Am nächsten Samstag fuhr ich gegen Mittag zu Lance. Er hatte diesmal das ganze Wochenende Zeit und das wollten wir nutzen. Mit meiner Gitarre bewaffnet stand ich vor seiner Tür.
»Ah, Isaac, schön dich mal wieder zu sehen.« Mit einem ehrlichen Lächeln öffnete mir seine Mutter. »Lance hat schon angedroht, dass es das Wochenende etwas lauter wird.«
»Hallo, Mrs. Payne. Danke, dass wir hier proben dürfen.« Immer wieder hatten mir Lance’ Eltern angeboten, sie beim Vornamen zu nennen, aber ich konnte es mir einfach nicht angewöhnen.
»Ist doch nicht der Rede wert. Die Nachbarn sind es ja gewohnt und ob jetzt Lance, Emery und ich jeden Tag üben oder ob du auch noch dabei bist, ist doch kein Unterschied.« Immer noch lächelnd machte sie mir Platz. »Wie geht es deinem Vater, seiner Frau und deinem Halbbruder?«
»Wie immer, soweit gut.« Sie hatte sich angewöhnt, der Höflichkeit halber, nach ihnen zu fragen, aber ich glaubte nicht, dass es sie wirklich interessierte. Oder Dad und Rose je auf die Idee gekommen wären, nach den Paynes zu fragen.
Ich trat in den Flur und machte mich erstmal auf den Weg zu Lance’ Zimmer, um die Gitarre und meine Wechselsachen abzustellen.
Mr. Payne fing mich ab und zog mich in eine Umarmung. »Da ist ja mein Adoptivsohn! Schön, dass du hier bist.«
Ich verstand, warum Lance meinte, sein Vater könnte mich als Sohn haben wollen, er scherzte häufiger, dass sie mich adoptiert hätten, da ich so häufig dort war. Ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn sie es wirklich getan hätten.
»Lance ist grad noch was fürs Abendessen besorgen.«
»Könnten Sie mir dann vielleicht behilflich sein?« Nachdem er mich losgelassen hatte, stellte ich meine Sachen im Zimmer ab. »Ich brauche noch ein klassisches Stück für die Aufnahmeprüfung am College und Notenbeispiele zum Üben vom Blatt zu singen, aber ich kann die Noten von Mum nicht finden.«
»Du willst es wirklich versuchen? Du weißt aber, dass die Konkurrenz vermutlich von klein auf Gesangsunterricht hatte und deutlich mehr Auftrittserfahrung hat als du, oder? Und von denen werden viele nicht genommen. Ich will dich nicht entmutigen, Isaac, ich möchte nur nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Ich habe schon viele junge, talentierte Menschen am Auswahlverfahren scheitern sehen, weil sie zu nervös waren oder die Konkurrenz in dem Jahr einfach besser.« Er sah mir ernst ins Gesicht und legte mir seine Hand auf die Schulter. »Aber wenn es dir ernst ist, helfe ich dir, wo ich kann. Ich denke, du hast wirklich Talent und kannst es dennoch schaffen, aber es wird hart werden. Hast du mal deinen Vater nach den Notenheften gefragt?«
»Er würde sie mir nicht geben. Er weiß nicht, dass ich Musik studieren will, und würde es mir verbieten. Er hält es für Zeitverschwendung.« Mir war es peinlich, das zuzugeben. Lance’ Eltern wussten nicht, dass ich zu Hause nicht üben konnte. Sie hatten auch keine Ahnung, dass ich meine Gitarre an der Metrostation lagerte.
Mr. Payne seufzte. »Ja, das klingt ganz nach deinem Vater. Er hat Lillians Leidenschaft nie verstanden. Lass uns mal schauen, was wir finden. Ich hätte da schon ein paar Ideen. Weißt du, was dein zweites Lied wird?«
Kurz überlegte ich, zu lügen. Mir war meine Wahl etwas peinlich. Aber Mr. Payne wollte mir helfen und da wäre es eher schädlich, nicht die Wahrheit zu sagen. »Eigentlich wollte ich I remember you singen. Lance meinte aber, dass es vielleicht keine gute Idee ist. Ich bin noch unsicher.« Gut, es war fast die Wahrheit.
»Warum sollte es eine schlechte Idee sein? Ich find sie sehr gut.«
Ich sah ihn mit großen Augen an. War das wirklich sein ernst oder wollte er mich einfach nur nicht verunsichern. »Lance meinte, mich könnte das Lied zu sehr ablenken. Ich schweife manchmal mit den Gedanken ab.«
»Isaac, ich habe dich das Lied so häufig singen gehört, dass es für mich richtiger klingt als das Original. Dir sollte nur bewusst sein, dass man dich fragen wird, warum du dir ein so altes Lied ausgesucht hast. Bist du bereit, die Frage zu beantworten? Dann ist es auch kein Problem. Dann sollten wir als klassisches Stück einen guten Kontrast finden. Je mehr Varianz du zeigen kannst, umso besser. Hast du schon eine Idee welche Stilrichtung?« Mr. Payne holte einige Notenbücher aus dem alten Schrank im Wohnzimmer. Solange ich mich erinnern konnte, hatten sie immer dieselbe Wohnzimmereinrichtung gehabt. Mittlerweile sah man es ihr das Alter schon sehr an.
Wobei einige Bücher untertrieben war. Es war sicher ein gutes Dutzend. Aber was erwartete ich auch von einem Opernsänger, der nebenbei Gesangsunterricht gab? »Nein, ich hab leider nicht so viel Ahnung davon.«
»Gut, dann wird das ein wenig dauern. Ist es in Ordnung, wenn ich dir erstmal ein paar Vorschläge aus verschiedenen Richtungen mache?« Ich nickte und Mr. Payne sortierte einige Bücher aus. Scheinbar wusste er genau, wonach er suchte.
Hatte Lance recht? Hatte sich sein Vater wirklich schon vorher Gedanken darüber gemacht, was ich singen könnte?
Ich hörte, dass die Haustür aufgeschlossen wurde, dann Lance’ Stimme: »Kann mir bitte jemand helfen?«
Schnell sprang ich auf und lief zur Tür. Lance stand mit fünf vollen Tüten davor. Wie hatte er die vom Supermarkt hierher bekommen? Seine Eltern besaßen kein Auto. Ich schnappte mir zwei und stellte sie in der Küche ab, Lance folgte mit den anderen drei.
»Danke. Mum hätte ruhig sagen können, dass sie ein paar mehr Sachen vorbestellt hat, dann wäre ich gleich mit Isaac gegangen.« Er sah seinen Vater vorwurfsvoll an.
»Ich wusste doch auch nicht, dass sie scheinbar ein Festmahl geplant hat.« Auch Mr. Payne war in die Küche gekommen und staunte nicht schlecht über die Menge der Einkäufe.
Nun kam auch Mrs. Payne dazu. »Hast du alles bekommen, Schatz?«
»Mum, wir sind nur zu viert! Oder hast du noch ’ne Footballmannschaft eingeladen? Wer soll das alles essen?«
»Ihr Jungs schafft das schon. Außerdem muss Isaac doch noch wachsen, sonst ist es zu spät.« Sie lächelte mich an.
Es war nicht ernst gemeint, dennoch war ich nicht sonderlich erfreut, dass sie sich über meine Größe lustig machte. Ich war nun mal nicht der Größte und mochte es nicht, deswegen aufgezogen zu werden. Zumal Lance auch nicht so viel größer war. Gemessen an so Riesen wie Toby und Roger, die beide sicher locker an die zwei Meter maßen, waren wir sowieso alle Zwerge!
»Und jetzt raus aus meiner Küche!«, scheuchte uns Mrs. Payne aus der Küche.
Schnell leisteten dem folge. Wir alle wussten, dass es keine gute Idee war, dortzubleiben, wenn sie in ihrer Küche hantierte.
Stattdessen schnappten wir uns die Notenbücher und verzogen uns in Lance’ Zimmer, wo das alte Piano stand. Mein Vater hatte es entsorgen wollen, doch ich hatte so lange gebettelt, bis er die Paynes gefragt hatte, ob sie es nehmen wollten, damit Lance darauf spielen konnte. Natürlich hatten sie es genommen und sogar darauf bestanden, wenigstens ein paar Dollar dafür zu zahlen. Es war auch nicht ganz uneigennützig gewesen, immerhin konnte ich so auch ab und zu daran spielen und in Erinnerungen schwelgen. Nun diente es, vollkommen gegen Dads Willen, meiner Collegevorbereitung. Manchmal ging das Schicksal merkwürdige Wege.
Nachdem wir die Stimmen aufgewärmt hatten, erhielt Lance die Notenblätter von seinem Vater. Dieser stellte sich hinter seinen Sohn, sodass beide sie sehen konnten. Mr. Payne sang ein paar Lieder verschiedener klassischer Richtungen vor, bei denen er der Meinung war, sie könnten gut passen.
Ich entschied mich letztendlich für Fear no more the heat o’ the sun von Gerald Finzi.
Bis zum Abendbrot probten wir am Stück. Da wir es gleichzeitig als Übung zum Singen vom Blatt nutzten – Mr. Payne war der Meinung, man sollte es direkt lernen, zumindest wenn man Noten lesen konnte – und es auch für Lance ein unbekanntes Stück war, kamen wir nur langsam voran. Aber zumindest ein kurzes Stück hatte ich damit schon gesehen und es klang für mich gut. Es passte zu meiner Stimmlage und ich konnte mir vorstellen, es bis November lernen zu können. Aber das bedeutete auch, dass ich würde zu Hause üben müssen. Ich hoffte, dass ich das irgendwie hinbekam, ohne das Dad es bemerkte.
Mrs. Payne zauberte in der Zeit tatsächlich ein halbes Festmahl. Als wir zum Essen kamen, stand Truthahnbrust mit verschiedenen Pürees und Soßen auf dem Tisch. Zum Nachtisch gab es verschiedene Sorten Pudding. Wie immer, wenn sie kochte, schmeckte es fantastisch.
Danach verzogen Lance und ich uns wieder in sein Zimmer. Wir übten noch eine Stunde, danach ließ meine Stimme langsam nach. Da sowohl Lance als auch ich ein Exemplar des Songs brauchten, schrieb ich ihn auf Notenpapier ab. Er erledigte in der Zeit ein paar Aufgaben fürs College.
Als wir endlich die wichtigen Sachen erledigt hatten, kamen wir zum spaßigen Teil des Wochenendes. Wir hatten schon lange nichts anderes als Proben gemeinsam unternommen und so diskutierten wir, wie wir den Abend verbringen wollten. Zur Auswahl standen Kino oder der Versuch, mich auf eine Party zu schmuggeln. Wir entschieden uns für die Party. Wenn es nicht klappte, konnten wir immer noch ins Kino.
Wir sagten seinen Eltern Bescheid und fuhren dann nach Downtown.
Dort angekommen schauten wir uns ein paar Clubs an, doch bei keinem sahen wir eine Chance. Die Türsteher waren an diesem Abend zu aufmerksam. Dann musste es wohl doch das Kino werden.
Wir waren gerade auf dem Weg dorthin, als ich jemanden meinen Namen rufen hörte. Ich konnte die Stimme nicht sofort zuordnen, sie kam mir aber bekannt vor. Überrascht sah ich mich um. Einige Meter weiter standen zwei große Männer, der eine mit dunkelblonden, der andere mit braunen Haaren, die in unsere Richtung winkten. Waren das nicht Toby und Roger? Nachdem ich mich nochmal versichert hatte, winkte ich zurück.
Toby bedeutete uns, näher zu kommen. Da Lance mich zwar kurz fragend ansah, dann aber sofort loslief, folgte ich.
»Hi! Schön dich doch noch zu sehen.« Toby lächelte mich kurz offen an und legte seine Hand auf meinen Oberarm, bedachte dann aber lieber Lance mit einem abschätzenden Blick.
»Hi.« Verdammt, ich hatte nicht damit gerechnet, auf ihn zu treffen. Er hatte sich am Donnerstag zwar nochmal gemeldet, jedoch um mir zu sagen, dass er diese Woche keine Zeit mehr hatte. Wie sollte ich ihm jetzt begegnen? Ihn umarmen? Oder eher wie einem flüchtigen Bekannten? Ich war unsicher. Also tat ich das, von dem ich sicher war, dass es eine gute Idee war: »Lance, das sind Toby und Roger. Toby, Roger, das ist mein bester Freund Lance.« Warum betonte ich jetzt, dass Lance mein bester Freund war? Wäre doch gar nicht nötig.
Es lag wohl an Tobys abschätzendem Blick, der sich jetzt in einen freundlichen, offenen verwandelte. Sowohl Toby als auch Roger streckten Lance ihre Rechte entgegen, der sie nacheinander ergriff.
»Habt ihr schon was vor? Wir wollten gerade reingehen. Kommt ihr mit? Ich lad euch auf ein Bier ein.« Roger war wie schon am Sonntag total offen. War er immer so?
Lance warf mir einem skeptischen Blick zu. Ich wusste genau, was seine Sorge war: Er wollte den beiden nicht verraten, dass ich minderjährig war. Leider wurde es dadurch schwierig, in den Club zu kommen.
»Wir waren gerade auf dem Weg ins Kino. Wir wollten erst weggehen, aber dann haben wir blöderweise unsere Führerscheine vergessen. Keine Ahnung, wie man so blöd sein kann. Es war auch eher eine spontane Idee. Wohl zu spontan.« Ich wollte nicht unhöflich sein und direkt ablehnen, aber es ging eben nicht. Ich hoffte nur, dass sie es uns abkauften.
Kurz musterten sie uns prüfend. Dann lachte Roger. »Und wie wolltet ihr ohne ID um diese Zeit ins Kino kommen?«
Lance und ich sahen uns gleichzeitig bedröppelt an. Daran hatte ich bei der Lüge gar nicht gedacht. Beziehungsweise hatten wir da auch in unserer Planung nicht dran gedacht, dass es schwierig würde, mich um die Zeit in ein Kino zu bekommen.
»Na, lasst das mal unsere Sorge sein.« Toby lächelte uns aufmunternd zu. Ich hätte schwören können, dass sein Blick bei mir einen Moment länger haften blieb.
Ich schaute fragend zu Lance. Es schien wohl unsere einzige Möglichkeit, wenn wir nicht wieder nach Hause fahren wollten.
Er schien das genauso zu sehen, denn er nickte mir zu und übernahm das Antworten: »Wenn wir euch nicht stören.«
»Quatsch, je mehr, desto lustiger. Wartet kurz.« Diese Offenheit schien wirklich Rogers Art zu sein. Er ging zum Türsteher und unterhielt sich kurz mit ihm. Ab und zu warfen beide einen Blick zu uns, bis der Türsteher mit den Schultern zuckte und Roger uns ranwinkte. »Sorry, ein Bändchen kann er euch nicht geben, aber ihr könnt mit rein. Darf ich euch auch Cola ausgeben?«
»Klar.« Lance grinste Roger freudig an. Nicht, weil er eine Cola umsonst bekam, sondern weil Roger es geschafft hatte, dass ich in den Club durfte.
Ich brachte nur ein freudiges »Danke« hervor.
Wir zahlten unseren Eintritt. Roger und Toby erhielten je ein Bändchen, auch ohne ihre Ausweise vorzuzeigen. Man schien sie hier zu kennen, sonst hätte es Roger wohl auch kaum geschafft, den Türsteher zu überzeugen.
Sowohl Lance als auch ich stockten einen Moment, als wir zur Tür hereinkamen. Wir hatten von außen nicht darauf geachtet, um was für einen Club es sich handelte. Jetzt wurde es uns regelrecht ins Gesicht geschlagen. Um in den eigentlichen Club zu kommen, musste man eine Treppe nach unten. Der gesamte Aufgang war mit bunten Girlanden und Regenbogenflaggen geschmückt.
Als wir beide stockten und stehenblieben, lachten Roger und Toby auf. Toby legte uns aufmunternd je eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, ihr seid sicher nicht die einzigen Heteros hier. Es bringt immer mal jemand Freunde mit. Wenn euch jemand anmacht, lehnt einfach höflich ab. Unten ist es auch nicht mehr so aufdringlich bunt, es soll wohl nur ungebetene Gäste abschrecken.«
Hatte Toby gerade behauptet, dass ich hetero wäre? Hatte er Angst, mich vor meinem besten Freund zu outen? Irgendwie ja süß.
»Geht ihr schonmal einen Platz suchen. Wir holen die Getränke«, bot Roger an.
Der Club war schon ziemlich gefüllt, wir fanden aber sehr schnell noch einen freien Tisch. Ich traute mich gar nicht, mich richtig umzusehen, zu eingeschüchtert war ich von dem Wissen, dass fast jeder hier auf Kerle stand. Aber sie hatten recht gehabt, soweit ich es sehen konnte, sah es hier unten wie ein normaler Club aus.
Kaum hatten wir uns gesetzt, grinste Lance mich breit an.
»Was grinst du so blöd?«
»Na ja, scheinbar hatte ich mit Siegfried und Roy doch gar nicht so unrecht. Und du kannst auch mal richtig mit ’nem Kerl flirten. Hier wird sich ja wohl schon einer finden, der dein Interesse weckt.«
»Ja, der Kerl, der mein Interesse weckt, setzt sich gerade neben mich auf die Bank und reicht mir eine Cola«, dachte ich und schaffte es, das nicht auszusprechen. Stattdessen lächelte ich Toby nur schüchtern an. »Danke.«
»Junge, hör auf, dich ständig zu bedanken! Irgendwann zahlst du das schon zurück.« Roger zwinkerte mir zweideutig zu. Augenblick wurde ich rot. »Und du bist Isaacs bester Freund? Wie lange kennt ihr euch denn schon?«
»Eigentlich solange ich denken kann. Isaacs und meine Eltern sind befreundet und wir sind zusammen aufgewachsen.«
»War er schon immer so einfach zum Erröten zu bringen?« Roger nahm wirklich kein Blatt vor den Mund.
»Eigentlich hab ich ihn nur selten verlegen gesehen.« Ja, Lance sagte da leider die Wahrheit. Eigentlich errötete ich nicht so schnell. Es lag irgendwie an Toby, dass ich es in der letzten Zeit häufiger tat.
So unterhielten wir uns eine ganze Weile über dies und jenes. Ich erfuhr, dass Roger als Zahnarzthelfer und Toby als Fitnesstrainer arbeiteten, im Gegenzug erfuhren sie, dass Lance und ich Musik studierten – na ja, zumindest hoffte ich ja, das bald zu tun. Ich mochte es nicht, sie anzulügen, aber es wäre keine gute Idee gewesen, ihnen gerade jetzt zu sagen, dass ich noch in die High School ging.
»Wenn du noch wen aufreißen willst, dann solltest du es bald tun. Sonst wird das heut nichts mehr«, bemerkte Lance irgendwann grinsend, als das Gespräch ins Stocken geriet.
Toby sah etwas geschockt zu Lance, Roger schien sich über die Aussage eher zu amüsieren und ich ... Ich zog vor Scham den Kopf ein.
»Soso, du willst also Kerle aufreißen?« Verschmitzt grinste Roger mich an.
»Sorry, Isaac. Ich dachte, sie wüssten es ... Ich wollte dich jetzt nicht outen ...« Lance war ziemlich kleinlaut geworden.
»Ich ... Nein, eigentlich nicht. Lance meinte vorhin nur, dass es ’ne gute Gelegenheit wäre, mal richtig mit ’nem Kerl zu flirten, wenn wir schon mal hier sind. Bisher hab ich mich einfach nicht in solche Clubs getraut«, erklärte ich an Roger und Toby gewandt. Dann ergänzte ich Lance’ Richtung: »Keine Sorge, sie wussten es schon.«
»Hmm, klingt doch eigentlich nach keiner schlechten Idee. Hier wird sich sicher jemand finden, der sich darüber freuen würde.« Sagte mir gerade wirklich der Kerl, mit dem ich vor ziemlich genau einer Woche im Bett gelandet war, ich sollte mit anderen Männern flirten? Hatte er mir vielleicht doch nur aus Nettigkeit geschrieben?
Ich sah zu Toby auf – verdammt, selbst im Sitzen war er größer als ich! Ich versuchte, zu erkennen, ob er seine Aussage ernst meinte. Zumindest deutete nichts auf das Gegenteil hin.
»Was ist? Traust du dich nicht?« Ich konnte Rogers Blick, den er mir zuwarf, nicht deuten.
»Ich hab noch nie einen Mann angesprochen, den ich nicht kannte.« Es war die Wahrheit. Keine Ahnung wie ich einen Kerl anquatschen sollte. Ja, vermutlich wie eine Frau auch, aber das sagte sich so einfach. Auch die Frauen hatte ich bisher immer wenigstens flüchtig gekannt und daher etwas gehabt, worauf ich sie ansprechen konnte.
Roger schüttelte den Kopf und seufzte: »Okay, fangen wir einfach an. Lass dich ansprechen. Beweg deinen Knackarsch auf die Tanzfläche und beweg dich ein bisschen. Bei deinem Aussehen und mit der engen Hose wird sicher einer anbeißen.«
Zumindest versuchen konnte ich es ja mal, da hatten sie schon recht. Ich ließ meinen Mantel auf dem Platz liegen und ging hinüber zur Tanzfläche. Die Musik sagte mir nicht zu. Das hätte ich mir ja auch früher überlegen können! Wenn ich jetzt wieder zurückging, sah das aber scheiße aus. Gut, dann ein Lied und wieder zurück. Wie tanzte man auf dieses Diskozeugs?
Ich orientierte mich an den wenigen anderen Solotänzern. Die meisten tanzten mindestens zu zweit und das so anzüglich, dass ich mich kaum traute hinzusehen. Wobei es auch wieder spannend war.
Das Lied war noch nicht zu Ende, da packte mich schon jemand von hinten an der Hüfte, strich mit einer Hand meine Haare von der Schulter, um seinen Kopf darauf abzulegen, und bewegte sein Becken gegen meines. Leise flüsterte er mir ins Ohr: »Hallo, schöner Mann. So alleine am Tanzen? Darf ich mich dazugesellen?«