Ich höre mit geschlossenen Augen die Stimme des Grafen, die unermüdlich weitererzählt:
„Tatsache ist, er war weder der einzige noch der erste meiner Art. Leider war damals keiner von uns in der Nähe, so dass es eine Weile ging, bis wir von seinen Gräueltaten erfuhren und dem Treiben ein Ende setzen konnten. Helsing versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen und vernichtete ihn schließlich, als das nicht gelang. Es fiel ihm unheimlich schwer, Dracula war ja ein Vampir. Aber es war leider notwendig, um unsere Existenz zu schützen. Leider stellte sich Helsing nicht gerade besonders geschickt an und so kam es zu mündlichen Überlieferungen und einigen Einträgen in der Ortschronik, aus denen schließlich der Roman entstand, der mit der Wahrheit jedoch wenig gemein hatte…“
Irgendwie habe ich dazwischen wohl einiges verpasst, wie es sich anhört. Und auch nun lässt meine Konzentration immer mehr nach. In werde in diesen Strudel, oder was immer es auch ist, langsam hinein- und nach unten gezogen.
Die Stimme des Adligen wird leiser und bald kann ich ihn nicht mehr hören.
Stattdessen verschwindet die Dunkelheit hinter meinen geschlossenen Augenlidern langsam. Wie ein Vorhang verschwindet sie und ich sitze mit einem Male mit meinem Stuhl neben dem des Grafen.
Er grinst mich an und irgendwie verwundert es mich nicht, wieder seine Fangzähne in seinem Mund zu entdecken.
Ansonsten trägt er nach wie vor seine Verkleidung.
Verkleidung? Da bin ich mir nicht mehr so sicher.
„Du kannst dich wohl nicht mehr auf meinen Text konzentrieren?“, vermutet er und legt das Papier auf die Seite. „Nun ja, es war auch ein anstrengender Tag für dich. Ich hole dich nun schon das dritte Mal zu mir, das überfordert den menschlichen Organismus etwas. Dazu kommt noch die lange Anreise aus Deutschland.“
Ich bin erstaunlich ruhig angesichts der bizarren Situation, da habe ich vorhin ganz anders reagiert, als er kostümiert zurückgekehrt ist. Aber das war ja auch Realität, das hier ist meine durchgeknallte Fantasie oder einfach ein Traum.
Hoffe ich zumindest.
Ich habe aber auch den Verdacht, dass Gregor da seine Finger im Spiel hat, dass ich so ruhig bin.
„Was hast du vor?“, frage ich relativ nüchtern und direkt.
„Dich ein wenig vorbereiten“, erklärt er. „Eigentlich war dazu mein Text gedacht, aber ich habe mich dann doch anders entschieden. So ist es auch irgendwie einfacher.“
„Einfacher?“, antworte ich irritiert.
„Ja. Vor allem für dich. Du wirst mich noch eine ganze Weile spüren. Gefühle machen es für euch Menschen immer einfacher.“
Auch wenn ich keine Angst habe, muss ich nun doch schlucken. „Du willst mich beißen!“
„Aber nicht doch“, widerspricht er entrüstet, als habe ich etwas völlig Lächerliches gesagt, „ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nicht einfach so schnell mal zwischen Tür und Angel nehme.“
Ich schüttle zweifelnd den Kopf.
„Nun schön, ich schwöre dir, dass ich dich jetzt nicht beißen werde. Zufrieden?“ Er legt seinen Kopf schief und mustert mich nachdenklich.
„Aber deine Zähne.“
„Was ist damit?“ Sein Grinsen zeigt genau, dass er sehr wohl weiß, was ich meine.
„Du hast sie… draußen. Warum, wenn du nicht an meinen Hals möchtest?“ Oh Mann. Leider höre ich mich viel mutiger an, als ich es tatsächlich bin.
Gregor reagiert erstaunlich gelassen. Ich habe den Eindruck, dass er mir im Augenblick seine dunkle Seite nicht zeigen möchte.
Oder er ist sich einfach sehr sicher, dass er das bekommen wird, was er will.
Scheiß Visionen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sie aufhören, jetzt, da mir der Graf vorhin alles erklärt hat.
Oder hat er gelogen?
Was ist Wirklichkeit, was ist Fiktion? Ich blicke einfach nicht mehr durch.
Ich scheine langsam verrückt zu werden.
„Mach dir nicht so viele schwere Gedanken, bitte, mein Liebes“, sagt er leise. „Alles wird gut. Du brauchst dir um deinen Verstand keine Sorgen zu machen.“
Ich seufze laut auf. „Was soll das hier jetzt werden? Was willst du, wenn nicht mein Blut?“, bohre ich weiter und ignoriere seine Worte.
„Nichts Besonderes. Du stehst einfach auf und setzt dich auf meinen Schoß. Mehr nicht.“