Für Kinder ist es unheimlich interessant, Orte zu erkunden. Vor allen Dingen, wenn es verboten ist, diese zu betreten. Eltern warnen vor Gefahren, aber die Kinder wollen einfach nicht hören. Warum auch gehorchen, wenn es viel zu interessant ist, die Gefahrenstelle zu erkunden.
Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, liegt im schönen Altenburger Land, ganz im Osten Thüringens. Einst eine wohlhabende Ortschaft, verkümmerte sie im Laufe der Jahre. Die schönen Vierseithöfe verkamen, nachdem sie von den LPG´s nicht mehr genutzt wurden. Auch während der Nutzung wurde nicht viel daran getan. Warum auch? Die Gebäude gehörten doch nur den reichen Bauern, die nach dem Mauerbau und der Gründung der LPG´s nach dem Westen abgehauen waren und alles zurückgelassen hatten.
Solch ein Bauerngut, einstmals ein prächtiger Vierseithof, hatten wir im Dorf. Ein Gebäude war bereits abgerissen, da es zu gefährlich war, es stehenzulassen. Zwei Gebäude wurden von der LPG als Schweinestall genutzt, das dritte, ein Wohnhaus, verkam nach und nach. Das Dach fiel ein, Fensterscheiben gab es nicht mehr, die Rahmen brachen heraus. Die Eingangstür hing schief in den Angeln. Aber wenigstens war sie noch da und nicht zu anderweitiger Nutzung verbotenerweise abtransportiert worden. Der Garten vor dem Haus war eine Pracht. Trotz, dass dort mehr Unkraut wucherte, hatte sich dort ein riesiger Magnolienbaum etabliert, der jedes Jahr in voller Pracht seine Blüten in die Sonne reckte.
Das verkommene Wohnhaus war ein Abenteuerspielplatz für uns Kinder. Es verging fast kein Tag, an dem wir die vielen Räume nicht erkundeten. Obwohl wir bereits alles kannten, fanden wir immer wieder etwas, das für uns interessant war, und wenn dies eine herausgebrochene altertümliche Bodenfliese war, oder der riesige Kronleuchter, der immer noch im Eingangsbereich an der Decke hing.
Eines Tages waren wir wieder einmal zum Spielen heimlich in das Haus gegangen. Vorsichtig schauten wir, ehe wir es betraten, ob uns auch niemand sehen konnten. Wir wussten, es gab Ohrfeigen, wenn wir erwischt wurden. Voller Freude stürmten wir die Bude. Rannten die Treppen hoch und wieder herunter. Auch das Treppengeländer wurde genutzt, um von oberen ins untere Stockwerk zu kommen. Es machte einen Heidenspaß auf dem Geländer herunterzurutschen, auch wenn wir uns dabei so manchen Splitter einzogen.
Natürlich ging der Spaß nicht ohne Lärm vonstatten. Wir Kinder waren laut, zu laut, wie wir ein wenig später feststellen mussten. Einer von uns wurde immer abkommandiert, Schmiere zu stehen und uns zu warnen.
Ein Schrei ertönte von einem der Fenster zur Straße: „Die Tannerten kommt!“ Wir waren alle im oberen Stockwerk. Wir waren zu langsam, oder die Tannerten zu schnell. Es gab kein Entkommen mehr, Schläge vorprogrammiert. Einen Ausweg musste es doch geben! Da! Der Kamin im Wohnzimmer. Wir huschten so leise wie möglich in das Zimmer. Die Tannerten kam schon die Treppe nach oben, wir hörten sie rufen. Einer nach den anderen kroch in den Kamin und ließ sich einfach fallen. Mit Poltern und Krawall rutschten wir nacheinander durch die Esse ins Untergeschoss, wo der Rauchabzug in der Küche endete. Schwarz wie die Raben, flohen wir schnellen Fußes. Die Tannerten hatte das Nachsehen, wir aber zu Hause Erklärungsnöte.
© Milly B. / 15.08.2021