„Ich fürchte, ich kann im Augenblick nichts essen“, erklärt er mit einem seltsamen Unterton. Dabei fixiert er mich einem eigenartigen Glanz in seinen Augen.
„Ich verstehe nicht?“ Ich kann seinem Blick nicht ausweichen. Eine seltsame Stimmung liegt in der Luft.
„Ich habe mir wohl den Magen verdorben.“ Er zuckt etwas ratlos mit den Schultern und ergreift ein Glas – davon stehen, im Gegensatz zu dem Gedeck, mehrere auf dem Tisch.
Die eigentümliche Spannung verflüchtigt sich, während er zum Krug greift und sich einschenkt. „Stilles Wasser ist das einzige, was ich im Moment zu mir nehmen kann, fürchte ich.“
„Aber ich kann doch nicht schlemmen, während Sie hier nur sitzen und gar nichts essen“, widerspreche ich.
Weshalb hat er dann dieses Dinner nicht abgesagt?
„Keine Sorge. Ich bin ein ausgezeichneter Gastgeber, Sie werden sehen. Ich versichere Ihnen, es wird für uns beide ein schöner Abend werden und Sie nicht weiter stören, wenn ich heute faste.“
Ich bin davon nicht überzeugt, reagiere aber nicht darauf, da in diesem Moment eine der Frauen mit einem kleinen Suppenteller erscheint.
Der erste von sieben Gängen, wie ich bald darauf feststelle.
Im Laufe des Abends muss ich zugeben, dass der Autor tatsächlich recht hat. Er ist in der Tat ein talentierter Gesprächspartner. Das Essen zieht sich hin, auch da die einzelnen Speisen nicht sofort, sondern nach einer angemessenen Pause serviert werden. Trotzdem wird mir die Zeit nicht lange.
Gregor ist erstaunlich gut informiert, was die aktuelle politische Lage in Deutschland angeht. Er mag zurückgezogen leben, aber er weiß, was in der Welt geschieht. Und seine Überlegungen, Einfälle und Schlussfolgerungen zeugen von einem wachen und intelligenten Geist mit viel Lebenserfahrung.
Unsere Unterhaltung ist eine andere wie die während unseres Interviews. Auch wenn der Schriftsteller nach wie vor keine neuen Details aus seinem Leben von sich preis gibt, so erfahre ich durch unser Gespräch doch ein wenig über ihm. Er teilt mir seine Meinung über gewisse gesellschaftliche Entwicklungen offen mit und ich kann einen klugen Mann erkennen, der sich viele Gedanken macht und nicht immer dem Mainstream folgt.
Und das erfreuliche dabei ist, dass wir beide dabei oft ganz ähnlich denken.
Mehr als einmal streift seine Hand oder der Arm mich wie zufällig und ich muss mich sehr stark zusammennehmen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das berührt.
Bei einem anderen hätte ich gesagt, dass dies aus Absicht geschieht und Interesse an mir zeigen soll – da er jedoch sonst keine Anstalten macht mir in irgendeiner Weise näher zu kommen und auch keine entsprechende Körpersignale aussendet, geschieht das alles vermutlich tatsächlich unbeabsichtigt. Verrückterweise bringt mich diese Vorgehensweise fast noch mehr durcheinander – dieser Gegensatz von gelegentlicher körperlicher Berührung und sachlich freundlicher Konversation.
Mittlerweile wurde das Dessert serviert. Nach all den italienischen Köstlichkeiten bin ich eigentlich mehr als satt, aber wer kann einem selbstgemachten Tiramisu nebst Zimteis mit Schokoladenüberzug schon widerstehen?
Ich bedanke mich bei der kleinen Italienerin, die mir den Teller gebracht hat und greife zur Gabel. Sie macht einen kleinen Knicks – das sieht irgendwie süß aus – und verschwindet wieder Richtung Küche.
„Ich hoffe, das Essen war nach ihrem Geschmack?“, erkundigt sich der Graf nun.
„Ja, es war alles wunderbar. Ich habe selten so gute Sachen gegessen.“
„Wenn Sie noch etwas möchten, sollten Sie es mir jetzt sagen. Sonst würde ich Manuel und seine Frauen nach Hause schicken wollen. Die sind alle schon lange auf den Beinen und haben sich ihren Feierabend redlich verdient.“
„Ich möchte keine Umstände mehr machen. Das war alles sehr, sehr lecker und da möchte ich nicht…“, beginne ich zögerlich, beende aber meinen Satz nicht.
„Unsinn. Was fehlt Ihnen noch, meine Liebe?“, möchte er im bestimmten Tim wissen.
„Einen Kaffee? Nach dem Nachtisch“, erwidere ich zögerlich. Hat er das tatsächlich gesagt und mich mit ‚meine Liebe‘ angesprochen?
Zu meiner Überraschung lacht Gregor fröhlich auf. „Das ist nun wirklich das kleinste Problem. In der Küche befindet sich eine Kaffeemaschine und auch Tee können wir aufbrühen, wenn Sie möchten.“
„Das ist ja praktisch.“, erkläre ich. Der Mann hat wirklich an alles gedacht. „Aber mehr brauche ich nicht.“
„Fein, das freut mich. Essen Sie bitte in Ruhe zu Ende. Wenn Sie also weiter keine Wünsche haben, schicke ich die vier also in den Feierabend. Die Küche aufräumen können sie dann morgen machen.“ Sein Gesicht hat mit einem Mal etwas Lauerndes an sich. „Zeit für meine kleine Überraschung, wenn wir gleich alleine sind.“