Blind taumelte Naja vorwärts. Seine Schuhspitzen stießen immer wieder gegen die Stufen, die höher waren, als er es gewohnt war. Mit einer Hand tastete er an der rauen, gewölbten Wand des Turmes entlang. Weder das Gemäuer noch die ausgetretene Wendeltreppe kamen ihm im Geringsten bekannt vor.
»Wo sind wir?«, fragte er.
»Geduld, Dummerchen.« Katie lachte.
Ihre Hand in seiner war kühl. Mit geschlossenen Augen folgte Najaxis ihr immer weiter hinauf. Sie hatte ihm eine Überraschung versprochen, aber dass sie ihn fast eine halbe Stunde durch den Wald und dann einen alten Turm hinaufführen würde, hatte er nicht erwartet.
Schließlich stolperte er nicht mehr über eine Stufe, sondern über die Leere, wo er eine weitere Stufe erwartet hatte. Katie fing ihn auf und schmiegte sich an ihn. »Langsam.«
»Sind wir da?«, fragte Naja.
Katie strich die Binde von seinen Augen. »Ja.«
Naja blinzelte und erblickte zunächst seine Freundin, die erwartungsvoll zu ihm aufsah. Dann erfasste sein Blick das runde Turmzimmer und das Loch im eingestürzten Gebälk, durch das die Sterne hereinleuchteten, das große Bett in der Mitte des Raumes, das viel neuer aussah als der Rest der vom Verfall gezeichneten Einrichtung. Windlichter flackerten an den Wänden und ringsum auf dem Boden.
Katie schmiegte ihre Finger in seine Hand. »Gefällt es dir?«, fragte sie, die Stimme voller Furcht.
Najaxis wurde bewusst, dass seine Miene einen Moment erstarrt war. Er sah hinab und lächelte Katie an, ehe er ihr einen Kuss auf die Nase hauchte. »Es ist wunderschön. Aber heißt das wirklich …?«
Sie schmiegte sich an ihn. »Es ist eine perfekte Nacht, oder nicht?«
»Wie lange hast du das geplant?« Najaxis lachte nervös, während Katie ihn zum Bett zog.
»Seit du meintest, dass wir theoretisch alt genug wären«, erwiderte die Vampirin.
»Das habe ich gesagt?« Es stimmte, ja, aber er konnte sich nicht an das Gespräch erinnern.
»Da ging es um Surai.«
»Ach, ja!« Er erinnerte sich wieder. Die Werwölfin hatte sich verliebt, in Caspar. Sie hatte es Naja und Katie errötend gestanden, und vermutlich auch allen anderen Mitgliedern ihrer kleinen Gruppe, außer Caspar natürlich. Sie fand, mit siebzehn wäre man noch zu jung für Beziehungen, und Najaxis hatte sie vom Gegenteil überzeugen wollen. »Das hast du dir echt zu Herzen genommen.«
»Ich wollte nur, dass es etwas Besonderes wird.« Zögerlich umfasste Katie die Träger ihres Kleides. »Habe ich übertrieben?«
Naja umfasste ihr Gesicht. »Nein, Babe. Es ist einfach perfekt.« Er küsste sie einen Moment, schmeckte ihre kühlen, aber unendlich weichen Lippen, bevor er sich von ihr löste und auf ein Knie sank, ihre Hand noch in der Seinen. »Ich möchte dir etwas versprechen, Katie … Ein Schwur.« Er sah ernst zu ihr auf. »Es wird niemals ein anderes Mädchen neben dir geben. Du sollst für immer meine Liebe sein.«
»Naja«, hauchte sie ergriffen. »Aber du bist ein Inkubus!«
»Das spielt keine Rolle«, sagte er überzeugt. »Ich werde dir trotzdem treu bleiben. Bis an mein Lebensende.«
Katie umfasste seine Hand und zog ihn hoch. »Aber ich werde dich nicht sterben lassen. Irgendwann, wenn du bereit bist, verwandel‘ ich dich, und dann leben wir für immer.« Sie zog ihn an sich und küsste ihn.
Der erst zarte Kuss wurde bald stürmischer. Katie ließ das Kleid von den Schultern gleiten und zog an Najaxis‘ Hemd. Er musste sich widerstrebend von ihren Lippen lösen, um es abzustreifen. Die Kälte ließ ihn erbeben. Oder war es die Aufregung? Katie zog ihn zu dem großen Bett.
Seine Instinkte gewannen die Oberhand, als Katie auf das Bett sank. Er entzog sich ihrem Griff und kniete sich vor ihre Mitte, um eine andere Art Kuss zu beginnen. Zunächst versteifte sie sich, dann wurden ihre Muskeln, begleitet von ihrem leisen Seufzen, immer lockerer. Sie grub die Hände in sein Haar und drängte sich ihm entgegen.
Er hatte die richtige Stelle gefunden.
Mit einem heimlichen Lächeln verwöhnte er sie und genoss es, wie sie sich mit heimlichem Wimmern wand. Irgendwann bekam sie seinen Arm zu packen und zog ihn mit einer Kraft herauf, die eine menschliche Frau nicht aufgebracht hätte. Er glitt über sie und liebkoste ihre Brüste, während er sich gleichzeitig auch aus der Hose schälte. Katie umfing ihn mit ihrer Umarmung und klammerte sich an ihn.
»Naja …«, flehte sie. »Najaxis …«
Er gab nach und glitt noch ein Stück höher. Ihre Lippen vereinten sich, bevor er sich vor ihrem Eingang positionierte. Sein Körper wusste, was er zu tun hatte, doch Naja zögerte. Er löste sich vorsichtig von Katie. Sie sah mit angehaltenem Atem zu ihm auf, ebenso hoffnungsvoll und ängstlich, wie er selbst sich fühlte.
»Tu es«, hauchte sie und zerrte an ihm. »Los.«
Er lehnte sich vor und drang in sie ein. Ein Seufzen entwich ihr und Katie biss sich auf die Lippe. Ihre Blicke fanden sich, während Naja wieder tiefer über sie sank und nach ihren Lippen suchte. Er begann, sich zu bewegen, langsam und konzentriert, jedes Gefühl auskostend. Katies Inneres fühlte sich ganz anders an als ihre Haut. Es war warm und eng, jedoch einladend, und ebenso weich wie ihre Lippen. Najaxis schloss die Augen, versank in ihrem Kuss, genoss das Gefühl ihrer kühlen Finger, die über seinen erhitzten Rücken glitten.
Nach und nach steigerte er das Tempo. Katies Finger krallten sich in seinen Rücken. Sie schmiegte sich fest an ihn. Ihre leisen Schreie waren ein Lied, dem er ewig lauschen könnte.
Sie mussten ihre Lippen trennen, um atmen zu können, als Naja noch schneller wurde. Doch er spürte ihren Atem gegen sein Gesicht branden, süß wie ein unbekannter Nektar. Ihm war, als könnte er ihn trinken.
Katies Nägel kratzten über seine Muskeln. Ihre Stimme wurde lauter, steigerte sich zum Schreien.
»Naja! Najaxis! Naja …«
Er hatte das Gefühl, die ganze Luft einzusaugen, während er noch schneller wurde, gefangen im Rausch. Dann, mit einem letzten Stoß, explodierte etwas in ihm und er versank in einem Strudel wildester Farben, die ihn mitzureißen schienen.
»Naja …«, hauchte Katie leise, kaum hörbar.
Er riss den Kopf hoch. Seine Muskeln zitterten und bebten, völlig außer Kontrolle. Mit rauen Zügen kämpfte er um Atem. Es war ein bisschen, als würde er in einem Meer von Honig baden und jeden Schluck davon trinken.
Doch der Geschmack wurde mit einem Mal fad.
Najaxis sah nach unten und erwartete, Katies Lächeln zu sehen. Doch ihr Gesicht lag auf der Seite.
Ihre Hand glitt schlaff von seinem Rücken.
»Katie …? Katie!« Er berührte ihre Wange und drehte ihr Gesicht zu sich.
Mit glasigem Blick starrte sie ihm entgegen. Ihre Haut war kalt. Kälter als sonst.
Schreiend fuhr Naja zurück und riss im gleichen Moment die Decke an sich. Katie blieb auf dem Bett liegen, regungslos, die Beine gespreizt, nackt, eine Hand hilfesuchend in ein Kissen gekrallt.
Verständnislos schüttelte Naja den Kopf. Was war geschehen? Wie …?
Er presste die Hand auf den Mund, als er begriff. Entsetzt schluchzte er auf.
Die Macht eines Inkubus‘. Sie war ganz ähnlich wie der Biss des Vampirs, ein Rausch, der dem Opfer etwas entzog. Doch statt Blut war es Lebensenergie.
»Katie …« Er stolperte an ihre Seite. »Katie, bitte wach auf … komm schon …«
Doch sie wachte nicht auf. Bebend in der Kälte beugte Naja sich vor, als ihm klarwurde, dass Katie nie wieder aufwachen würde.