»Wir haben ein Problem«, zischte sie in den Spiegel, den sie in ihren Gemächern aufgestellt hatte.
»Wie hast du mich kontaktiert?«, fragte Nepumuk erstaunt.
Es war das erste Mal, dass Elysa ihn vom Schloss der Sonne aus sprach. Sie gestattete sich ein kurzes Lächeln. »Ich bin nicht nur wegen meines Verhandlungsgeschicks oberste Magierin. Oder wegen meiner Treue.«
»Wir wissen ja, wie es um die Treue steht«, entgegnete das Spiegelbild des Vampirs mit gekräuselten Lippen.
»Gerade darum geht es. Die Königin ist außer sich«, fuhr Elysa ernst und leise fort. »Nepumuk, sie will den Verantwortlichen für Amiranas Tod. Und sie verdächtigt dich, wegen deinem Vater.« Sie konnte ihre Angst nicht verbergen. »Wenn sie dich erwischt, dann … dann wird sie sich die schlimmstmögliche Strafe ausdenken.«
Der Vampir seufzte. »Und sie wird wissen, dass ich dahinterstecke.«
»Sie darf dich nicht kriegen«, flehte Elysa. »Aber sie wird nicht aufgeben, bis …«
»Bis sie einen Schuldigen hat.« Nepumuk klang grüblerisch. »Vielleicht kann man da etwas machen.«
Elysa horchte auf. Es gab einen Ausweg? Sie würde jede noch so kleine Chance ergreifen, die Nepumuk retten könnte.
Er schwieg lange, bis sie ungeduldig zappelte und begann, vor dem Spiegel auf und ab zu laufen.
»Ich denke, es könnte funktionieren«, sprach er dann langsam, aber mehr zu sich selbst. »Gestern kam ein Inkubus in mein Schloss. Einer meiner Soldaten. Er bat mich darum, ihn vom Kriegsdienst zu befreien, damit er zu seiner Frau zurückkehren kann. Offenbar hat er sich nach all den Jahren der Inkuberei verliebt und einen Sohn.« Er schnaubte verächtlich. »Vielleicht lässt er sich bereitschlagen, mir einen Gefallen zu tun.«
»Du willst ihn als Schuldigen opfern? Aber … wenn er unter Folter nachgibt, kann er dich verraten.«
»Nicht, wenn er es für die Wahrheit hält.« Nepumuk lächelte dünn. »Mein Magier wird einen Amnesietrank zusammenmischen. Dann kann ich den Nachtmahr ansprechen – du erinnerst dich, von der Geschichte mit den Zwillingen? Er kann auch falsche Erinnerungen einpflanzen.«
»Und das wird den Telepathen der Königin standhalten?«
»Es muss. Solange musst du die falschen Spuren legen. Wir werden auch die fünf Vampire ausliefern, die mich begleitet haben. Oder jedenfalls fünf Vampire. Ich werde die Verschwörer des Blauen Spießes dafür verwenden. Denn sie werden erkannt haben, dass mehrere Vampire an der Sache beteiligt waren. Ich brauche lediglich ein Motiv für den Inkubus, doch das ist leicht gefunden. Eine der Wachen, die Amirana damals getötet hatte, war sein Bruder.«
Elysa schwieg. Es hatte nicht den Anschein, als würde Nepumuk länger mit ihr sprechen. Er schien eher laut zu überlegen. Es war, als könnte sie seine Gedankengänge beobachten, und es war faszinierend. Nepumuk war ein kluger Kopf, und dem Klang nach erledigte er mehrere Gegner auf einen Schlag. Er speiste die Königin ab, entledigte sich einiger Verschwörer und sicherte damit ihrer beider Überleben.
Er war ein genialer Taktiker. Elysa empfand es als Ehre, ihn unterstützen zu können.
»Du musst die falschen Hinweise auf einen Inkubus streuen«, befahl er ihr. »Mach es deutlich, aber nicht zu offensichtlich. Und nutze den Spiegel nie wieder ohne Ankündigung.«
»Natürlich.« Sie neigte den Kopf. Nepumuks grober Tonfall verletzte sie zwar, doch sie verstand vollkommen, dass er unter Strom stand. Sein Leben war in großer Gefahr und es gab viel zu tun. Und sie beide waren ein gewaltiges Risiko eingegangen.
Sie hob die Hand, um den Zauber zu beenden, eine schlanke, weiße Hand, die sie sich zu gerne in Nepumuks vorstellte.
»Und eines noch«, sagte der Vampir.
Elysa erstarrte.
»Denk daran, dass du ebenfalls da drinhängst«, schärfte er ihr ein. »Wenn ich untergehe, dann du auch.«
Sie nickte. »Natürlich. Ich werde dich nie hintergehen, Nepumuk.«
Er akzeptierte mit einem knappen Nicken, und Elysa wischte durch die Luft. Das Bild im Spiegel verblasste.
Sie atmete tief durch und straffte sich. Zeit, jemandem einen Mord anzuhängen!
Der Inkubus sah biederer aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Ein recht normaler, braunhaariger Mann, der auf dem Boden des großen Thronsaals kniete und weinte. Er trug keine besonders offenherzige Kleidung, sondern eine hochgeschlossene Uniform, die jedoch die Spuren seiner Gefangennahme aufwies.
»Bitte, große Königin, zeigt Gnade!«, flehte er. »Ich habe diesem Leben abgeschworen. Ich habe eine Frau, zu der ich zurückkehren will, und einen Sohn, Najaxis. Bitte. Ich will ihn zu einem guten Mann erziehen.«
»Dein Verbrechen ist unverzeihlich«, widersprach die Königin des Tages mit kalter Stimme. »Dafür kann es keine Gnade geben. Wieso sollte dein Sohn glücklich aufwachsen, wenn eine junge Elfe es nicht durfte?«
Mit einem Seufzen senkte der Mann den Kopf. »Ich verstehe. Es war falsch von mir, sie zu töten. Könnte ich die Zeit zurückdrehen …« Seine Reue wirkte ernst. Er hielt sich wirklich für Amiranas Mörder. Dann schaute er auf. Seine Augen waren von einem ungewöhnlich hellen Blau. »Bitte gewährt mir nur eine Bitte, große Königin. Ich will, dass mein Sohn erfährt, dass ich ihn liebe. Seine Mutter soll wissen, dass ich zu ihr zurückkehren wollte. Ihr treu sein. Bitte, richtet es ihr aus. Ich liebe sie aus vollem Herzen.«
»Du hast die heilige Liebe der Elfen gebrochen, zwei Mal«, widersprach die Königin. »Amiranas Ehemann verlor seine Frau, und ihre Tochter kurz darauf ihren Verlobten. Alle Liebe, die du empfindest, kann nicht dafür aufkommen, dass du einen feigen Mord begingst. Wie ich bereits sagte: Dafür kann es keine Gnade geben.«
»Bitte!«, heulte der Inkubus auf, als die Magier um ihn herum zu wirken begannen. Er brannte mit einem Mal. Seine Schreie hallten durch die Halle und Elysas Herz verkrampfte sich, weil sie daran dachte, dass Nepumuk an seiner Stelle sein könnte, wäre es nur ein wenig anders gelaufen.