Es war einmal eine Elfe, die glücklicher nicht hätte sein können …
Cary und Adhair fieberten dem Tag entgegen, an dem sie heiraten würden, doch dieser lag noch in weiter Ferne. Ihre Eltern wollten abwarten, bis die Kinder ein Alter erreicht hätten, da bei Menschen dem 22. Lebensjahr entsprechen würde. Und bis dahin blieb ihnen noch viel Zeit.
Und diese Zeit verbrachten sie zusammen. Ob nun auf langen Spaziergängen oder Schauturnieren, beim Sticken oder Bogenschießen. Sie waren auf eine Art und Weise unzertrennlich, dass sie auch eine Person hätten sein können.
Doch ihr Glück sollte nicht ewig währen.
Es war ein strahlender Sommertag, an dem die Sonne warm und kräftig schien. Das Leben an diesem Tage war nicht nur gut, es war nahezu perfekt. Keine Wolke trübte den Himmel, als Caryellês Mutter zu einem Ausritt aufbrach.
Amirana Tirzeryna sollte nicht zurückkehren. Denn eine Gruppe Schattenländer war bis in die Elfenwälder vorgedrungen. Auf Drachenschwingen hatten sie sich im Schutze der Nacht genähert, um Amirana zu töten, die große Kriegerin, die einige der Ihren getötet hatte. Es war ein Racheakt für den Mut, den die Elfenkönigin einst bewiesen hatte – und ein Dolchstoß ins Herz der jungen Caryellê Assadar.
Mit dem Tod von Amirana endete ein langwährender Konflikt, der mit ihrer Entführung begonnen hatte, bevor sie ihren Entführer – einen Vampir – verletzte und mehrere seiner Wachen tötete und entkam. Dieser Vampir war nun nach langer Zeit dem Gift ihrer mit Weihwasser getränken Waffen erlegen. Der Sohn des ermordeten Vampirs hatte sie jagen lassen. Und sein Name, der in dieser Geschichte jedoch keine Rolle spielt, war Nepumuk.
Nach Amiranas Tod begann ein neues Kapitel der Rache. Das Sonnenland rüstete sich zum Gegenschlag und Adhairos schwor Caryellê, dass er ihre Mutter rächen würde.
»Du willst in den Krieg ziehen?«, fragte sie.
»Liebste Assadar«, sagte Adhairos – den mit diesem Namen sprach er sie an. »Liebste, ich will nicht nur, ich muss! Ich werde dir den Kopf des Mörders bringen.«
»Geh nicht«, bat Caryellê ihn dennoch.
Sie war von Trauer erfüllt nach dem Tod ihrer Mutter. Und sie fürchtete sich. Denn ihr Vater war nach dem Verlust seiner großen Liebe krank geworden. Er aß und trank kaum noch, nein, Vailandamir saß nur in einem hohen, kalten Turmzimmer, das von keinem Licht erfüllt war. Er sprach kein Wort und rührte sich auch nicht. Denn Vailandamir und Amirana waren ebenso verliebt gewesen wie Cary und Adhairos, ebenso unzertrennlich, ebenso eins. Ohne seine Gemahlin war es, als wäre auch Vailandamir nicht mehr. Sein Geist wanderte durch eine Dunkelheit, die der Welt des Todes glich, in die seine Amirana eingegangen war, und keinen Weg hinaus schien es zu geben.
Um ihn fürchtete Cary besonders. Sie wusste nicht, wie sie ihren Vater zurück ins Licht holen sollte, mit welcher Stimme ihn rufen oder mit welchem Licht ihm scheinen.
Adhairos wiederum wusste um Carys Furcht. Auch er sah, wie sein baldiger Stiefvater sich verwandelt hatte, aber angesichts dieses Schreckens offenbarten sich nun die Unterschiede zwischen ihnen beiden. Während Cary in Ynmerie bleiben und ihren Vater pflegen wollte, drängte es Adhairos zur Schlacht. Mit dem Kopf des Verräters, so glaubte er, könnte er den Schmerz des alten Elfenkönigs lindern und seine geliebte Cary dadurch ihrer Last befreien.
Je verzweifelter sie ihn also bat, zu bleiben, desto sicherer war er sich, dass er gehen müsste, um ihretwillen.
Aus diesem traurigen Zusammenspiel heraus kam es dann also auch, dass Adhairos sich den Soldaten anschlossen, die zur Fronst marschierten.
Caryellê stand auf dem Balkon zum höchsten Turmzimmer, den Raum mit ihrem Vater im Rücken, die Hände am kalten Geländer, und sah der Schlange aus Gerüsteten nach, die gen Norden kroch. Der Wind zerrte an ihrem blauen Kleid und an ihrem langen Haar. Ihr Vater hinter ihr schwieg, selbst kaum mehr als ein Toter, und sie weinte bittere Tränen voller Trauer und Zorn, weil Adhairos sie allein ließ.
Diese Tränen jedoch waren ihr Glück, denn ihr Vater Vailandamir hörte seine Tochter so bitterlich schluchzen, und da erwachte er aus seiner Starre, erhob sich, um sie zu trösten. Denn er erkannte, dass Cary ihn noch brauchte, und die Liebe zu ihr konnte die Leere nach dem Verlust seiner Frau überbrücken. Nicht füllen, nein, das konnte kein Gefühl mehr. Aber überbrücken.
Und so erhielt Cary ein wenig Trost in den folgenden Wochen, nachdem sie Adhairos mit tränennassen Wangen nachgesehen hatte, und in den Tagen, in denen sie sehnsüchtig auf eine Botschaft von ihm oder seine Rückkehr hoffte.
Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen würde. Denn alles, was aus dem Norden zurückkehrte, war die Nachricht von Adhairs Tod.