piepsen der Maschinen alles sein, was ich von dir zu hören bekomme? Jemals wieder von dir hören soll? Soll ich deine Stimme, dein Lachen nie wieder hören?
Noch kann ich es nicht verstehen, was passiert sein soll, wie es geschehen konnte. Einfach so, von jetzt auf gleich war alles anders. Auch der Arzt kann sich keinen Reim auf deinen Zustand machen. Aber er weiß, dass es nichts gibt, was dich retten könnte. Experten, die er um Rat gebeten hatte, sagten ihm, es gäbe nichts mehr, was sie tun könnten.
Nun können wir nur warten. Warten, bis… ich mag nicht daran denken, auf was wir warten. Und trotzdem wissen wir alle, auf was wir warten. Wir warten darauf, dass… immer wieder verdränge ich diesen schrecklichen Gedanken.
Ich werde bleiben, bleiben bis… mir graut es davor, zu bleiben, doch ich muss. Ich bringe es nicht übers Herz, dich einfach allein zu lassen. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages ist der Augenblick gekommen, vor dem ich mich fürchte. Ein letztes Mal höre ich das Piepsen der Maschine, dann ist es still. Sehr still. Ich halte dich in meinem Arm, noch einige Zeit, bis mir bewusst wird, es ist vorbei. Vorbei – ein Wort, das ich mir erst einmal begreiflich machen muss.
© Milly B. / 03.05.2021