Die Engel hatten darauf bestanden, dass Terziel an der Front eingesetzt wurde. Warum, das hatte sich Stella zunächst nicht erschlossen. Klar, der junge Engel war sehr tapfer und trainierte hart. Er war der perfekte, gehorsame Soldat.
In einem ruhigen Moment schließlich konnte Stella seinen Geist berühren, was erstaunliche Erkenntnisse brachte.
Terziel schliff gerade sein Schwert. Er war niemals ohne Waffengürtel anzutreffen und immer wachsam. Doch in seinem Herzen sah Stella keinen Soldaten, sondern stattdessen Weisheit. Terziels Seelenlandschaft waren friedliche, grüne Hügel, die ihr bekannt vorkamen: Es waren die Wiesen vor der Grenze, mit denen ihn offenbar Erinnerungen verbanden, doch er schien diese verloren zu haben. Erstaunt betrachtete sie ihn genauer.
Er hatte eine wertvolle Lektion gelernt – und diese vergessen. Irgendwann in seinem Leben vor seiner Zeit als Engel war ihm etwas wichtiges offenbart worden. Doch sie waren für ihn verloren.
Ein merkwürdiges Puzzle offenbarte sich Stella da. Was er wohl erfahren hatte? Es schien wichtig zu sein, des es hatte ihm zu tiefgreifender Erkenntnis verholfen, doch ein Teil von ihm schien zu fehlen, als hätte man ihm die Hälfte seiner Seele entrissen.
Das Rätsel war lange Zeit unlösbar für sie, bis sie eine weitere Person kennenlernte, in deren Seele sie die gleichen Hügel der Grenze erblickte. Und auch jene Person bot keine Erklärung, keine Erinnerung, warum ein realer Ort in seiner Seele eingebrannt war.
In jener Seele waren die Hügel dunkler und am Himmel schwebte ein dunkler Dolch, keine Schriftrolle der Weisheit. Der üble Geschmack des Mordes überkam Stella.
Die beiden Seelen waren wie Tag und Nacht, wie Licht und Schatten. Und damit war sie, obwohl das Rätsel noch nicht gelöst war, dessen Erklärung einen Schritt näher.
Sapientia und Fratricida hatten sich in einem früheren Leben gekannt, ehe sie zu Engel und Nachtmahr geworden waren. Stella wusste, dass das Rätsel nur mit beiden Brüdern gemeinsam gelöst werden konnte.