»Denkt an eure Deckung«, rief der Ausbilder streng. »Und noch einmal.«
Mit einem Seufzen ließ Najaxis das Holzschwert sinken. Seine Arme taten weh.
»Naja! Wir müssen weitermachen«, drängelte Paski.
Ihr Ausbilder, ein kräftig gebauter Werwolf, drehte den Kopf in ihre Richtung und stürmte auf sie zu. »Ihr beiden! Warum bewegt ihr euch nicht?«
Holz schlug klopfend auf Holz, während die anderen die Bewegungen erneut nachvollzogen, die ihnen beigebracht wurden. Angriff, Block, Gegenangriff – es war ermüdend.
»Mir reicht es.« Najaxis warf das Schwert zu Boden. »Ich kenn den Quatsch langsam.«
»Das bezweifle ich sehr. Wenn es hart auf hart kommt, muss jede Parade sitzen, oder ihr übersteht den Krieg nicht sehr lange.«
»Er hat allerdings recht«, brummte Surai und warf ihr Schwert ebenfalls in den Dreck. »Ich bin ein Werwolf! Wozu brauche ich Schwertkampfunterricht?«
»Siehst du die hier?«, erwiderte der Ausbilder zornig und rempelte den Ärmel hoch, um eine breite Narbe zu enthüllen, wo ein Stück seines Oberarms fehlte. »Die habe ich mir zugezogen, als unser Bataillon am Tag von der Sonnenstrahl-Elitetruppe überfallen wurde! Könnte ich keine Klinge schwingen, wäre ich jetzt tot. Der Feind wartet nicht immer darauf, dass ihr bereit seid, und nicht alle Schlachten werden bei Vollmond geschlagen.« Mit funkelndem Blick, in dem der Wahnsinn des Wolfs lauerte, musterte er sie alle, ehe er gefährlich leise grollte: »Und jetzt nehmt eure Schwerter auf.«
Nach der Stunde humpelten die sieben Freunde zerschlagen zurück zum Dorf. Die kleine Ansammlung aus Hütten war in den letzten Jahren aus dem Boden gesprossen. Noch hatte das Dörfchen keinen Namen. Immerhin zählte es auch kaum fünfzig Einwohner, und niemand konnte sagen, wie lange die Siedlung wirklich Bestand haben würde.
»Was für ein Angeber«, brummte Jumo, Surais Bruder. »Kennen wir jetzt alle seine Narben persönlich?«
»Seid nicht so gemein«, widerspricht Caspar. »Er hat eindeutig viel erlebt. Und viel verloren.«
»Ja – vor allem seinen Verstand«, warf Jiska mit einem fiesen Grinsen ein. Inzwischen sah man ihr die bösartige Hexe an, die sie einmal werden würde. »Kommt ihr mit zum Treffpunkt?«
Die Jugendlichen tauschten Blicke, zuckten mit den Schultern und nickten dann. Schweigend wanderten die Freunde zum Wald und folgten dem Pfade, den sie durch das Unterholz geschlagen hatten.
»Fühlt sich irgendwie seltsam an, für den Krieg zu trainieren«, murmelte Paski traurig.
»Wir werden schon nicht eingezogen«, sagte Katie selbstbewusst. »Sobald ich kann, stelle ich euch alle als Diener in meinem Schloss an. Dann sind wir alle sicher.«
»Und dein Vater erlaubt das?«, fragte Naja.
»Natürlich. Ich sage einfach, ihr seid die besten in eurem Job!« Die Vampirin drehte sich im Kreis. Jumo und Surai, ihr werdet die Vorkoster. Ihr habt die feinsten Nasen von allen. Und Paski wird … der Torwächter! Niemand kommt an einem Brückentroll vorbei, hehe. Jiska kann Brauen, also muss sie die Köchin sein. Es tut mir jetzt schon leid für Jumo und Surai. Caspar wird mein Hofmagier und Naja …« Katie hatte ihre Drehung vollendet. »Du wirst … der Hofnarr!«
»Na danke!«
Das gutmütige Gelächter der Freunde hallte durch den Wald.
Katie bückte sich nach einem Ast und richtete ihn wie ein Schwert auf Najas Brust. »Für einen Platz als Leibwache bist du ja nicht geeignet. Oder willst du mir das Gegenteil beweisen?«
Najaxis suchte grimmig eine eigene Waffe und hieb nach Katie. Sie wich schneller aus, als man gucken konnte, und schlug auf seinen Arm.
»Au!«
»Das war nicht hart. Und wäre ich ein echter Angreifer, wäre die Hand jetzt ab.«
Najaxis wechselte die Hand und griff erneut an, mit dem gleichen Ergebnis.
»Aber deinen Kampfwillen bewundere ich. Ich befördere dich hiermit zum Ober-Hofnarren.«
Grinsend ließ Naja den Spott über sich ergehen und warf den Stock weg. Doch tief in seinem Inneren nagten Zweifel.
Es waren nur noch wenige Jahre, bis sie in den Augen ihres Landes kampftauglich sein würden. Und dann war es einfach eine Frage der Zeit, bis der nächste Kampf nahte und sie eingezogen wurden.
Was, wenn es wirklich so weit kommen würde? Wenn sie sich nicht vorher an den Hof eines Vampirs retten konnten? Was sollte er dann tun? Er war kein Kämpfer.
Sie erreichten ihr alles Baumhaus. Die obere Plattform war längst zerfallen und morsch, und der untere Teil war diesem Schicksal ebenfalls geweiht. Trotzdem stiegen die sieben hinauf und ließen die Füße über den Abgrund baumeln.
»Hat irgendwer die Rezepte für morgen gelernt?«, fragte Jumo.
»Haben wir schon wieder Brauen?« Jiska seufzte. »Ich hasse es. Die Lehrer sehen mich immer an, als müsste ich alles schon kennen.«
»Du bist eine Hexe. Du hast ein natürliches Talent dafür«, sagte Caspar sanft.
»Ja, ist klar.« Jiska schnaubte.
»Ich habe mir das angesehen«, gab Paski zu. »Es ist nicht so schwierig. Im Grunde müssen wir nur die Froschunken-Kombinationen kennen.«
Alle Blicke richteten sich auf den Troll.
»Nur?!« Jiska schnappte nach Luft.
»Ja. Es ist relativ simpel. Rotes Kraut mit roten Gewürzen. Gelbes Kraut mit schwarzen Gewürzen. Pfeffer zum Beispiel. Und blaue Wurzeln mit stinkenden Kräutern. Grüne Kräuter mit dem ganzen Rest.«
Jiska überlegte kurz. »Das … klingt richtig.«
»Soviel zu deiner natürlichen Begabung.« Surai lachte schallend. Jiska streckte ihr die Zunge heraus.
Najaxis ließ sich auf den Rücken fallen und legte die Arme unter den Kopf. Er starrte in das Blätterdach über ihnen.
»Wir müssen los«, sagte Surai wenig später. »Komm, Jumo.«
Der Mond sank immer tiefer. Bald verabschiedete sich Paski, dann gingen Caspar und Jiska, in Gespräche über Tränke vertieft.
»Musst du nicht auch los?«, fragte Najaxis Katie.
Die Vampirin lächelte schief. »Ich ertrage die Sonne jetzt eine Weile, weißt du?«
Ihre Hand stieß wie zufällig auf Najas Finger er zuckte zusammen und sah darauf, und Katie zog ihre Hand rasch zurück.
Er rückte näher neben sie. »Wäre ich wirklich nur der Hofnarr?«
Keck sah sie ihn hinter ihren Strähnen hervor an. »Wer weiß. Was wärst du denn lieber?«
»Der Mann an deiner Seite«, sagte er und suchte in ihren Augen nach einem Zeichen. Es flackerte darin. Mit angehaltenem Atem beugte Najaxis sich vor, während sein Kopf ihn anbrüllte, was er da getan hatte. Sein Herz begann verspätet zu rasen.
Katie beugte sich vor und ihre Lippen trafen aufeinander. Najaxis atmete erleichtert auf.
»Wir werden sehen, wie es läuft«, murmelte Katie grinsend, ehe sie ihn erneut küsste. Er zog sie an sich, atmete ihren Duft ein und wünschte sich, dieser Moment würde nie enden.