Es war einmal eine Elfe, die für ihr Land sterben würde …
Carys Pfad war ein düsterer. Sie hatte jede Liebe verloren. Ihr Sein konzentrierte sich alleine darauf, ihre Feinde zu vernichten – um jeden Preis, und sei er noch so hoch.
Wer weiß, wohin ihr Weg sie noch geführt hätte. Doch etwas kam dazwischen. Ein Licht, wenn man es so sagen will, ein Spiel mehrerer Funken.
Die Kinder der Sonne drangen ins Reich des Lichts ein,
Sie waren Schattenwesen unter der Führung eines Vampirs. Eine Werwölfin, ein Inkubus, ein Nachtmahr, eine Hexe, ein Magier und ein Schattenland-Drache. Als hätte sich das Schattenland verkleinert und wäre ins Sonnenland marschiert.
Diese Gruppe war zwar klein, doch ihr Vorteil war, dass sie aus so unterschiedlichen Wesen bestand. Die Kinder der Sonne überwanden die Grenze im Schutz der Nacht und sie schafften es, den gewaltigen Drachen Nephanir zu töten. Nach der Schlacht wurden Caryellê, Stella Cantici und Terziel gefangen genommen.
Da war sie nun, in den Händen ihrer Feinde. Eine einzige Unachtsamkeit hatte ausgereicht und ihr Schicksal besiegt. Wie schon ihre Mutter und ihr Seelenverwandter sollte wohl auch Cary durch die Hand der Nacht sterben.
Allerdings töteten die Schattenländer sie nicht sofort. Sie hielten sie als Geiseln und reisten mit ihnen weiter, tiefer in das Sonnenland. Sie fingen sie nach Fluchtversuchen ein, bestraften sie jedoch nie dafür.
Die Geschichte der Kinder der Sonne wollte Cary nicht glauben. Angeblich wollten diese nichts als Frieden – ein Leben im Sonnenland. Cary hielt sie für Spione, doch die Kinder sahen sich als Flüchtlinge, die Asyl beantragten.
Konnte man eine solche Geschichte glauben? Cary tat es anfangs natürlich nicht. Dann wiederum hatten die Kinder der Sonne stets nur aus Notwehr getötet. Ihr Anführer, der Vampir Iljan, ging sogar große Risiken ein, indem er seine Feinde wann immer möglich verschonte.
Cary würde später nicht benennen können, wann es geschah.
War es in den Tiefen der Zwergenminen, als ihnen der Tod drohte und die Schattenländer ein altes Bergbau-Lied sangen? War es, als sie die Hexe in die Gefangenschaft zurückkehren sah, um das erkrankte Einhorn Stella zu retten? Oder waren es all die kleinen Momente in unmittelbarer Nähe der Schattenländer, die ihr bewiesen, dass diese keine blutrünstigen, gesichtslosen Monster waren?
Sie lernte ihre Feinde als Menschen kennen. Als Personen mit Wünschen und Träumen. Sie begann, ihre Geschichte zu glauben. Ihren Traum vom Frieden zu teilen.
Es war ein Funke Hoffnung in einer Welt, die für Cary jede Farbe verloren hatte. Nach Adhairs Tod war dieser verzweifelte, reine Traum ihrer schlimmsten Feinde genau das, was ihren Glauben an das Gute wiedererweckte.
Sie wurde ein Teil der Gruppe. Ein Kind der Sonne. Sie kämpfte auf der Seite ihrer ehemaligen Feinde.
Für ihr Land wurde sie zu einer Verräterin. Eine Verräterin am Sonnenland, an ihrer Mutter und ihrem Geliebten. Plötzlich hieß es, sie sei seit Adhairs Tod instabil gewesen. Man vermutete auch Gehirnwäsche, Besessenheit, einen Komplott. Wieso sollte die Elfe, die vom Hass auf die Nacht getrieben worden war, sich plötzlich mit dem Fein verbrüdern?
Iljan, der junge Vampir, der die Gruppe anführte, wurde jedoch tatsächlich etwas mehr als ein Freund für sie. Er liebte sie bald von ganzem Herzen. Doch Carys Herz war gebrochen, und das würde sich nie wieder ändern. Sie war nicht mehr fähig, Liebe zu empfinden. Adhairos war ihre Liebe gewesen. Niemand sonst konnte seine Stelle einnehmen.
Aber der Traum der Kinder der Sonne, die Hoffnung auf eine neue Gerechtigkeit, vielleicht auf einen dauerhaften Frieden – diese vermochte, die Leere in Cary zu füllen. Würde dieser Traum sich erfüllen, würde vielleicht nie wieder ein Elf sein Gegenstück verlieren. Kein weiser König müsste seine Gemahlin zu Grabe tragen und keine junge Elfenprinzessin ihrem Verlobten nachwinken, wenn er in den Krieg zog.
Um diesen Krieg zu beenden, war Cary zur Armee gegangen. Sie hatte die Vernichtung der Schattenländer für den einzigen Weg gehalten, doch Iljan hatte ihr die Tür für eine weitere Lösung geöffnet.
Und in diesem Sinne blieb sie ihrer selbst vollkommen treu. Sie kämpfte, weil sie den Krieg verabscheute und ihn beenden wollte.
Sie kämpfte für den Frieden, und der Weg der Kinder der Sonne schien ihr der richtige zu sein. So also wählte sie einen Pfad in Gefahr und Unglück, ohne zu wissen, in welche Dunkelheit er sie führen würde. Sie wurde Iljans Freundin, ohne zu ahnen, welches Schicksal sie bereits verband.
Es war einmal eine Heldin, die ihr Land verriet, um ihm zu dienen ...
Eine Elfe, die in den Krieg zog, um den Frieden zu finden.