Es war einmal eine Elfe, die ihr bisheriges Leben zurückließ und zur Armee ging …
Eine Elfe in der Armee des Sonnenlandes – das war tatsächlich eine Neuheit. Natürlich gab es viele starke Kriegerin im Heer, doch Elfen hatten den Ruf, ausgesprochen konservativ zu sein. Man hielt sie für schwach, für zartbesaitet.
Und auch so standen Elfen in einem etwas zweifelhaften Ruf. Cary war eine hübsche, junge Frau, obwohl sie sich das lange Haar inzwischen größtenteils abgeschnitten hatte, und dass sie eine Prinzessin war, sprach sich bald herum. Es kam zu dem, wegen dem ihre Eltern sie damals an die Herrin des Lichts gegeben hatten: Cary wurde von allen Seiten bedrängt. Die vernünftigen Rekruten mieden sie, und jene, die sie nicht mieden, hatten meist ihre eigene Agenda. Sie konnte niemandem vertrauen.
In ihrer Einsamkeit geriet sie an ein paar zwielichtige Gestalten, ließ sich mit den Falschen ein und hatte bald ihren Stempel, sowohl für die anderen Rekruten als auch für die Ausbilder. Ein verhätscheltes Prinzesschen sahen sie in ihr, eine verwöhnte Göre, die ihren ersten und einzigen Schicksalsschlag nicht verkraftet hatte und nun glaubte, irgendwas beweisen zu müssen.
Und womöglich hatten sie nicht unrecht. Cary war nicht für das Leben im Heer geschaffen. Sie war rücksichtslos im Training und selbstzerstörerisch, sie schlief mit allen möglichen Rekruten und prügelte sich mit dem Rest. Sie war ebenso unkontrolliert, wie sie es in Ynmerie gewesen war. Vielleicht gar mehr, denn sie hatte verstanden, dass ihre Liebe zum Kampf alles war, was ihr von Adhairos geblieben war.
Es sah finster aus für sie. Im Heer fand sie keinen Platz für sich. Das Geläster der anderen Rekruten störte sie beim Training. Die Ausbilder sahen in ihr ein Störelement, das sie schnellstmöglich loswerden wollten. Cary selbst sah keinen Grund, sich anderen zu beweisen.
Bis sie auf ein Einhorn traf. Stella Cantici, das Sternenlied, durchschaute den Mantel, den Carys Trauer über sie gebreitet hatte, den verzerrten Zorn, der ihr wahres Ich verbarg.
Denn Einhörner sprechen die Sprache der Magie, die die Wahrheit der Seele enthüllt.
»Lestes Dryas«, sagte Stella zu Cary. »Die Prachtlibelle. Ein wunderschönes Wesen, doch auf seine Weise von höchster Gefährlichkeit. Für uns mag ein Insekt nicht sehr bedrohlich sein, doch unter anderen Insekten ist sie ein Monster.«
Und das war der Beginn einer neuen Freundschaft.
Stella und Cary verteidigten einander vor dem Spott der anderen Rekruten. Sie trainierten zusammen. Cary konnte sich endlich wieder auf ihr Training konzentrieren und fand heraus, dass sie das Bogenschießen vom Pferderücken beherrschte wie kein zweiter. Sie gewann neuen Respekt durch die Fähigkeiten, die sie hier demonstrierte, und glänzte bald auch als Schwertkämpferin und als Strategin. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten fand sie ihrem Weg im Kampf mit dem Bogen oder dem Dolch, und bald zeigte sich ihre wahre Berufung.
Sie war schneller als die anderen Rekruten und flinker. Übermächtige Gegner konnte sie überlisten. Da sie im Adel aufgewachsen war, wusste sie bereits nahezu alles über die Geschichte des Krieges. Sie wurde nicht nur eine gute Soldatin – sie wurde die beste Soldatin ihres Kommandos.
Für die Sonnenländer war es ein wahrer Augenöffner, als Cary die Prüfungen mit Bravour bestand, das Einhorn Stella stets an ihrer Seite. Sie stieg rasch in den Rängen des Heeres auf, leitete bald kleinere Scharmützel und Angriffe. Noch immer hatte sie kaum Freunde, doch diese waren durch Untergebene ersetzt worden.
Dann, eines Tages, führte das Schattenland einen überraschenden Angriff aus. Caryellê war als erste an der Grenze. Ihr Kommando war hoffnungslos in der Unterzahl, doch sie wich nicht. Stattdessen positionierte sie ihre Leute heimlich und rasch und erweckte mithilfe einiger Helme den Eindruck, dass sie mehr wären. Mit einem Pfeilhagel und diesem Trick konnten sie die Gegner lange genug zurückhalten, dass Stella Verstärkung rufen konnte.
Der Trick wurde durchschaut und Carys Kommando ausradiert. Nur sie überlebte, wenn auch knapp. Alleine hielt sie mehrere Gegner in Schach, während der Rest an ihr vorbei ins Sonnenland strömte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie unterliegen würde, da traf Stella mit dem Rest des Heeres ein.
Im folgenden Kampf trafen Gewalten aufeinander. Der Anführer des Heeres, ein Zentaur namens Jakir, wurde von den Horden der Finsternis überwältigt und das Sonnenland drohte, zu verlieren. Obwohl verletzt, kämpfte Cary an vorderster Front, beseelt von jenem Hass, den die Tode ihrer Mutter und ihres Geliebten hervorgerufen hatten. Und mit ihr als Anführerin fassten die Sonnenländer neuen Mut und schlugen den Angriff zurück.
An diesem Tag stieg Caryellê zur neuen Anführerin der Weißen Wächter auf, jener Truppe, die die Grenze bewachte.