Es war einmal ein Elfenkönig, dem eine Tochter geboren wurde …
Der Name dieses Königs war Vailandamir, der Gerechte. Er war ein weiser und beliebter Herrscher in Ynmerie. Über die Geburt seiner Tochter freute er sich ungemein. Es war auch ein zartes Kind, das Ebenbild seiner Mutter, mit ebensolchem silbrigschwarzen Haar und großen, tiefblauen Augen.
»Sie wird ein wunderbares Mädchen«, stellte Vailandamir fest, der die junge Elfe bereits in Kleidern auf dem Ball tanzen sah.
Ihre Mutter Amirana Tirzeryna hielt das kleine Kind im Arm. »Ich möchte sie Assadar nennen. Caryellê Assadar.«
Vailandamir runzelte die Stirn. »Assadar? Das ist ein Kriegername. Aber Caryellê gefällt mir.« Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn. »Was immer du möchtest, Liebling.«
Drei Tage nach der frohen Geburt befahl Vailandamir, ein Fest vorzubereiten. Es war kurz nach dem Winterfest, doch er wollte seinen Untertanen die junge Tochter vorstellen, und so liefen die Vorbereitungen an. Es wurde ein großes Turnier organisiert und eine Heeresschau, gleich drei große Bälle und man rief Schausteller und Theaterleute und Musiker aus ganz Ynmerie und sogar von weiter her zusammen.
Die Wälder wurden geschmückt und es wurde gebacken und gebraten. Sieben Tage sollte das Fest dauern, beginnend mit der Heerschau, dann jeden zweiten Abend ein Ball, und an den anderen Abenden Aufführungen des Zirkus‘, und zuletzt das große Turnier. Die Zahl der Speisen und Getränke übertraf noch die Festlichkeiten zum Winter. Als es schließlich so weit war, da erstrahlte der Wald in allen Farben der Welt.
Elfen aus den kleineren Fürstentümern reisten mit ihren Armeen und Rittern an. Das Volk strömte herbei, von weit über die Grenzen des Waldes hinweg. Selbst Drachen und Hofleute der Königin des Sonnenlands erschienen.
Es wurden Spiele abgehalten und angesehen. Es wurde gezecht und gejubelt, doch einen Wehrmutstropfen gab es für den großen König. Denn viele der Fürsten wurden mit ihren Söhnen bei ihm vorstellig. Es war eindeutig, was sie beabsichtigten. Nicht viel länger als zwei Wochen war die junge Cary auf der Welt, und schon stritt sich der Adel um ihre Hand.
Missfällig betrachtete Vailandamir das Treiben. Am Abend nach dem Fest ging er zu seiner Gemahlin und setzte sich auf ihr Bett, als er eigentlich schon in seine Gemächer hätte gehen sollen.
»Was bedrückt dich?« Die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren ihr längst aufgefallen.
»Ich mag nicht, wie sie meine Tochter belauern«, gestand er ihr. »Diese Blicke, die sich auf sie und mein Reich richten.«
»Ich fühle genauso«, gab Amirana zu. »Sie ist doch noch ein Kind! Doch all diese jungen Männer hoffen natürlich auf den Reichtum unserer Heimat, auf den Aufstieg.«
»So wird sie niemals echte Freunde finden.« Der Herrscher der Elfen seufzte. »Wenn es einmal so weit ist, soll sie aus Liebe heiraten, so, wie wir. Aber jeder, der ihr begegnet, wird sie kennen. So werden wir nicht erfahren, wer ihr die Liebe vielleicht nur vorspielt.«
»Ihr Herz wird den richtigen erkennen«, sagte Amirana und legte ihm sanft eine Hand auf die Brust. »So ist es unter Elfen doch. Wir spüren es, wenn jemand für uns bestimmt ist.«
Vailandamir umfasste ihre Hand. »Selbst die wahre Liebe kann sich täuschen. Und selbst so müssen wir jeden ihrer Freunde scharf beobachten. Liebste … so kann ich nicht leben!«
Sie überlegten lange, doch ihnen beiden war klar, was sie tun mussten. In dieser Nacht nahm Vailandamir sein Kind auf den Arm und ging tief in den Wald, wo eine alte und mächtige Zauberin lebte.
»Gute Frau, ich bringe dir meine Tochter«, sprach er sie an.
»Ah, Lestes Dryas. Ich fragte mich bereits, wie lange es euch brauchen würde, sie zu mir zu bringen.« Die Magierin war eine hochgewachsene Elbe. Ihr Name war niemandem mehr bekannt, so alt war sie, und alle nannten sie nur noch die Herrin des Lichts. »Ihr kommt früher, als ich erwartete, mein König.«
»Ihr wusstet, dass ich komme, Herrin?«
»Ihr sorgt euch um euer geliebtes Kind«, sprach sie die Wahrheit aus. »Damit sie unbeschwert leben kann, darf sie keine Prinzessin sein. Nicht in ihren ersten Jahren jedenfalls.«
Vailandamir senkte den Kopf und nickte. Tränen schimmerten in seinen Augen.
»Ihr werdet sie nicht aufwachsen sehen«, sprach die Herrin des Lichts voller Mitgefühl.
»Und doch muss es sein. Dieses Opfer kann ich erbringen.«
Die Elbe nickte und nahm das Kind entgegen. »Ich werde sie aufziehen, wie Ihr es tätet, mein König. Sie darf sein, wer sie sein will, ihre tiefste Seele ausleben. Und wenn sie alt genug ist, bringe ich sie zurück zu Euch.«
Und so geschah es dann. Cary, die Libelle Lestes Dryas, wuchs bei der Herrin des Lichts auf. Es war ein unbeschwertes Leben. Sie spielte mit den Kindern des gewöhnlichen Volkes und fand manch guten Freund, doch sie lernte auch, die schlechten zu erkennen. Die Herrin bot ihr alle Möglichkeiten, zu toben und zu lernen, zu tanzen und zu singen, und sie lehrte sie Nähen und Sticken, denn dies interessierte Cary besonders, während sie dem wilden Toben der Jungen abgeneigt war.
So wuchs sie zu einem hübschen, jungen Mädchen heran. Als sie ein Alter erreichte, das bei einem Menschen dem achten Lebensjahr entsprochen hätte, da ließ sich nicht mehr leugnen, dass sie königliches Blut hatte. Es brach förmlich aus ihr hervor, offenbarte sich in ihren anmutigen Bewegungen und ihrer klaren Stimme, in ihrer Freundlichkeit, und ganz selten in ihrem Blick, wenn sie ihren Freunden im Spiel einen Befehl gab.
Da nahm die Herrin des Lichts sie beiseite und wies sie an, zu packen und sich zu verabschieden, denn sie werde nun in wenigen Tagen zu ihrer Familie zurückgebracht. Cary wusste bereits, dass die Herrin nicht ihre Mutter war und dass ihre Familie auf sie wartete, und nun erfuhr sie, wer sie wirklich war.
Mit einiger Trauer nahm sie Abschied von ihrer Heimat und ihren Freunden, doch war ihr das Herz nicht sonderlich schwer. Es stand ihr offen, ihre Freunde zu sich ins Schloss zu holen, als Diener und Mägde, wenn sie alt genug wären. Dann würden sie einander wiedersehen, und die Zeit dazwischen ist eine kurze für langlebige Elfen.
Erfüllt von Freude und auch etwas Angst zog sie schließlich los, ihr Bündel über dem Rücken, an der Seite der Herrin, um ihre Eltern zu treffen.