„Gregor, ich…“. Ich ziere mich. Mir ist das unangenehm. Nun möchte er mir beide schenken, nur weil ich mich nicht entscheiden kann. Ich verhalte mich leider heute ziemlich unprofessionell.
„Das ist kein Problem“ lächelt er. „Schwarz und Rot, das sind auch meine Lieblingsfarben. Daher verstehe ich Ihre Unschlüssigkeit durchaus“.
Ich habe den Eindruck, die Erwähnung dieser Farben erinnert ihn an etwas, denn kurz umspielt ein Lächeln seine Lippen und sein Blick wird seltsam abwesend. Dies alles dauert jedoch nur einen kurzen Moment und er wendet sich mit seiner Konzentration wieder mir zu. „Bitte, keine weiteren Einwände mehr. Erzählen Sie mir lieber ein wenig von sich, Viktoria. Wo wohnen Sie eigentlich in Deutschland? Der Verlag hat ja seinen Sitz in Stuttgart, wohnen Sie auch dort?“
Hmm – wer interviewt hier eigentlich wen? Der Graf möchte scheinbar den Spieß umdrehen. Aber ich will es mir mit ihm nicht verderben, und vielleicht erzählt er mir auch bereitwillig etwas von sich, wenn ich ihm entgegenkomme. Und so geheim ist diese Auskunft schließlich auch nicht. Daher antworte ich bereitwillig: „Ich wohne in Fellbach. Das gehört zu Stuttgart. Und Sie, Gregor, wo sind Sie aufgewachsen?“
„Geboren bin ich in der Nähe von Hamburg. Aber meine Jahre habe ich in verschiedenen Orten Deutschland und Europas verbracht, bevorzugt Rumänien und auch im damaligen Jugoslawien. Meine Eltern haben aber auch oft Urlaub in der Toskana oder in der Bretagne gemacht. Schon bald entdeckte ich die Liebe zu Italien und deshalb lebe ich jetzt hier, unter Zypressen und zwischen Olivenhainen, wenn Sie so wollen“.
Ich notiere mir seine Angaben in Stichworten. Ungewöhnlich, handschriftlich so viel niederzuschreiben, ich bin das gar nicht mehr gewöhnt. Ja, es hat fast etwas Sinnliches, wie ich mit dem teuren Kugelschreiber über das edle Papier fahre.
Ein wenig komisch ist es auch, das Wort „Rumänien“ niederzuschreiben, nachdem wir ja schon das Thema „Vampire“ hatten. Und war das nicht gefährlich gewesen, sich dauerhaft in Rumänien oder Jugoslawien aufzuhalten? Und ging das überhaupt so einfach? Aber mein Unbehagen verliert sich rasch wieder und mein Gedanke fällt wieder auf das vorherige Thema zurück.
„Gibt es etwas, was Sie hier vermissen, wenn Sie an Deutschland denken?“ möchte ich daher von ihm wissen.
„Nun ja“ – seine Augen blitzen seltsam, „die … medizinische… Versorgung ist hier manchmal etwas schwieriger und man muss sich frühzeitig darum kümmern, damit es zu keinen Engpässen kommt. Die Organisation in Deutschland ist da wesentlich besser und effektiver“.
Ich möchte mir weitere Notizen machen, er greift jedoch nach meinem Arm und hindert mich daran. „Victoria, bitte keine Angaben zu meiner Krankheit. Erwähnen Sie meinetwegen, dass ich Probleme mit der Sonne habe, aber bitte keine weiteren Details“.
„Ist in Ordnung“ nicke ich. Ich meine mich zu erinnern, dass er vorher schon so etwas erwähnt hatte. „Darf ich das Wort ‚Sonnenallergie‘ nennen?“
„Sagen Sie einfach, ich bin empfindlich gegenüber der Sonne“ schlägt er vor.
„Gut“ bestätige ich und werfe ihm einen mitleidigen Blick zu. Ich finde es traurig, dass der gute Mann so leiden muss.
„Halb so schlimm, meine Liebe“ höre ich ihn sagen. Entweder er hat meine Gedanken erraten, oder meine Anteilnahme war jetzt zu offensichtlich. Naja, da ich ihn ja wohl entsprechend angeschaut habe, war das ja auch nicht besonders schwer, meine Überlegungen zu erraten.
Er lacht kurz auf, scheinbar amüsiert, ehe er wieder ernster fortfährt: „Glauben Sie mir, ich wäre nicht hier im sonnigen Italien, wenn es nicht Mittel und Wege gäbe, dies abzumildern. Aber wir kommen zu sehr vom Thema ab. Schreiben Sie, dass ich es manchmal vermisse, mich mit anderen auf Deutsch zu unterhalten. Ich habe hier nur meine Bediensteten, Markus und Maria. Ich kann mit ihnen leider nicht die Gespräche führen, die ich gerne halten würde, obwohl sie mir beide treu ergeben sind“.
Ich nicke, denn ich verstehe, was er meint. Der Butler ist viel zu steif in seiner Art und Maria scheint ein wenig in den Grafen verliebt zu sein. Oder, anders ausgedrückt, der eine wird kaum mehr reden als notwendig und Maria wird in ihrem leicht gebrochenen Deutsch vermutlich plappern wie ein Wasserfall. Also beides vermutlich nicht das, was Gregor vorschwebt.
Ich schreibe also die Stichworte
- Empfindlich gegenüber der Sonne (NICHT Sonnenallergie erwähnen)
- Vermisst die Landessprache (Gespräche)
in mein kleines Büchlein.
„Wie ist das mit Ihnen?“ möchte er nun wissen. Er hat wohl noch nicht aufgegeben, mich seinerseits auszufragen.
„Was meinen Sie, Gregor?“ antworte ich vorsichtig.
„Was mögen Sie an Deutschland, oder auch nicht? Und welche Sprachen sprechen Sie derzeit?“
Derzeit, der Typ ist lustig.
Ich werde bestimmt keinen Volkshochschulkurs oder so etwas besuchen, um eine NEUE Sprache zu lernen. Dafür fühle ich mich nun wirklich zu alt.
Wahrheitsgemäß antworte ich: „Also was ich nicht mag, ist das deutsche Wetter. Oft zu viel Regen und oft einfach kalt. Was ich mag ist meine Arbeit und den Kontakt mit Menschen. Ich spreche noch Englisch und ein paar Brocken Französisch“.
„Kein Interesse an neuen Sprachen?“. Weshalb fängt er nun wieder damit an. „Spanisch, Rumänisch, oder Ihr Französisch zu perfektionieren?“
Perfektionieren? Gregor hat gut reden. Kann er denn überhaupt Französisch? Vermutlich nicht, denn dann würde er wissen, dass dort die Grammatik furchtbar kompliziert ist und nicht gerade logisch. Naja, zumindest für mich.
„Wer weiß, vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja eines Tages“ fährt er geheimnisvoll fort. „Sie müssen wissen, eigentlich ist es ganz einfach, wenn man nur richtig zuhört“.
Natürlich.
Ich muss nur einfach eine oder zwei Wochen im Ausland sein, und schon spreche ich dann Ägyptisch, Chinesisch oder Russisch. Manchmal kommt mir der Graf nun doch etwas weltfremd vor.
Oder einfach ein Sprachgenie. Ich fürchte letzteres, und wenn ich Pech habe, spricht er mehrere Fremdsprachen fließend.
„Wie gefällt Ihnen eigentlich die Umgebung hier, die Toskana?“ wechselt er abrupt das Thema. Offensichtlich hat er meinen Unwillen bemerkt.
Und er hat recht, darüber rede ich doch bedeutend lieber.
„Sehr gut. Mir gefällt diese hügelige Landschaft, die Zypressen, der Stil der Gebäude. Ich muss allerdings zugeben, dass ich heute nicht so viel davon genießen konnte“ verrate ich wahrheitsgemäß.
„Ja, Sie haben einen langen Anfahrtsweg hinter sich. Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen heute Abend gerne etwas zeigen. Ich hoffe, Sie sind nicht zu müde von der Reise“.
Natürlich bin ich etwas erschöpft, andererseits bin ich Profi genug, um etwas Müdigkeit wegzustecken, wenn es etwas Interessantes zu entdecken gibt.
„Ah, ich sehe schon, sie werden mich nicht enttäuschen“ höre ich ihn zufrieden sagen. „Das wäre nämlich zu schade, schließlich habe ich eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet“.