»Hast du noch immer nicht genug?«, neckte Peter mich, als wir endlich unter der Dusche standen. Vorsichtig strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Ich schüttelte den Kopf und biss ihm leicht in die Halsbeuge. Mit den Daumen strich ich über seine Beckenknochen. Natürlich war ich genauso fertig wie er, aber ich wollte ihn berühren. Zumal mir eigentlich etwas ganz anderes im Kopf herumging. »Ich mag deinen Körper.«
»Ich deinen auch.« Er zog mich an sich und streichelte meine Flanken.
Ich legte den Kopf auf seine Schulter und umfasste ihn, legte meine Hände auf seinen Rücken. Jetzt oder nie, oder? »Was ist jetzt eigentlich wegen ...«, begann ich und brach den Satz dann doch wieder ab. Sollte ich das wirklich jetzt ansprechen?
Eine Weile wartete er, ob ich noch etwas sagte, dann fragte er: »Hmm? Was meinst du?«
»Na ja, wir wollten doch heute ... Du weißt schon.« Gerade war vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, um den Mut zu verlieren, dennoch tat ich es. Und trotzdem musste ich das klären. Immerhin wusste ich sonst auch nicht, wann wir wieder dazu kamen, miteinander zu sprechen.
Er drückte mich an den Schultern etwas von sich, damit er mir ins Gesicht sehen konnte. »Was möchtest du?«
»Wegen der Sache ...« Ich sah zu Boden. Verdammt, warum war das nur so schwer? Er hatte doch gesagt, dass wir darüber reden würden. Also konnte es doch nicht so schwer sein, das anzusprechen!
»Isaac, so können wir kein Gespräch führen, wenn du mir nicht mal sagen kannst, was du willst. Entweder du sagst mir jetzt, was du möchtest, oder das Gespräch ist beendet«, meckerte er. Dabei klang er deutlich gereizt.
»Du weißt doch genau, was ich wissen will!«, fauchte ich wütend. Was sollte das denn jetzt? Wollte er mich verarschen? Er konnte mir nicht erzählen, dass er nicht ganz genau wusste, worauf ich hinauswollte.
»Nein, weiß ich nicht, darum bitte ich dich ja, es mir zu sagen.«
Wütend sah ich ihn an. Doch er warf nur einen bösen Blick zurück. Motzend verließ ich die Dusche. Das musste ich mir nicht geben!
Er ließ es geschehen, ohne mich zurückzuhalten, machte sich selbst in aller Ruhe fertig.
Nachdem ich mich schweigend abgetrocknet hatte, verließ ich das Bad und zog mich im Schlafzimmer an. Er wusste genau, worüber wir uns unterhalten wollten! Warum tat er jetzt so, als hätte er keine Ahnung?
Während ich mir etwas zu Essen machte, kam Peter nach unten und ging direkt zur Tür. Von dort rief er mir eisig zu: »Ich bin unten aufräumen. Wenn du mit deinem kindischen Getue fertig bist, kannst du mir ja helfen kommen.«
Zum Glück sah er nicht, dass ich ihm den Mittelfinger zeigte. Ganz sicher würde ich ihm nicht helfen! Schon allein deshalb nicht, weil er mich kindisch nannte.
Stattdessen setzte ich mich vor den Fernseher und sah mir irgendwelchen Schrott an. Sollte er doch sehen, was er davon hatte, mich auflaufen zu lassen. Und mich dann auch noch kindisch zu nennen, nur weil ich wütend war! Das machte es ganz sicher nicht besser!
Irgendwann kam Peter wieder nach oben. Er ging direkt in die Küche und holte sich etwas zu trinken. Von dort aus fragte er: »Hast du dir jetzt überlegt, was du willst?«
Statt zu antworten, sah ich ihn nur wütend an.
Einen Moment erwiderte er meinen Blick, dann schüttelte er resignierend den Kopf. Er ging in Richtung Flur, blieb dann aber noch einmal stehen und drehte sich zu mir um. »Ich sag dir jetzt mal, was ich will: Ich will, dass du Ende des Monats diesen scheiß Test machst! Ich will dir zeigen, worauf du mit dieser bescheuerten Idee verzichtest. Und ich will verdammt nochmal wissen, warum dir dieser Mist so wichtig ist!« Während des Redens hatte er wie wild gestikuliert, doch jetzt stand er völlig erstarrt da und durchbohrte mich mit seinem Blick, schien darauf zu warten, dass er eine Antwort bekam.
Doch ich saß nur wie versteinert da. So wütend hatte ich ihn noch nie gesehen. Und gleichzeitig machte mich seine Aussage noch wütender. Er hatte also doch gewusst, worauf ich hinaus wollte! Verbittert biss ich die Zähne zusammen. Wenn ich ihm jetzt wahllos etwas an den Kopf warf, würde das gehörig schiefgehen.
Diesmal wandte er sich endgültig ab und einen Moment später fiel die Tür des Arbeitszimmers laut ins Schloss.
Einen Moment blieb ich noch sitzen, dann schaltete ich fluchend den Fernseher aus und holte meine Sporttasche. Bevor ich das Haus verließ, schrieb ich Peter noch einen Zettel, dass ich beim Training war. Eigentlich war dienstags nicht mein Trainingstag, aber gerade musste ich mich abreagieren. Und da die Band die nächsten zwei Wochen frei hatte, damit wir uns vor der Tour ausruhen konnten, hatte ich Zeit.
Ich wünschte June ein frohes Neues und verschwand dann direkt in der Umkleide.
Kurze Zeit später war ich schon vollauf mit meinem Training beschäftigt und verwandelte die Wut in die dafür nötige Energie, als ich eine amüsierte Stimme vernahm: »Hey, das Ding kann doch nichts dafür!«
Ich wandte mich in die Richtung, aus der sie kam, und sah einen grinsenden Roger am Nachbargerät. Der war gerade definitiv noch nicht dort gewesen!
Wenig motiviert grüßte ich: »Hi. Frohes Neues.«
»Wünsche ich dir auch. Na, fertig mit der Arbeit? Hat dich das nicht genug geschlaucht, dass du noch so viel Energie hast?« Er nahm ebenfalls sein Training auf, sah aber immer wieder zu mir.
»Ja. Wir sind seit Sonntag fertig. Nein. Ich ... ach, schon gut. Ich hab einfach schlechte Laune.«
»Hm. Das klingt aber nicht nach etwas, das sich mit der Maschine lösen lässt.«
Genervt stöhnte ich, als ich seinen besorgten Blick sah. Natürlich fragte er nach, was hatte ich denn auch erwartet.
»Also magst du reden?«
Na gut, ich kam ja eh nicht drumherum. Und etwas Zeit zum Nachdenken hatte ich mittlerweile auch gehabt. »Da gibt es nicht viel. Ich hab mich mit meinem Freund gestritten, das ist alles. Ich hab mich daneben benommen und war dann wütend auf ihn, weil er es mir vorgehalten hat.«
»Was hast du angestellt?« Schön, dass sich Roger darüber amüsieren konnte.
Ich umklammerte das Gerät stärker und biss mir auf die Unterlippe. Ach, verdammt, was sollte es. Dann erzählte ich es ihm halt. »Ich wollte mit ihm reden, wie es weitergehen soll. Ich weiß nicht, was Toby dir erzählt hat. Wir wollten jetzt im neuen Jahr mal darüber reden, ob wir die Beziehung öffnen. Ich wusste nicht, wie ich das anfangen soll. Er hat dann behauptet, er wüsste nicht, was ich von ihm wollte. Er meinte, wenn ich nicht einmal sagen könnte, was ich wollte, hätte das auch keinen Sinn.«
»Hm. Du weißt, dass er nicht ganz unrecht hat, oder?« Roger sah mich forschend an.
Gedehnt stöhnte ich. »Ja, danke. Das ist keine Hilfe.«
Aufmunternd lächelte er mich an. »Wenn ihr eine offene Beziehung führen wollt, dann müsst ihr auch offen miteinander red...«
»Ich weiß!«, fuhr ich ihm an, obwohl er nichts dafür konnte. Ich atmete kurz durch, dann fuhr ich ruhiger fort: »Keine Ahnung, was los war. Ich wusste einfach nicht, wie ich das Thema ansprechen soll und ob es ein guter Zeitpunkt ist. Aber mich hat es dann einfach wütend gemacht, dass er so getan hat, als wüsste er nicht, worüber ich mit ihm reden will. Dabei weiß er das ganz genau! Wenn er gerade nicht reden wollte, hätte er das doch sagen können. Stattdessen meinte er, wenn ich nicht sage, was ich von ihm möchte, dann ist für ihn das Gespräch beendet.«
»Mal ganz ehrlich: Kann es sein, dass er das nicht möchte? Wenn er dem Gespräch so aus dem Weg geht?«, mutmaßte Roger vorsichtig. »Zumindest scheint mir die Reaktion schon recht extrem, wenn er es denn auch wollen würde.«
Ich strich mir durch die Haare, bevor ich weiter trainierte. Kurz dachte ich nach. »Ich weiß es nicht. Er hat zu Anfang gesagt, dass es für ihn okay wäre, solange wir erstmal eine Weile warten. Und dann die Sache mit dem Dreier. Das ist doch auch von ihm gekommen. Aber dann heute meinte er auf einmal, dass er mir zeigen wollte, was mir wegen dieser ›blöden Idee‹ entgeht. Woher soll ich da wissen, was er will, wenn er sich ständig umentscheidet?«
»Was meinst du mit ›entgehen‹?« Mit der für ihn so typischen Neugier sah er mich an.
»Er will ... Na ja, er hat mich gebeten ...« Innerlich gab ich mir selbst eine Ohrfeige. Was sollte denn dieses Gestammel schon wieder? Wenn ich mit jemandem offen darüber reden konnte, dann doch wohl mit Roger. Dennoch unterbrach ich das Training und lehnte mich zu ihm herüber. Etwas leiser fragte ich: »Hat Toby dir erzählt, dass er nicht so ganz begeistert von Kondomen ist?«
»Ich hoffe doch, dass er mir das gesagt hätte.« Roger lachte laut. Verwirrt sah ich ihn an. Er brauchte einen Moment, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Mittlerweile sahen einige andere Leute zu uns herüber. »Tut mir leid, deine Aussage konnte man jetzt falsch verstehen. Ja, Toby hat erzählt, dass es bei dir und deinem Freund Differenzen gab deshalb. Setzt er dich damit unter Druck?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber er würde gerne, dass ich Ende des Monats einen Test machen lasse. Wegen Krankheiten und so. Damit er mir zeigen kann, wie toll es angeblich ohne ist.«
Verstehend nickte mein Gegenüber. »Wenn er sich auch testen lässt, warum nicht? Oder spricht etwas dagegen, es zumindest mal auszuprobieren?«
»Ich weiß nicht, ob ich das will. Er hat versprochen, dass wir jetzt nochmal drüber reden, unsere Beziehung zu öffnen, und nun soll ich noch einen Monat warten? Ich hab das Gefühl, er will mich hinhalten. Und ich weiß nicht, ob es sich dafür wirklich lohnt.«
Milde lächelte er mich an. »Das kannst nur du entscheiden, ob es sich für dich lohnt. Es gibt ja genug, die da wirklich drauf stehen. Dein Freund wohl scheinbar auch. Rausfinden, ob es auch etwas für dich ist, kannst du es nur durch Ausprobieren. Ist doch immerhin nicht mal mehr ein Monat.«
Ich nickte nachdenklich. »Hast du es schon mal versucht?«
»Ja.« Als Roger kurz zu mir herübersah und meinem fragenden Blick begegnete, lachte er auf. »Du kleiner, neugieriger Lümmel! Toby war damals so lieb und hat mit mir zusammen gewartet, bis die Piercings abgeheilt waren. Wir haben danach zusammen einen Test machen lassen und dann ein wenig rumprobiert. Wir fanden es beide nicht so unglaublich toll. Zumindest nicht toll genug. Aber du könntest hier jeden Kerl fragen und würdest vermutlich von jedem etwas anderes hören.«
Ich sah mich kurz im Raum um. Nein, danach stand mir wirklich nicht der Sinn, andere Männer zu fragen, was sie von Sex mit und ohne Kondom hielten. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es bei vielen falsche Signale gesendet hätte. Es brachte ja nichts, bevor ich nicht mit Peter geredet hatte. Auch wenn mir das Flirten wirklich fehlte.
»Was ist? Schon fertig mit dem Training?« Erst jetzt merkte ich, dass ich noch immer Pause machte, und nahm das Training wieder auf. »Wirst du eigentlich zu Hause erwartet, oder magst du gleich noch mit uns etwas Essen gehen?«
Was war das für eine Frage? Natürlich ging ich lieber mit ihm und Toby noch etwas Essen, statt nach Hause zu meinem wütenden Freund. Gut, er konnte ja nicht wissen, dass ich mit Peter zusammen wohnte. »Gern. Ich muss dann nur kurz Bescheid sagen, dass ich etwas später komme und schon gegessen hab.«
»Schön. Dann hab ich einen Grund, nicht zu kochen. Und kann trotzdem was anderes als Salat essen.« Verschwörerisch zwinkerte er mir zu.
Lachend trainierten wir weiter. Als Toby bei uns vorbeikam, unterrichteten wir ihn von unserem Plan. Auch er freute sich darauf.
Etwa eine halbe Stunde später standen Roger und ich nebeneinander unter der Dusche. Ohne es zu merken, wanderte mein Blick zu seinen Piercings. Nein, sie fühlten sich zwar wirklich interessant an, aber ich konnte es mir nicht vorstellen selbst ...
Mich traf ein Schwall Wasser ins Gesicht und ich prustete.
Roger lachte. »Du solltest aufpassen, wo du hinschaust.«
»Als würde dich das stören!« Auch ich musste lachen. »Außerdem hab ich nur den Schmuck bewundert.«
»Ja klar. Gute Ausrede. Oder überlegst du, selbst eins machen zu lassen?«
Heftig schüttelte ich den Kopf. Nein, daran hatte sich nichts geändert. Ich hatte viel zu viel Angst vor den Schmerzen.
»Hätte ich dir auch von abgeraten. Ich würde es nicht nochmal machen. Und ja, es ist mir tatsächlich etwas unangenehm.«
Verwundert sah ich ihn an. »Sorry, ich wusste nicht ... Warum hast du nie etwas gesagt?«
Roger stellte die Dusche aus, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und wuschelte mir dann lächelnd durch die Haare. »Weil es mich früher nicht gestört hat? Es ist nur merkwürdig, so von einem Minderjährigen angeschaut zu werden.«
Unweigerlich musste ich lachen, während ich mir ebenfalls ein Handtuch umwickelte und dann mit ihm die Dusche verließ. »Vorher war ich aber auch nicht älter.«
»Ich weiß. Aber das wusste ich ja nicht. Es mag komisch klingen, aber es macht mir ein schlechtes Gewissen. Ich frage mich dann einfach, ob es wirklich in Ordnung war, was wir getan haben. Oder ob wir nicht etwas hätten merken müssen. Zum Beispiel bei deiner Anmeldung hier. Toby hätte nur mal einen genaueren Blick darauf werfen müssen.«
Wir trockneten uns ab und zogen dann uns an.
»Habt ihr aber nicht. Und ich bin froh drum.« Ich hielt kurz inne und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Tut mir leid, wenn ihr deswegen ein schlechtes Gewissen habt. Ist wirklich nicht nötig.«
Roger wirkte etwas verdutzt, bevor er sich wieder fing. Dann lächelte er. »Ich seh schon. An Selbstbewusstsein mangelt es dir zumindest nicht mehr.«
»Zumindest nicht in der Hinsicht, nein. Das ist vielleicht das Einzige, weswegen ihr ein schlechtes Gewissen haben solltet. Wollen wir dann los?« Ich packte meine letzten Sachen in die Tasche und setzte meine Mütze auf.
»Na toll, ich wusste doch, dass wir dich versaut haben. Ja, ich hab alles.« Auch er schulterte seine Tasche.
»Nein, versaut war ich schon vorher. Ihr habt mir nur gezeigt, dass es völlig in Ordnung ist.«
Gemeinsam verließen wir die Umkleide. Toby wartete bereits am Eingang auf uns.