Ich starre ihn an.
Wie bitte?
Seine Augen erscheinen mir mit einem Male größer und dunkler, und ich meine eine Gier darin zu erkennen.
Wieviel Zeit vergeht, während mein Blick auf sein Gesicht gerichtet ist, kann ich nicht sagen. Sie scheint stillzustehen.
Der Graf erscheint mir jetzt unheimlich, wenn nicht gar gefährlich.
Natürlich glaube ich nicht an Vampire oder all den Unsinn. Diese Gestalten mögen ja sexy sein, aber ich kann durchaus Realität und Fantasie unterscheiden.
Allerdings spüre ich in Gregor etwas, was mir Angst macht, ohne das weiter definieren zu können. Es gibt ja Menschen, die an Vampire glauben oder einem solchen Fetisch nachgehen und andere Menschen beißen. Habe ich zumindest gehört.
Was ist, wenn dieser Mann auch dazu gehört?
Eigentlich möchte ich mit meinem Stuhl etwas nach hinten wegrücken, aber ich bleibe regungslos. Das klingt jetzt verrückt, aber ich fühle mich wie unter einem Bann. Fast wie das berühmte Kaninchen, das auf die Schlange starrt.
Plötzlich lacht er kurz auf und ich zucke zusammen.
„Verzeihen Sie bitte, Viktoria, ich wollte Sie nicht erschrecken“ meint er entschuldigend, als er meine Reaktion bemerkt.
Ich meine trotzdem, einen zufriedenen Unterton in seiner Stimme wahrzunehmen. Ich sehe seinen zerknirschten Gesichtsausdruck, welches ich ihm aber nicht ganz abnehme.
Vermutlich bilde ich mir das alles ein. Auf jeden Fall gelingt es mir mit einem Male, mich wieder zu bewegen. Ich drehe meinen Kopf und betrachte scheinbar interessiert das Glas. Gieriger Blick, Bann und Vampire, was für ein Blödsinn. Vielleicht findet er mich attraktiv, daher die intensive Musterung. Aber meine Fantasie scheint gerade mit mir durchzugehen. Dieser Adlige gibt sich aber auch mysteriös und altmodisch, daher werden diese falschen Sinneseindrücke kommen.
Um die für mich peinliche Situation zu überspielen, greife ich nach der Wasserkaraffe und schenke mir nach. Tatsächlich nippe ich aber anschließend von dem Wein und lasse das gerade gefüllte Glas unberührt.
Toll, Viktoria.
Peinlicher geht es nicht.
Jetzt ist ganz offensichtlich, wie mich dieser Mann durcheinanderbringt. Dabei bin ich doch Reporterin, Verdammt.
„Dracula Syndrom“ höre ich ihn ruhig sagen.
Wie bitte? Was meint er?
„Dracula Syndrom?“ wiederhole ich einfallslos.
„Ja. Klingt doch besser als Porphyrie, oder?“
Por... was? Ratlos schaue ich ihn an.
„Eine seltene Stoffwechselerkrankung“ erklärt er mir mit leicht trauriger Stimme. „Sie bedingt unter anderem Lichtempfindlichkeit und andere Symptome, aus denen sich vermutlich der Mythos der Vampire entwickelt hat. Deshalb Dracula Syndrom. Leider wird die Anlage dazu vererbt“.
Ich schüttle verwirrt den Kopf, unfähig eine passende Antwort zu geben. Dann ist Gregor krank?
„Ich habe es glücklicherweise nicht so ausgeprägt, und durch neuartige Medikamente und eine angepasste Lebensweise geht es mir ganz gut“ fährt er fort. „Man lernt damit zu leben. Aber das ist natürlich jetzt nichts für die Öffentlichkeit“ ergänzt er noch.
„Natürlich nicht!“ beeile ich mich zu sagen. Ich bin ja keine Klatschreporterin und hätte so etwas nur auf seine ausdrückliche Bitte in meinen Artikel aufgenommen. Das ist dann doch zu persönlich. „Nur weshalb haben Sie es mir dann erzählt?“
„Damit Sie nicht auf falsche Gedanken kommen“ erwidert er sanft.
Wie macht er das mit seiner Stimme? Gerade klang sie noch traurig und nun ist es mir, als umhülle sie mich vollständig, um mich zu beruhigen und mich in Sicherheit zu wiegen. Mir kommt gerade das Bild einer Spinne in den Sinn, die genüsslich betrachtet, wie sich ihr Opfer langsam immer tiefer im Netz verfängt.
„Und um Ihnen das Wappen zu erklären“ höre ich Gregor sagen.
Das Wappen?
Das seltsame Empfinden lässt langsam nach.
Vermutlich fehlt mir einfach Schlaf oder ich bin von der langen Fahrt im warmen Auto erschöpft.
„Erzählen Sie“ bitte ich und greife nach dem Wasserglas. Meine Stimme hört sich seltsam heiser an. Vielleicht hilft das Trinken ja.
„Das ist nicht sonderlich kompliziert. Aufgrund dieser Krankheit, die sich leider oft vererbt, hatten die Leute Angst. Meine Familie wurde immer wieder Opfer von Anfeindungen und schlimmeres. Aberglaube ist eine üble Sache. Einer meiner Vorfahren machte dann aus der Not eine Tugend. Wenn wir schon als Vampire bezeichnet wurden, dann sollte auch ein entsprechendes Wappen her“.
„Das ist aber eine seltsame Reaktion. Damit fördert man doch solche Gerüchte noch“ wundere ich mich. Mein Hals ist immer noch recht trocken.
„Da haben Sie vermutlich recht“. Gregor nimmt nun seinerseits einen Schluck. „Keine Ahnung, was meinen Vorfahren geritten hat. Vielleicht dachte er, es würde die Menschen einschüchtern und unsere Familie somit in Ruhe lassen“.
Ich betrachte unschlüssig den Einband. Trotz seiner Erklärungen ist mir dieses Zeichen immer noch nicht ganz geheuer.
„Haben Sie sich inzwischen für ein Büchlein entschieden? Und vergessen Sie den Kugelschreiber nicht“
Ach natürlich, die hatte ich vorhin gar nicht beachtet. Der Butler hat die kleine Box vermutlich mit den Büchern gebracht, aber ich hatte sie gar nicht bemerkt. Diverse edle aussehende Kugelschreiber sehe ich, ebenfalls mit dem Wappen bedruckt oder eingraviert. Zögerlich greife ich nach einem der Stifte mit matter Edelstahloptik. Er ist ungewöhnlich schwer, liegt aber sehr angenehm in der Hand. Zögerlich drücke ich auf die Abschlusskappe und eine Mine durchschnittlicher Größe kommt zum Vorschein.
„Da Sie sich offenbar nicht entscheiden können, nehmen Sie doch einfach beide“. Der Graf schiebt mir das rote und das schwarze Buch zu. „Schließlich ist es für eine Reporterin existenziell, alle erlaubten Informationen festzuhalten, oder irre ich mich?“