Wer sich in Geschichte nicht groß auskennt, wird sich unter Sümela nicht viel oder auch gar nichts vorstellen können. Sümela – eigentlich Sümela Manastiri ist ein Kloster im Nordosten der Türkei in der Nähe von Maçka (ausgesprochen Matchka) in der Provinz Trabzon am Schwarzen Meer. Etwa 45 Kilometer trennen Sümela und Trabzon.
Dort war ich 2006, als ich knapp sechs Wochen bei der Familie in der Türkei war. Lang ist es her, doch nicht vergessen.
Sümela war ursprünglich ein griechisch-orthodoxes Kloster, eingehauen in Felsen und auch heute noch gut erhalten beziehungsweise wieder gut restauriert. Gebaut wurde es in der byzantinischen Zeit. Christliche Wandmalereien zieren die Wände.
So etwas mitten in der Türkei, wird sich so mancher fragen. Ja, natürlich, denn die Türkei war nicht immer ein muslimisches Land.
Es soll dort eine Höhle gegeben haben, die von Eremiten bewohnt wurde. Diese wurde später zu einer Kapelle erweitert. Das soll um das Jahr 385 nach Christi gewesen sein.
Angeblich soll es dort eine Ikone geben, die vom Evangelisten Lukas eigenhändig bemalt wurde und nach dessen Tod nach Sümela verbracht worden sein. Ich habe sie nicht gesehen, oder ich erinnere mich nicht daran. Damals wurde das Kloster restauriert und Vieles war nicht zu sehen oder durch Baugerüste verstellt.
Kaiser Anatasios schien ebenfalls einen Narren an Sümela gefressen zu haben. Er förderte um 500 den Bau des Klosters, das leider um 640 durch Feuer arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ein Mönch Namens Christophoros aus dem Kloster Vazelon (griechisch-orthodoxes Kloster im 6. Jahrhundert in einem Wald in der Nähe von Maçka) nahm sich seiner an und baute es wieder auf. Danach war es lange still um Sümela.
Im 12. Jahrhundert hörten Räuber von der wertvollen Ikone, die es in Sümela gab. Sie plünderten das Kloster auf der Suche nach dem Heiligenbild und zerstörten es. Die Ikone wurde von ihnen nicht gefunden. Später allerdings wurde sie unversehrt aus dem nahen Fluss geborgen.
Die ältesten erhaltenen Gebäude stammen aus der Komnenenzeit. Kaiser Alexios III. und sein Sohn wurden in diesem Kloster zum Kaiser Trapezunt (Trabzon) gekrönt. Als 1641 die Osmanen einfielen, blieb das Kloster zum Glück verschont. Es entwickelte sich nach und nach zu einem Wallfahrtsort.
Im 19. Jahrhundert wurden Mönchszellen vor das eigentliche Kloster gebaut. Seitdem hat es sich nicht mehr verändert. 1926 mussten die Mönche die Anlage verlassen. Grund dafür war der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch, dem ein Versuch, eine eigene griechische Republik zu gründen, vorausging. Das allerdings misslang und die Griechen mussten das Land verlassen. Es gelang den Mönchen aber noch, die Reliquien zu verstecken und 1930 außer Landes zu bringen.
1930 brannte es schon wieder. Danach verfiel das Kloster. Erst 1972 wurde es von der türkischen Regierung als Nationalerbe unter Schutz gestellt. Damit hatten auch wieder Touristen die Möglichkeit, es zu besuchen, was genug Geld brachte, um umfangreiche Restaurierungen vorzunehmen.
Der Tag, an dem wir nach Sümela fahren wollten, versprach schön zu werden. Schön heiß, wäre wohl besser ausgedrückt. Wir quetschten uns ins Auto. Zum Glück diesmal nur zu fünft. Schwiegermutter, Ehemann, zwei Kinder und ich. Oma natürlich vorn. Mein Mann und ich wechselten uns ab mit fahren.
Dem Weg dorthin kannten wir teilweise. Sogar ich, da ich vor Jahren schon einmal in Maçka war, in dessen Nähe sich das Kloster befindet.
Schon von Weitem sahen wir es hoch oben im Berg. Imposant, erschreckend hoch, aber wunderschön. Kurz vorher machten wir an einem Flüsschen, dessen Name mir entfallen ist, Halt. Ein kleiner Wasserfall plätscherte lustig den Berg herunter. Wieder konnten wir das Kloster bewundern. Diesmal noch näher.
Dann ging es weiter, immer bergauf. Die enge Straße schlängelte sich am Berg entlang. Enge Straßen war ich gewohnt in der Türkei. Daher hatte ich auch kein Problem damit, mich mit dem Auto eng an den Straßenrand zu stellen, wenn ein anderer Wagen uns entgegenkam, dem wir ausweichen mussten. Oft war nicht einmal eine Leitplanke vorhanden, sodass jeder Zentimeter wichtig war, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Angst kannte ich keine, es gab Schlimmeres.
Endlich kamen wir an. Uns erwartete ein recht unübersichtlicher Parkplatz, der sehr belegt war, auch von Touristenbussen. „Na danke“, dachte ich. Doch es war doch nicht so schlimm, wie ich vermutete.
Jetzt ging es an den Aufstieg. Der war teilweise nicht gut ausgebaut. Baumwurzeln machten den Aufstieg schwer. Doch ich sah, dass die Wurzeln auch zu etwas Nützlichem dienten – nämlich als Stufen. Wie mochten damals nur die Mönche diesen Weg erklommen haben, um Nahrungsmittel nach oben zu schaffen. Wasser brauchten sie zum Glück keines nach oben bringen, denn sie besaßen einen eigenen Brunnen.
Stufen standen uns noch sehr viel mehr bevor. Staunend standen wir wenig später vor einem mächtigen Felsmassiv. Unzählig viele in Stein gehauene weitere Stufen führten noch weiter nach oben, die an einem Torhaus endeten. Weiter ging es mit der mühseligen Kraxelei.
Doch unsere Mühen wurden belohnt. Trotz Baustelle waren wir beeindruckt, sogar die Kinder waren ganz still. Andächtig ließen wir die Eindrücke auf uns wirken. Wir konnten uns gar nicht sattsehen. Fresken waren an den Wänden zu sehen. Einige sollen aus der Zeit von Alexios III. (circa 1160 – 1211). Leider sind die Portraits von Alexios und Manuel nicht mehr zu sehen, was ich sehr bedauerte. Auf einigen Bildern konnten wir griechische Buchstaben bestaunen.
Die Zellen konnten auch in Augenschein genommen werden. Sie waren so winzig, dass ich mich fragte, wie ein Mensch darin leben konnte. Nun ja, damals waren die Leute wohl noch nicht so groß wie wir heute.
Bevor wir wieder hinausgingen, kam uns eine Touristengruppe entgegen, denen wir ausweichen mussten. Was sahen meine Augen und hörten meine Ohren? Japaner! Die sind wohl wirklich überall. Als sie vorbei waren, genossen wir noch einmal den Ausblick über das Tal. Tief unter uns die Straße, auf der wir herkamen. Dann Wald, sowie riesige Berge so weit das Auge reichte. Wären nicht so viele Leute um uns gewesen, wäre das für mich ein Ort zum in mich gehen, nachdenken und die Seele baumeln lassen.
Auf dem Rückweg gab es noch eine lustige Episode. Ich fuhr, Oma auf dem Beifahrersitz, Mann und Kinder hinten. Die Straße, auf der wir fuhren, war lang und gerade. Einige Autos waren vor uns. Wir hatten einen großen Wagen mit viel Power unter der Haube. Die vor uns waren mir viel zu langsam und ich hatte keine Lust, am Ende der Kolonne zu schleichen. Also drückte ich aufs Gas, es war kein Gegenverkehr. Also konnte ich und Schilder, die Überholen verboten, gab es auch nicht. Als ich alle überholt hatte, sah ich weiter vorn einen Mann, der heftig mit den Armen wedelte. Von hinten hörte ich „halt an“. Ich tat es natürlich, denn der Typ war ein Polizist, was ich nicht gleich erkannt hatte. Er kam ans Auto, ich ließ die Scheibe runter und schon begann eine Tirade von Worten, wovon ich höchstens die Hälfte verstand. Ich nickte immer nur und sagte: „Evet, tamam“. (ja, okay). Ich verstand immer noch Bahnhof und schaute mich nach meinem Mann um. Er sagte nur, „sag danke“, was ich dann auch tat. „Teşekkürler ağabey” (Vielen Dank großer Bruder – ist eine Ehrbezeichnung), sagte ich, als der Polizist uns endlich entließ und ich weiterfahren durfte.
Als wir weg waren, fragte ich natürlich, was der Polizist wollte. Mein Mann sagte nur: „Du solltest langsam fahren, die Straße wäre gefährlich.“
Ich lachte nur. So viele Worte und so viel Gelaber, um so wenig auszusagen. Neben mir hörte ich es kichern. Meine Schwiegermutter hielt den Blick gesenkt und feixte. Dabei zwinkerte sie mir zu, als wolle sie mir sagen: „Männer!“
Heute, nach so vielen Jahren denke ich: Wie schön, dass ich dort gewesen bin und Land und Leute kennenlernen durfte. Und wer weiß, vielleicht, eines Tages… steht mir ein neues Abenteuer an der Schwarzmeerküste bevor.
© Milly B. / 02.10.2022