Merkanto seufzte leise. Dieses Lager hätte nicht einmal ein Blinder übersehen können. Der Feuerschein erhellte die Bäume bis in die Kronen und war ein weithin sichtbares Leuchtfeuer.
„Oh, Iljan …“ Der Magier schüttelte den Kopf. „Was tust du nur?“
War der junge Vampir wirklich so unvorsichtig? Merkanto konnte kaum glauben, dass dem so wäre. Vielleicht war dieses Feuer eine Falle.
Er war nervös, jetzt, da er den Vampir eingeholt hatte. Er erinnerte sich kaum an die Zeit bei Nepumuk, und er wusste nicht, wie viel er vergessen hatte. Waren er und Iljan Fremde oder doch besser befreundet? Er war sich nicht länger sicher. Und das, wo er sich doch immer auf sein Gedächtnis hatte verlassen können.
„Wir müssen das vorsichtig angehen“, erklärte er Askook. „Du wirst sie erschrecken. Am besten, du wartest hier.“
„In Ordnung.“ Der rote Drache schnaufte. „Aber ich bleibe in Hörweite.“
„Natürlich.“ Merkanto lächelte. Dann straffte er sich, strich die Roben glatt und ging los.
Am Feuer saßen sie zu zweit: Iljan, blond und in schwarz gekleidet, und die Werwölfin: Feuerrotes Haar, ein grünes Hemd. Beide bemerkten ihn nicht, bis er am Rand des Feuerscheins war.
„Iljan.“
Die Kinder fuhren zusammen. Iljan stellte sich vor das Mädchen und funkelte Merkanto an, kampfbereit und doch ängstlich. „Was willst du?“ Misstrauen schwang in Iljans Stimme mit, während er Merkantos Gesicht studierte, vielleicht auf der Suche nach einem Zeichen dessen, an was sich der Magier erinnern konnte.
„Dein Vater sagte, dass du geflohen bist.“
Mit einer fließenden Bewegung zog Iljan den Degen. Das Mädchen knurrte wölfisch.
Eilig hob Merkanto die Hände. Das waren die falschen Worte gewesen!
„Warte, Iljan! Bitte, hör mir zu! Um unserer Freundschaft willen!“
War es wirklich Freundschaft gewesen? Nicht bloß Sympathie? Wenn er es doch nur wüsste!
Doch immerhin bewirkten seine Worte, dass Iljan den Degen leicht senkte. Seine Entschlossenheit brökelte jedoch nocht. „Ich gehe nicht zurück. Egal, was du sagst.“
Merkanto grinste. „Geh nicht zurück.“
„Was?“ Damit hatte der junge Vampir nicht gerechnet.
„Ich sagte: Geh nicht zurück. Bleib bei deinem Plan. Wir sind gekommen, um mit dir zu gehen.“
Im Grunde, redete Merkanto sich ein, übte er immer noch seine Berufung aus. Er diente einem Grafen aus dem Geschlecht der Taidoni. Damit war er ja erst einmal kein Verräter.
Aber natürlich würde Nepumuk das anders sehen, und entsprechend handeln. Auf ihre Köpfe war sicherlich bereits ein Kopfgeld ausgeschrieben.
Wenn Merkanto zurückdachte, so war Nepumuk sehr leicht einzuschätzen. Und der Vampir hasste es, jemanden nicht kontrollieren zu können. Iljan war ein Freigeist, der seinem Vater unbedingt entkommen wollte. Nepumuk zürnte seinem Sohn für dieses Streben.
Und nun war Merkanto also zwischen die Fronten geraten. Dabei war ihm die Pflicht gegenüber seinem Herrn stets das Wichtigste gewesen.
Wie hatte es so weit kommen können?
Doch hier fühlte er sich wohler. Iljan brauchte seine Hilfe dringend, wenn er nicht geschnappt werden wollte. Und seine Ziele waren sehr viel reinherziger als Nepumuks Streben nach Macht und Kontrolle.
Es reichte nicht ganz, um Merkantos Gewissen zu beruhigen. Irgendetwas nagte an ihm, doch der konnte den Finger einfach nicht darauflegen.
„Merkanto? Was glaubst du, wie weit ist es noch?“
Er sah auf. Iljan, der eigentlich vorausmarschiert war, hatte sich zurückfallen lassen.
„Das dauert noch.“ Innerlich schüttelte Merkanto den Kopf. Dieses Kind! Iljan hatte nicht einmal eine Karte und keine Vorstellung von der Strecke, die vor ihm lag. Er glaubte nur unerschütterlich daran, dass es im Sonnenland einen Platz für sie gäbe.
Und aus irgendeinem Grund war das genug, dass ihm drei weitere Idioten auf diesem Pfad folgten.
War es diese Sorge, die Merkanto bedrückte? Die Ahnung, dass Iljans Traum genau das bleiben würde: Ein Traum?
Oder war da noch etwas anderes, viel tiefer vergraben? Etwas, das er vergessen hatte?
Denn er fühlte sich, als würde er jemanden verraten. Natürlich hinterging er Nepumuk, doch er hatte dafür seine Gründe! Eigentlich müsste er mit sich im Reinen sein.
Seufzend verdrängte er diese Gedanken. Er war zu alt, um sich von Selbstzweifeln aufhalten zu lassen. Er hatte seinen Weg gewählt.
Vermutlich war es nur eine Nachwirkung des Tranks, wie der Kater nach zu viel Alkoholgenuss.
Ja, das würde es sein.