Und dann war da noch Gudrun.
Stella spürte die Energie der Hexe vom ersten Moment an. Sie wäre eine Närrin, hätte sie eine ehemalige Weiße Hexe nicht erkannt. Eine mächtige Magierin, deren ursprüngliche Kraft dem Sonnenland gedient hatte.
Dunkelheit wohnte in ihrem Herzen, doch Stella sah vor allem auch Licht. Gudrun war kein schlechter Mensch. In Gegenteil, sie war ein sehr guter Mensch, der schlechte Entscheidungen getroffen hatte. Ausgerechnet die Liebe war es gewesen, die sie in die Dunkelheit gezogen hatte.
Als Stella ihren Geist berührte, war sie selbst krank. Die Umira-Fähigkeit in ihr brach hervor, und Gudrun kehrte an ihre Seite zurück, um ihr zu helfen.
Sie war nicht böse, obwohl selbst die Schattenländer unter den Kindern der Sonne sie als Feind behandelten. Sie missdeuteten Gudruns Wechsel zur dunklen Seite als freie Entscheidung, doch das war es nicht. Sie hatte keinen anderen Weg gesehen.
Gudruns Geist offenbarte sich als eine große Halle mit der Sonne auf dem Boden. Der Thronsaal der Königin, das erkannte Stella, auch ohne ihn je mit eigenen Augen erblickt zu haben.
Der große Raum war leer, nur manchmal kräuselte sich das Mosaik des Bodens wie von Wellen.
Nichts rührte sich, doch von irgendwo erklang eine getragene, traurige Melodie. Ein Lied über Trauer und eine verlorene Heimat, von Sehnsucht und Liebe. Eine Ballade, wie Mütter es für im Krieg gefallene Söhne singen würden.
Was für eine Geschichte! Aus der größten Magierin des Sonnenlands war eine Verräterin geworden. Hätte es anders enden können, wenn es den Krieg nicht geben würde? Wenn sie nicht zwischen ihrem Land und ihrem Herzen hätte wählen müssen?
Es war nicht unbedingt so, dass Stella Gudrun vergab. Das lag nicht in ihrer Macht, denn sie war, vielleicht als einzige der Gruppe, nicht durch Gudruns Entscheidungen zu Schaden gekommen.
Aber sie konnte die tiefe Wunde anerkennen, die Gudruns Herz zerriss. Es war das traurigste Schicksal, das ihr je begegnet war, und deshalb war Gudrun auch Aelinos – das Klagelied. Eine Weise, die in ihrer Schönheit zu Tränen rührte. Ein altes, urbekanntes Lied.
Manchmal kann selbst die größte Kraft des Guten zu bösen Taten führen.