Blinzelnd kam Merkanto zu sich. In seinem Kopf dröhnte es. Jeder Atemzug sandte pochende Schmerzen durch seinen Körper. Ein leises Lächeln trat auf seine Lippen, doch er zuckte zusammen, als dadurch vertrocknete Wunden neu aufrissen.
Vorsichtig öffnete er die Augen.
Der Anblick war nicht gerade dazu geeignet, ihn zu ermutigen. Feuerrot strahlte der Himmel im Sonnenuntergang. Die Weißen Wächter waren noch da, die meisten saßen, nur Cailandros‘ Gestalt ragte dunkel in den Himmel.
Als Merkanto sich bewegte, brachten die Schmerzen ihn zum Stöhnen, und der Kopf des Elbs ruckte herum. „Du bist wach.“
Die Stimme des Kommandanten war dunkel vor Zorn. Merkanto hatte ihn weit getrieben. Doch offenbar immer noch nicht so weit, dass die Wächter ihren Anführer verstoßen würden.
Mit zwei schnellen Schritten war Cailandros über ihm. Merkanto fuhr zusammen, doch der Elb packte lediglich seine Roben und zerrte ihn mit einer Kraft hoch, die Merkanto ihm nicht zugetraut hätte.
„Wo ist Relabai?“
„Woher … soll ich das … wissen?“
Cailandros schüttelte ihn. Er hielt Merkanto mit einer Hand aufrecht. Im Blick seiner Untergebenen lag Furcht. „Er hätte längst wieder zu uns stoßen müssen. WAS HAST DU GETAN?“
„Ich … ich weiß nicht …“
„Rede endlich, verdammt!“
„B-bitte“, kam es über Merkantos Lippen. „Bitte …“
Cailandros war außer sich, und Merkanto empfand Angst. Vielleicht, wurde ihm klar, hatte er den Elben zu weit getrieben, und zu schnell. Liebe war eine gefährliche Kraft, und er hatte sie gedankenlos als Hebel eingesetzt. Aber die Sonnenländer waren in dieser Hinsicht einfach zu unberechenbar.
Seine Füße konnten den Boden nicht mehr erreichen. Cailandros war sehr viel stärker, als Merkanto ihm zugetraut hatte. Zaghaft zappelte der Magier im Griff seines Feindes.
„Wo ist Relabai?“, knurrte Cailandros leise. Sein fester Griff zog den Kragen der Roben zusammen, schnürte Merkanto die Luft ab.
„Ich … weiß es … nicht …“
„Lüg mich nicht an!“, brüllte Cailandros so laut, dass seine Soldaten ängstlich zurückwichen. Ihre Blicke huschten zwischen Merkanto und ihrem Kommandanten hin und her, unsicher, wen sie mehr fürchten sollten.
„Woher wusstest du es überhaupt, hm?“ Cailandros brachte sein Gesicht nah an Merkantos. „Selbst meine Leute dachten, Relabai wäre nur ein weiterer Kämpfer. Wie lange hast du das hier schon geplant?“
Woher er es gewusst hatte? Aus den Blicken der beiden. Diesem stummen Austausch, der die Wahrheit vor nahezu allen Blicken verbarg.
Merkanto japste. „Kendreek …“
„Was?“, fragte Cailandros.
Die Lider des Magiers flatterten.
Wrap be in a bolt of lightning,
send me on my way still smiling.
Maybe that’s the way I should go –
straight into the mouth of the unknown …*
Eine Wiese bei den heißen Quellen unter dem Baum der Flammen. Von oben schneite Asche aus dem Gestein der fliegenden Inseln, rieselte auf die erstaunlich saftigen Gräser, die sich bis an den Rand der Schlucht schmiegten. Schweigend sahen die Magier zu, wie das Feuer aus dem tiefen Riss immer neue Farben annahm.
„Ich wünschte, wir können für immer hier bleiben“, brach Kendreek irgendwann wehmütig die Stille. „Warum sollten wir zurückgehen?“
„Nun, für den Anfang“, begann Merkanto, während er seine Roben wieder überstreifte, „halte ich die Hitze nicht halb so lange aus wie deine Schuppenhaut. Zweitens brauchen wir irgendwann Nahrung und Wasser. Und schließlich werde ich gebraucht.“
Kendreeks gelbe Augen verengten sich. „Nepumuk braucht dich nicht, Merk.“ Er rollte sich auf die Seite. „Ich brauche dich.“
Merkanto hielt inne, als sich die krallenbesetzte Hand kühl um seinen Arm schloss. Einen Moment betrachtete er den Schimmer der Flammen auf den Schuppen, die Kendreeks Kopf und Rücken, die Außenseite der Arme und Beine zierten.
„Ich bin sein Berater. Und wer weiß – vielleicht bald sogar der General seiner Streitkräfte.“
Kendreek ließ Merkantos Arm los und richtete sich abrupt auf. „Willst du das wirklich?“
„Ich bin nun einmal ein Stratege. Und das ist die höchste Stelle.“
„Aber … Nepumuk. Ausgerechnet Nepumuk. Du hast gesagt, du guckst dich nach was anderem um.“
„Als ob andere Vampire besser wären.“
Kendreek schnaubte und kleine Rauchsäulen stiegen aus seiner Nase. „Aber selbst sie fürchten und hassen die Taidonis.“
„Iljan ist gar nicht übel.“
Kendreek verschluckte sich fast. „Iljan? Der Knirps?“
„Er hat einen starken Willen.“
Kendreek sprang auf. „Weißt du was? Dann heirate deine Grafen doch!“ Wütend stürmte der Drachling davon. Hose und Schuhe vergaß er im Gras neben Merkanto.
Kopfschüttelnd stand der Magier auf. Kendreek war ein Träumer.
I’ve said it so many times:
I would change my ways,
no, nevermind …
„Er atmet noch!“
Merkanto blinzelte und schlug schwerfällig nach den Händen, die ihn gepackt hatten. Er erkannte mehrere junge Soldaten, die sich mit besorgtem Blick über ihn gebeugt hatten. Cailandros stand in der anderen Ecke der Kiesgrube, und die Soldaten hatten sich um Merkanto geschart.
Ein Stöhnen entwich ihm.
„Ihr hättet ihn beinahe getötet, Kommandant!“, sagte ein junger Elf vorwurfsvoll.
„Er ist nur ein Schattenländer.“
„Er ist unsere Quelle!“
Die jungen Krieger tauschten Blicke untereinander.
Merkanto setzte sich auf.
„Er lebt also noch, ja? Dann macht euch fertig. Wir brechen auf. Je eher wir über die Grenze sind, desto früher kann ich ihm das Genick brechen.“ Cailandros zitterte am ganzen Leib von einer Wut, die keiner seiner Leute verstand.
Gehorsam sammelten die Weißen Wächter ihr Hab und Gut zusammen. Zwei halfen Merkanto auf die Füße. Die Dryade warf ihm einen unsicheren, mitleidigen Blick zu.
Als sie aufsaßen und ihre Hunde vorausschickten, bemerkte Merkanto die Lücken in ihren Reihen, die Unsicherheiten, das Zögern. Dass ihr Kommandant vor ihren Augen beinahe einen Gefesselten erwürgt hatte, setzte dem unerfahrenen Junggemüse der Sonnenseite schwer zu.
Merkanto legte den Kopf in den Nacken. „Ich schätze, jetzt ist ein guter Zeitpunkt.“
Die Soldaten sahen ihn an, verständnislos.
„Was meint Ihr …?“, setzte einer an, als seine Stimme in einem feuchten Gurgeln erstickte.
Alle Blicke richteten sich auf den Pfeilschaft, der zitternd aus dem Hals des jungen Elfen ragte.
„In Deckung!“, brüllte Cailandros, als er sich gefasst hatte, doch da war es bereits zu spät. Die Hexen drehten von der Grenze ab und jagten auf ihren Besen herbei. Im Gras ringsum erhoben sich Jäger mit Pfeil und Bogen. Wie aus dem Nichts waren die jungen Sonnenländer umzingelt.
Sie wurden ebenso schnell niedergemäht, wie Merkanto Cailandros‘ Schwachpunkt erkannt und eingesetzt hatte, um den Kommandanten von der wahren Gefahr abzulenken.
Sein Pferd hatte gescheut, und so musste Merkanto im Gras liegend abwarten, bis Nepumuk neben ihm erschien.
„Das ging schnell“, brummte der Vampir und musterte die Leichen ohne Regung. Nicht einmal das Blut schien ihn reizen zu können.
„Ich hatte Glück.“
„Was ist mit dem Mantikor?“
„Ein Cereceri. Er war mein Glücksfall.“ Merkanto bewegte sich ungeduldig.
Nepumuk hatte Gnade, kniete sich neben den Zauberer und durchtrennte die Fesseln mit einer schnellen Bewegung der scharfen Fingernägel.
„Er ist entkommen.“
„Nur ein unwichtiger Bote“, brummte Merkanto. „Mehr nicht.“
„Wenn du das sagst …“ Nachdenklich sah Nepumuk zum Sonnenland. „Und was genau war nun der Glücksfall?“
„Liebe“, sagte Merkanto mit einem abfälligen Lächeln. „Liebe.“
It’s all that I can say.
So, I’ll be on my way …
-----------------------
*»Call me«, Shinedown