Will ich allein sein oder brauche meine Ruhe, zieht es mich dorthin: An das stille Örtchen.
Oft brauche ich Zeit zum Nachdenken, oder einfach nur zum Seele baumeln lassen. Doch zum Grübeln kommt am meisten vor. Dann setze ich mich in mein Auto und fahre los, immer der Nase nach.
Nein, nicht das Auto ist mein stilles Örtchen oder der Lokus, wie manche beim ersten Lesen vielleicht gedacht haben könnten. Dieses gewisse Örtchen ist ein Plätzchen an einem kleinen See, umgeben von einem Wäldchen mit hohen Bäumen.
Dorthin zieht es mich bei gutem Wetter, zum Schreiben, oder wie bereits gesagt, zum Nachdenken. Dann sitze ich mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, die Beine weit von mir gestreckt und schaue auf das brackige Wasser. Neben mir einen kleinen Imbiss, denn an der frischen Luft sein macht mich oft sehr hungrig.
Seerosen wachsen im Wasser, am Ufer streckt sich Schilf der Sonne entgegen.
Am anderen Ufer brüten Schwäne. Denen würde ich gerne zusehen, doch ich nähere mich ihnen lieber nicht. Bleßrallen und Wildenten dümpeln im Wasser herum. Die Enten halten Abstand von den Rallen, die ihre Nester auf beinahe zu winzigen Inseln inmitten des Schilfs gebaut haben. Die ersten Jungtiere folgen den Elternvögeln. Schnatternd spielen die Enten Fangen. Ein lustiges Getummel, dem ich gerne zuschaue.
In den Bäumen über mir geht es hoch her. Vögel zwitschern. Ein wunderschönes Konzert, Balsam für meine gestressten Ohren.
Zwischen den Bäumen am Waldboden wachsen Blumen und einige Kräuter. Bienen summen, sammeln Pollen. Schwer beladen fliegen einige eilig davon. Wer weiß, wohin. Einen Bienenstock sah ich nirgendwo. Andere kommen wieder, lassen sich auf den Blüten nieder und setzen die Arbeit ihrer Kolleginnen fort.
Unter dem Vorjahreslaub raschelt es leise. Ich blicke mich um und sehe ein Mäuschen, das vorwitzig aus seinem Versteck hervorlugt. Als ich mich bewege, erschreckt es und will flüchten. Doch dann bemerkt es wohl, ich will ihm nichts Böses und bleibt sitzen. Kleine Kulleraugen sehen in meine Richtung. Die spitze Nase mit den grazilen Barthaaren zittert.
Ich finde es lustig, wie das kleine Tier mich anstarrt und muss lachen. Erschrocken flüchtet es nun doch in die Sicherheit seines Baues. Flugs ist es verschwunden und ich bin meiner Belustigung beraubt.
Erneut blicke ich hinauf in die Baumwipfel. Auch die Vögel scheinen sich gestört gefühlt zu haben. Stumm sitzen sie auf einem Ast und rühren sich nicht. Als würde ich sie dadurch nicht sehen können.
Wohlig strecke ich meine müden Glieder aus. Die Wärme der Sonne macht mich schläfrig. Ich lehne mich wieder mit dem Rücken an den Baumstamm und schließe die Augen. All die vielen Geräusche um mich herum kommen mir plötzlich sehr viel lauter vor. Das Plätschern des Wassers, das Konzert der Vögel in den Wipfeln der Bäume, das Summen der Bienen, das leise Rascheln des Laubes im Wind… sehe ich mit den Ohren? Jedes einzelne Geräusch kann ich zuordnen.
Plötzlich fahre ich hoch, welch grässliche Töne? Das laute Kreischen von Motorrädern, die die nahe Straße entlang jagen, quält mein Gehör. Vorbei mit der Ruhe. Die Reihe der Fahrzeuge ist lang, eins nach dem anderen, eines lauter als das andere.
„Mist“, denke ich. „Mussten die mir die Suppe versalzen! Es war grad so schön.“
© Milly B. / 09.06.2022