Zu Kürbissen, auf Türkisch Kabak çekirdeği* und deren Kernen habe ich eine ganz besondere Beziehung - nämlich gar keine. Ich hasse diese Frucht schlimmer als der Teufel den Weihrauch. Schon der Geruch bringt mich dazu, das Frühstück von vor einer Woche wieder hervor würgen zu wollen.
Woran das liegt? Ich weiß es nicht. Vielleicht ein unschönes Erlebnis in meiner Kindheit. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.
Ein besonders einschneidendes Erlebnis mit dieser sonderbaren Frucht hatte ich in meinem ersten Türkeiurlaub, von dem ich schon in den vorherigen Kapiteln einiges erzählte.
Wie es halt während eines solchen Urlaubs bei der Familie so üblich ist, mussten wir alle möglichen Verwandten besuchen, die es so gibt. Ausnahmen zu machen war ein Fauxpas, ja, sogar beinahe tödlich in der Beziehung mit demjenigen Verwandten, den man ausgelassen hatte. Aus welchem Grund man es auch immer tat.
Dieses Mal war die älteste Schwester meines Freundes an der Reihe, besucht zu werden. Sie wohnt in meinem Dorf namens Aksu – weißes Wasser. Ein sehr poetischer Name, der diesem Dorf verpasst wurde. Mir gefiel der kleine Ort, der genau wie Sürmene oder Köprübaşi zur Region Trabzon am Schwarzen Meer gehört. Schöne Häuschen, nett hergerichtet und einige farbenfroh gestrichen, sehr ländlich eben.
Die Landschaft prägt wie viele Gebiete in der Schwarzmeerregion der Anbau von Çay ** und Fındıklı ***, wovon es in dieser Gegend massenweise gibt. Viele Leute verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt. Feste Arbeit zu finden, die auch noch gut bezahlt ist, ist fast unmöglich. Und wenn jemand einer Arbeit nachgeht, dann sind das die Männer der Familie. Doch diese haben eine recht eigenartige Verbindung zu festen Arbeitszeiten, was vom Patron**** der Firma nicht immer zu ihren Gunsten ausgelegt wird.
Das Haus der Yenge ***** lag ganz oben an einem Hang. Es war einfach gebaut, rustikal würden wir hier sagen. Verwöhnte Menschen allerdings würden das Haus als ärmlich einstufen. Doch es gab alles, was man brauchte: Strom, fließendes Wasser, eine Küche, sehr praktisch eingerichtet, ja sogar ein kleines Bad … was braucht man mehr.
Zum Haus kommt man nur, wenn man sportlich ist. Und wer dies nicht ist, wird es von selbst, wenn der Schwägerin mehrmals einen Besuch abgestattet wird. Man musste laufen, da ging kein Weg daran vorbei. Egal, aus welcher Richtung man sich dem Haus nähern wollte, es ging nur zu Fuß. Einmal über einen ausgetretenen Fußweg und einmal über eine lange, betonierte Treppe. So war Schwitzen angesagt. Wir keuchten wie nach einem Marathon, als wir nach geschätzten vier Stunden endlich dort oben ankamen.
Wir hatten dieses Mal wieder den Onkel im Schlepptau, mit dem wir vor Kurzen mit dem Auto im Schnee stecken blieben. Sein Sohn war auch mitgekommen und chauffierte uns.
Sogar der Onkel war fertig mit der Welt, als er oben am Haus ankam. So hatten wir das Lachen der Schwägerin, die diesen Aufstieg gewöhnt war, nicht allein auf unserer Seite. Sehr tröstend für mich, die damals noch ein paar Kilos weniger auf den Rippen hatte und auch weitaus sportlicher war als jetzt.
Wie es üblich ist, bekamen wir Tee serviert. Mitten in dem gemütlichen Zimmer stand ein kleiner Ofen, der angeheizt war und recht viel Wärme abstrahlte. Für mich viel zu warm, obwohl ich die Wärme aus ähnlichen Öfen von zu Hause her gewohnt war. So saß ich schwitzend inmitten der vielen anwesenden Leute und versuchte krampfhaft dem Gespräch zu folgen.
Mein Interesse erweckte eine Frucht, die auseinandergeschnitten auf dem Ofen getrocknet wurde. Ich konnte mir nicht vorstellen, was das sein sollte. Meine Fantasie reichte einfach nicht aus, zu erkennen, was es war.
So tippte ich den Onkel an, der neben mir saß und fragte, was das sei.
„Kennst du auch“, meinte er zu mir. „Das hast du bestimmt schon gegessen.“ Doch er verriet mir nichts weiter.
„Willst du nicht mal kosten?“, fragte er plötzlich.
„Umbringen wird es mich bestimmt nicht“, antwortete ich lachend darauf.
Alle um mich herum verfolgten das Gespräch zwischen dem Onkel und mir. Mein Freund übersetzte nebenher das, was wir sprachen, worauf alle anfingen, breit zu grinsen. Er wusste von meiner Abneigung gegen Kürbisse, sagte aber auch keinen Ton. Wahrscheinlich hatte er das auch erzählt.
So nahm ich mir ein Stück von diesem komischen Ding, brach es in zwei Stücke und gab eines davon dem Onkel. In das andere Teil biss ich herzhaft hinein.
Während der Onkel genoss, verzog ich schon beim ersten Bissen das Gesicht. Erst jetzt erkannte ich, es war Kürbis. Eigentlich hätte ich es an den Kernen erkennen müssen – ich hatte als Kind genug Kürbisse ausgehöhlt, die meine Oma zu Kompott verarbeitete, oder zu Suppe und irgendwelchen anderen diversen Dingen.
Natürlich wollte einer dieser Kerne, der noch im Fruchtfleisch steckte und den ich nicht bemerkt hatte, partout nicht runtergeschluckt werden. Standhaft weigerte sich das verflixte Ding, meine Speiseröhre hinunterzurutschen. Ich würgte, schluckte, würgte wieder, trank große Schlucke von meinem Tee. Das tat ich so lange, bis der Kern endlich den Widerstand aufgab und den Weg der Verdauung einging.
Ich blieb tapfer und aß das ganze Stück getrockneten Kürbis auf. Doch meinen Ekel daran konnten alle ganz klar erkennen.
Alles um mich herum lachte, als ich es endlich geschafft hatte, das komplette Kürbisstück zu essen. Mir war allerdings nicht zum Lachen, eher zum Heulen. Alleine der Gedanke daran, was ich eben gegessen hatte, verursachte Brechreiz. Jetzt noch das landesübliche Gastmahl einzunehmen, das Yenge nun noch auftischen wollte, war allerdings nicht mehr zu denken. Ich musste ablehnen, so leid es mir auch tat. Dass ich die Hausfrau damit beleidigte, war mir in diesem Moment egal. Doch ich glaube, sie hat es verstanden, warum ich ablehnte.
Kürbiskerne sind nun mal nicht jedermanns Sache.
***
Worterklärungen:
* - Kabak çekirdeği - Kürbiskerne
** - Çay - Schwarztee
*** - Fındıklı - Haselnüsse
**** - Patron – Chef
***** - Yenge - Schwägerin – sagt man zu älteren weiblichen Personen, egal, ob diese zur Familie gehören oder nicht. Das ist eine Respektsbezeichnung. Man spricht die Frauen nie mit Vornamen an. Im Türkischen heißt es, wenn man die ältere Frau nicht so anspricht: Ich habe dir die Windel gewechselt und nicht du mir. (sinnbildlich)
© Milly B. / 05.07.2012