Es war einmal eine Elfe, deren Herz gebrochen war …
Die Liebe der Elfen war eine Form von Magie. Fanden sich die Richtigen, so entstand zwischen ihnen ein einzigartiges Band, eine Seelenverwandtschaft.
Niemand wusste so recht, ob es Schicksal war, dass zwei Elfen füreinander bestimmt waren, oder ob sich beide Partner zu der Verbindung entschieden. Doch was es auch war, ob eine Kraft von außen oder innen, es war nicht zu leugnen, seine Macht war nicht zu leugnen.
Es ging beinahe so weit, dass die Partner die Gedanken des jeweils anderen lesen konnten. Sie konnten ihre Träume teilen. Und nur Partner, die über ein solches Band verbunden waren, konnten gemeinsam Kinder zeugen. Es gab nur eine große, wahre Liebe im Leben eines Elfs. Nur eine einzige Person, mit der sie diese Ebene des Verständnisses erlangen konnten.
Als Adhair starb, spürte Cary es. In dieser Nacht erwachte sie schreiend aus einem Albtraum. Doch sie hatte viele Albträume, seit er fort war, und so klammerte sie sich an die Hoffnung, dass es nur einer unter vielen gewesen war.
Aber in der Tiefe ihres Herzens wusste sie es, schon bevor der Brief ankam und sie die Botschaft des Kommandanten zu lesen bekam. Doch ab diesem Moment wurde auch ihr waches Leben zu einem Albtraum.
Sie hatte sich im Zorn von Adhairos getrennt. Sie hatte ihn angebrüllt, weil er in den Krieg zog.
Ihr letzter Kuss war bitter gewesen.
Ihr Vater hatte sich nach dem Verlust seiner Gemahlin völlig in sich zurückgezogen. Cary war das genaue Gegenteil. Sie brüllte und tobte, schlug gar Mitglieder des Hofstaates, wenn diese irgendwas sagten, das ihr gegen den Strich ging.
Als ein Fürst ihr vorschlug, sie könnte ja seinen Sohn heiraten, um nicht allein zu sein, stürzte sich Cary mit einem Messer auf ihn. Der Kampf endete erst, als der Fürst sie bewusstlos schlug. Er war zwar ein weitaus besserer Kämpfer als Cary, aber er hatte ein paar Schnitte davongetragen und die diplomatischen Beziehungen konnten nie wieder gekittet werden.
»Das muss aufhören, Assadar«, murmelte ihr Vater.
»Was soll ich den tun?«, fragte Cary ihn. »Ich will keine brave Prinzessin mehr sein. Ich will überhaupt nicht mehr sein.«
»Ich weiß, wie du dich fühlst. Und ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen, als dass du durchhalten musst.«
»Wird es besser?«
»Nein. Der Schmerz bleibt. Aber er verliert seine Schärfe mit der Zeit«, versprach ihr Vater. »Du bist so tapfer, Assadar. Gib dich nicht auf.«
»Bitte nenn mich nicht so.« Cary bemerkte den fragenden Blick ihres Vaters. »Assadar. Das war der Name, den Adhair für mich wählte. Ich kann ihn nicht mehr hören, ohne dass mein Herz bricht.«
»Ich mag es, dich so zu nennen. Doch ich verstehe, dass es dich verletzt.«
»Warum nutzt du ihn überhaupt? Du konntest den Namen nie leiden. Es ist ein Kriegername.«
Draußen senkte sich die Sonne und ihr Licht flutete den Raum in einem orangen, warmen Schein, als wäre ein Engel hereingetreten. Vailandamir lächelte. »Diesen Namen wählte deine Mutter für dich, Cary. Es ist mir nicht mehr viel von Amirana geblieben, aber dieser Name schon.«
Nachdenklich sah Cary zum Horizont. Die Worte ihres Vaters verblieben ihr im Kopf, und sie begriff, was sie tun musste.
Am nächsten Tag schlief sie nicht lange und stritt sich nicht mit dem Hofstaat. Stattdessen ging sie hinaus zum Übungsplatz und trainierte mit dem Holzschwert. Sie arbeitete so verbissen wie nie zuvor, bis der strömende Schweiß ihre Tränen verbarg.
In jeder Bewegung, in jedem Stoß und jedem Schlag, spürte sie Adhairos‘ Anwesenheit. Sein Schatten leitete sie durch jede Übung und jede Schrittfolge und seine Worte hallten in ihr nach, berührten ihr leidendes Herz. Es waren nur Fetzen früherer Gespräche, genauso Teil von ihr, wie Adhair Teil von ihr gewesen war.
Der Tränenschleier schien sich zu heben und Cary sah nun den Weg, den sie gehen wollte.
Wenige Wochen später gab sie ihrem Vater bekannt, dass sie das Königreich Ynmerie verlassen und nicht zurückkehren würde.