„Oh, welch niedlicher Anhänger, ein Engelchen“, sagte mein Freund, als er den silbernen Engel sah, den ich an meinem Schlüsselbund trug.
„Gefällt er dir?“, fragte ich ihn.
„Ja, der ist süß… so süß wie du“, antwortete er lächelnd. Dabei griff er nach dem Anhänger, der direkt neben meinem Knie baumelte. Es war nicht gerade gut, während der Autofahrt als Beifahrer in die Nähe des Lenkrades und somit auch in die Nähe meiner in Strumpfhosen gehüllten Beine kam. Die zufällige Berührung meines Knies ließen mich erschauern. Aber ich riss mich zusammen und ließ mir nichts anmerken, wie sehr ich mich nach seinen Berührungen sehnte. Immerhin musste ich Auto fahren. Da war solch eine Ablenkung zwar schön, aber nicht gerade dazu geeignet, sich auf das Lenken eines PKW zu konzentrieren.
Dies war der Anfang eines wunderschönen Wochenendes, das ich mit meinem Freund verbrachte.
Die wenigen gemeinsamen Tage vergingen viel zu schnell. Mein Freund musste zurück nach Hause. Die Pflicht rief. Was sollte man machen? Pflicht war nun mal Pflicht. Da ging kein Weg daran vorbei.
Ich war traurig, dass das Wochenende so schnell vorbei gegangen war. Aber auch glücklich, dass ich endlich wieder Zeit mit meinem Freund verbringen konnte. Die Entfernung zueinander machte es unmöglich, jedes Wochenende zusammen sein zu können. Wir wussten es von Anfang an, wie schwer es sein würde, eine Fernbeziehung zu haben. Doch wir lieben uns und wollten uns darauf einlassen.
Nun stand erneut ein Abschied vor uns. Ich war den Tränen nahe, die ich dann doch nicht unterdrücken konnte. Trotzig wischte ich sie ab, wusste ich doch, bald würden wir uns wiedersehen.
In der letzten Nacht vor seiner Abreise hatte ich eine Idee. Nur wie umsetzen, ohne dass er etwas bemerkte. Bis in die Morgenstunden überlegte ich. Dann kam die Erleuchtung.
Mein Freund machte sich im Bad bereit für die Abreise. Diese Gelegenheit nutzte ich, ihm meine „Überraschung“ in die Tasche zu schmuggeln. Ich nahm den silbernen Engel von meinem Schlüsselbund und befestigte meinen Ersatzhaustürschlüssel daran. Das Ganze legte ich ganz nach unten in seine Tasche. Er sollte erst bemerken, was ich ihm in die Tasche gesteckt hatte, wenn er zu Hause war.
Der Abschied am Bahnhof war grausam. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht. Doch das ging natürlich nicht. Der Zeiger der Bahnhofuhr rückte unermüdlich vor, Sekunde für Sekunde, Minute für Minute. Noch heute höre ich das unermüdliche Ticken der Uhr, als stände ich immer noch darunter.
Als der Zug einfuhr und die Zeit des endgültigen Abschieds gekommen war, entschied ich mich für einen schnellen Abschied. Es war besser so, als noch die letzten Minuten auf den Uhrzeiger zu starren und zu hoffen, er rückt nicht weiter.
„Schatz, ich gehe jetzt“, sagte ich zu meinem Freund, als dieser wieder aus dem Zug kam, wo er sich bereits einen Sitzplatz reserviert hatte. „Ist besser so. Machen wir es uns nicht so schwer.“
Nun konnte ich die Tränen doch nicht zurückhalten. Ich schämte mich, dass ich mich so gehenließ. „Ich liebe dich“, flüsterte ich ihm noch zu, ehe ich mich umdrehte und ging.
Im Parkhaus am Auto angekommen, musste ich mich erst einmal ein wenig beruhigen. Tief atmete ich durch, wischte meine Tränen ab. Der Abschied tat zwar weh, war aber nicht zu vermeiden. Daran musste ich mich gewöhnen, ob ich nun wollte oder nicht.
Dann nahm ich mein Handy und schrieb eine Nachricht:
„Schatz, schau mal in Deine Tasche. Ganz unten ist was für Dich. Eine Überraschung. Se agapó, gia pánte …“*
Wenig später kam eine WhatsApp-Nachricht zurück: „Schatz, spinnst Du. Du bist verrückt! Das ist doch Dein Haustürschlüssel! Das ist… oh Mann, Wahnsinn… ich liebe Dich so sehr.“
Damit fand mein Engel den Weg zu einem anderen Engel… dem Mann meines Lebens. Soll er ihn auf all seinen Wegen begleiten, als Schutzengel…
***
*Se agapó, gia pánte - Ich liebe Dich, für immer
© Milly B. / 07.10.2021