Das windumtoste Schloss in der Schneeebene bot noch immer einen bedrohlichen Anblick. Die schwarzen, spitzen Zinnen schienen den Himmel selbst zu attackieren. Die Fensteröffnungen waren finster wie die misstrauischen Blicke, die Askook inzwischen überall gespürt hatte.
Er landete vor dem Portal, das von zwei Steintrollen geöffnet wurde.
»Halt! Warum willst du eine Audienz?«
Der Troll sprach konzentriert, als wäre der Satz auswendig gelernt. Askook schüttelte etwas Schnee von den Schuppen – während des Flugs setzte sich immer neuer Frost auf ihm ab und seine Mähne war hoffnungslos vereist – ehe er antwortete: »Ich bin ein Freund von Iljan. Sag ihm bitte, dass Askook da ist.«
»Askook. Freund«, murmelte der Troll, wohl um es sich einzuprägen. Er stapfte davon, während sein Kumpel das Tor weiter bewachte. Er bedachte Askook mit grimmigen Blicken.
Der Drache lief etwas auf und ab, um sich zu wärmen. Schließlich hörte er schnelle Schritte, dann erschien der junge Vampir, gekleidet in ein viel zu dünn wirkendes Hemd und eine elegante Hose.
»Askook!« Iljan strahlte über das ganze Gesicht und lief vor, um sein Vorderbein zu umarmen. »Entschuldige die Wachen, die sind neu. Wie schön, dich zu sehen. Gibt es Ärger, oder wieso bist du hier?«
»Keinen Ärger. Ich wollte nur nach dir sehen. Ich habe Naja nach Hause gebraucht, da war es kein weiter Weg mehr.«
»Ach, Naja … Wie ist es gelaufen?«
»Offenbar ziemlich gut.« Askook bemühte sich, das Zähneklappern zu verbergen, doch Iljan merkte auf.
»Entschuldige, mein Freund. Los, komm rein. Ich lasse einen Kamin entzünden!«
Das Schloss war verändert. Von seiner Zeit hier jedenfalls erinnerte sich Askook nicht an weiche Teppiche auf den Böden. Es gab auch mehr Fackeln und Kerzenhalter, sodass die alten Gänge heller waren, und viele der versperrten Türen standen nun weit offen.
»Du warst nicht untätig«, stellte er fest, als er in einem größeren Saal vor dem warmen Kamin saß und sich umsah.
»Es gibt noch immer viel zu tun. Ich denke, wir müssen die Wände streichen, sonst werden diese Räumlichkeiten mich immer an den Kern der Finsternis erinnern! Aber momentan gehe ich die Kerker durch. Dort gibt es viele Gefangene und ich weiß von keinem, ob er aus einem triftigen Grund hier ist oder nicht.« Iljan seufzte. »Die Unterlagen sind auch gut versteckt …«
»Und ansonsten? Geht es dir gut?«
Der Vampir lächelte ehrlich. Er saß in einem Sessel, die Beine überschlagen. »Es ist stressig, aber ich mag die Arbeit. Immerhin hat Vater mich darauf vorbereitet, ein Schloss zu führen. Und das hier ist deutlich besser als seine Variante gewesen wäre. Ich bin frei und ich kann so entscheiden, wie ich es wirklich will.«
Die Türen wurden geöffnet. Einige Diener kamen herein und brachten ein Wildschwein für Askook sowie Wasser für Iljan.
»Kein Blut?«, bemerkte Askook.
»Ich trinke noch ab und zu, einmal die Woche, meistens. Es gibt ein paar Freiwillige, die was spenden, und Tierblut funktioniert auch.« Der Vampir seufzte. »Davon komme ich wohl nie los.«
»Du passt eben auf dich auf.« Askook musterte Iljan.
»Ich muss sagen …«, sagte der Vampir langsam, »es ist schon ein bisschen einsam hier. Ich vermisse euch. Ich glaube, inzwischen bin ich es nicht mehr gewohnt, dass mir keiner nachts ins Ohr schnarcht.«
»Oder auch nur, dass man ohne Ketten oder Gitter schlafen kann.« Askook lachte leise.
»Und ohne das Schwert neben sich liegen zu haben.« Iljan nahm einen Schluck Wasser. »Gute alte Zeit.«
Sie schwiegen eine Weile. Askook widmete sich dem gebratenen Wildschwein. Nach der langen Reise, auf der er nur wenig gejagt hatte, tat es gut, sich den Magen zu füllen.
»Ich komme trotzdem zurecht«, sagte Iljan. »Es ist ja nicht für immer. Ich dachte, wir könnten uns einfach einmal im Jahr treffen. Vielleicht im Mîm, auf unserem alten Hof.«
»Den möchte ich auch gerne einmal sehen.« Askook hatte nur Gutes über den Rückzugsort gehört, den sie im Sonnenland hatten.
»Wir müssen jetzt nur die Gräber dort entfernen – glücklicherweise.« Iljan stand auf. »Vielleicht kannst du das den anderen mal vorschlagen.«
»Das werde ich auf jeden Fall machen.« Askook nickte. Er würde niemals zulassen, dass ihre Gruppe auseinanderbrach. Ein wenig Distanz könnte sie nicht aufhalten. Nicht die Kinder der Sonne, die schon so viel gemeinsam durchgemacht hatten.
Er musterte Iljan. Der Vampir machte tatsächlich keinen schlechten Eindruck. Er schien sich im Schloss wohlzufühlen. Jetzt, da er einen konstanten Blutnachschub hatte, sah er gesünder aus als je zuvor.
»Ich bin sicher, dass sie einverstanden sind«, sagte Askook schließlich.
»Vermutlich, ja.« Iljan leerte sein Glas. »Ich muss leider weiterarbeiten. Morgen zeige ich dir die neuen Gärten.«
»Ich werde auch nicht allzu lange bleiben. Ich wollte nur sehen, wie es allen geht.«
Iljan stockte kurz. Dann sah er auf. »Warst du … schon bei Cary?«
»Hast du nichts mehr von ihr gehört?«
»Ich bin sicher, sie hat ebenso viel zu tun wie ich.« Der Vampir winkte ein wenig zu rasch ab.
Askook lächelte. »Soll ich ihr etwas übermitteln?«
Iljan wurde sogar leicht rot – knallrot für einen Vampir.