Jiska wälzte sich in den Laken herum. Ihre Hand glitt über seinen Rücken.
»Komm wieder ins Bett. Es wird kalt«, murmelte sie schläfrig.
Naja sah zurück. Das rote Haar der Hexe war zerzaust, ihr Lächeln trunken. Die Decke war von ihrer Schulter und bloßen Brust gerutscht.
Naja stand auf. Jiska ergriff seinen Arm. Ihre Finger glitten hinab zu seinem Handgelenk, dann über seine Finger, bevor er zu weit gegangen war, als dass sie ihn noch erreichen könnte.
Er stieg in seine Hose.
»Naja. Willst du … einfach gehen? Ich dachte …«
»Dann hast du vielleicht falsch gedacht«, sagte er mit abgewendetem Blick. Er wusste auch so, was er in ihrem Blick finden würde. Welche unsinnige Hoffnung.
Tearing me apart with word you wouldn’t say.
And suddenly tomorrow’s moment washed away.*
»Naja! Da bist du!«
Als der Inkubus vor die Hütte trat, kam ihm Caspar entgegen. Der Zauberer lächelte breit. »Ich wollte wissen, ob du nun morgen zum Fest kommst oder nicht. Wir könnten …«
»Najaxis!« Zornig stürmte Jiska aus dem Haus, nur in die Decke gekleidet. »Du hast dein … dummes Armband vergessen!« Sie warf die kurze Kette auf den Boden, die aus hellen Holzperlen bestand.
Caspars Lächeln verblasste, als er sie sah. Automatisch fuhren seine Finger zu seinem eigenen Handgelenk, wo eine identische Kette hing. »Du … hast noch eine?«
Najaxis machte sich nicht die Mühe, sich danach zu bücken. Er trat an Caspar vorbei.
»Und du hast … mit Jiska?« Caspars verletzte Stimme folgte ihm über die Wiesen.
‘Cause I don’t have a reason, and you don’t have the time.
But we both keep on waiting for something we won’t find.
Naja durchquerte die morgendlichen Straßen des kleinen Dörfchens, vorbei an Vorgärten, in denen die zusammengezogenen Schattenländer Gemüse und Kräuter zogen. Es war noch früh, doch die ersten Tagwesen waren bereits auf den Beinen. Aus dem haus der Bäckerin drang der Geruch nach frischem Brot, und die Fischer zogen zur Jagd aus. Durch ein Fenster spähte Surai, doch als sie Najaxis sah, wandte sie sich schnell ab.
Einsam schlenderte er seinem Schatten nach, der langgestreckt vor ihm auf den Weg fiel, seinen Beutel über der Schulter. Er trug nur die Hose, kein Hemd, du an seinem zerzausten Haar konnte jeder ablesen, wo er gewesen war. Viele der Älteren schüttelten die Köpfe, als er vorbeischlurfte.
The light on the horizon was brighter yesterday.
With shadows floating over, the scars began to fade.
We said it was forever but then it slipped away.
Standing at the end of the final masquerade.
The final masquerade …
Das Dorf war seit Najas Kindheit gewachsen. Inzwischen gab es fast hundert Hütten, doch die ersten standen bereits wieder leer. Die Natur solcher Siedlungen im Schattenland war flüchtig.
Als Junge hatte er das Gefühl gehabt, dass aus den wenigen Hütten eine große, wunderschöne Stadt werden konnte. Nun sah er diese Hoffnung sinken.
Er kam an den Marktplatz und hielt abrupt an, als er mehrere fremde Wesen bemerkte. Sie trugen die dunklen Uniformen der Soldaten, obwohl diese nur den wenigstens wirklich passten. Ein Kommandant stand vor etwa zwanzig angetretenen Rekruten. Sie hatten einen Tisch nach draußen geschleppt, und auf diesem Waffen ausgelegt, um Interessierte anzulocken.
Najaxis eilte zurück und presste sich mit dem Rücken an eine Hauswand, bevor ihn die Soldaten entdeckten.
»Was machst du da?«, fragte eine unfreundliche Stimme. Naja drehte den Kopf und sah Jumo. Der Werwolf hatte sich ihm lautlos genähert.
Naja legte einen Finger vor die Lippen. »Soldaten.«
Jumos finsterer Blick erhellte sich ein wenig. Seine Finger zuckten einen Moment, als wollte er Najaxis am liebsten auf den Platz stoßen. Dann drehte er sich um und lief den Weg zurück zu dem Haus, wo er noch mit seinen Eltern und seiner Schwester wohnte. Er sah Surai aus der Tür spähen, doch sie zog sich zurück, als sie Najas Blick spürte.
All I ever wanted, the secrets that you keep,
all you've ever wanted, the truth I couldn't speak.
'Cause I can't see forgiveness, and you can't see the crime,
and we both keep on waiting for what we left behind.
Naja atmete auf. Es wäre Jumo durchaus zuzutrauen gewesen, dass er ihn mitten unter die Soldaten zerrte, sogar das Risiko einging, selbst rekrutiert zu werden, wenn er dadurch nur Najaxis eins auswischen könnte.
Doch er hatte sich dagegen entschieden.
Naja schulterte seinen Beutel erneut und umrundete den Marktplatz weiträumig, als er noch einen seiner ehemaligen Freunde erblickte.
»Paski.«
Der große Steintroll drehte sich um. Sein Blick wurde ebenfalls finster, als er Naja sah.
»Geh nicht zum Marktplatz. Sie rekrutieren.«
Der Troll schnaubte. »Was meinst du, wohin ich gerade will? Ich bin kein Feigling wie Jumo.«
»Paski …«
Der Troll drehte sich um und stapfte schweren Schrittes zum Marktplatz. Naja lief ihm nach. »Warte!«
Sein früherer bester Freund hielt unbeirrt auf die Soldaten zu. Najaxis, der sich im Schatten der Häuser hielt, konnte nur zusehen, als Paski eine Lanze, einen Helm und eine große Uniformjacke entgegennahm.
The light on the horizon was brighter yesterday.
With shadows floating over, the scars began to fade.
We said it was forever but then it slipped away.
Standing at the end of the final masquerade.
The final masquerade …
The final masquerade …
Standing at the end of the final masquerade.
Ja, so war es gekommen. Die Bande der Freundschaft, die die sieben verbunden hatten, waren in den Jahren seit Katies Tod nach und nach zerfasert. Und genauso löste sich auch dieses kleine Dorf ihrer Kindheit auf, als immer mehr junge Schattenländer für den Krieg rekrutiert wurden.
Najaxis fasste den Beutel fester und beschleunigte seine Schritte. Sein Ziel lag auf der anderen Seite des Dorfes, am Waldrand.
Die Hütte seiner Mutter.
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*»The final Masquerade«, Linkin Park