Ich hatte Lance noch am selben Abend gefragt, ob er mit ins Exile kam. Natürlich hatte er direkt zugesagt. So standen wir Freitagabend vor dem Club in der Schlange. Wirklich lang war sie nicht, aber wir hatten durchaus ein paar Leute vor uns.
Als wir endlich vor dem Tisch standen, der vor dem Eingang aufgebaut war, schaute uns die Türsteherkante dahinter auffordernd an. »Jungs, eure Ausweise bitte.«
»Äh, ich ...« Ich hätte mich selbst schlagen können, dass ich mal wieder kein Wort rausbekam. Dennoch versuchte ich mich an einem Lächeln. »Ich wollte Pe... äh, Maniac etwas zurückbringen.« Ich hob den Helm in meiner Hand so hoch, dass der Kerl ihn sehen konnte.
Er musterte erst den Helm, dann mich. Skeptisch hob er die Augenbrauen. Dann deutete er neben den Tisch. »Wartet eben.«
Wir stellten uns neben den Tisch, während er die nächsten Gäste mit Namen grüßte und ihnen ohne weitere Kontrolle ein Bändchen verpasste. »Könnt ihr Maniac suchen und ihm sagen, dass hier ein Jüngchen steht und behauptet, ihm etwas zurückgeben zu wollen? Er soll mal in einer freien Minute rauskommen.«
Sie bejahten und machten sich dann auf den Weg nach drinnen.
Wir standen eine ganze Weile neben der Kante und ich fragte mich langsam, ob die Leute Peter überhaupt Bescheid gesagt hatten oder ob sie es witzig fanden, uns rumstehen zu lassen. Die Menschen in der Schlange schauten immer wieder zu uns rüber, als wären wir irgendwelche Verbrecher und würden auf unsere Strafe warten.
Ich warf einen Blick zu Lance und seine Miene verriet, dass er dasselbe dachte. Mit einem Kopfnicken in Richtung der Straße und einem Schulterzucken machte ich ihm klar, dass wir einfach gehen sollten.
»Hey, Jungs. Sorry, ich kam nicht so schnell von der Bar weg, ist schon viel los.« Wir hatten uns gerade zum Gehen abgewandt, da hörte ich Peter hinter uns. Ich drehte mich zu ihm um und er kam uns mit seinem umwerfenden Lächeln entgegen.
»Gerade noch rechtzeitig, ich wollte gerade wieder gehen.« Ich lächelte zurück und blieb stehen.
»Tse, mit den Star-Allüren solltest du noch wenig warten.« Er nahm mich in eine kurze Umarmung, dann fiel sein Blick auf Lance. »Ich hab schon fast damit gerechnet, dass du auch mitkommst. Hi.« Peter und Lance schüttelten sich die Hände.
Ich fragte mich, warum Lance so erstaunt wirkte und Peter mit großen Augen anstarrte.
Dann wandte sich Peter an den Türsteher. »Gib den beiden einen Stempel und merk dir sein Gesicht. Der Kleine ist unser Ersatz für Phantom.«
Ich senkte leicht verlegen den Kopf, während mich der Muskelprotz nochmal eingehend musterte. Verlegen murmelte ich: »Wir werden sehen.«
Ohne zu zahlen, erhielten wir Stempel auf die Handgelenke und liefen hinter Peter durch die erste Metalltür. Die Zweite war geöffnet und gab den Blick in einen Clubraum frei, der schon gut gefüllt war.
Peter kletterte mit dem Helm über die Absperrung an der Treppe, ging nach oben und kam einen Moment später ohne wieder. »Geht ruhig rein. Ich muss euch auch direkt allein lassen. Die Arbeit ruft. Wenn ich nachher Pause hab, komm ich mal nach euch sehen. Wenn ihr was braucht: Ich bin an der Bar.« Im Club deutete er nach links auf die andere Seite des Raumes. Dorthin verschwand er auch sofort, nachdem wir genickt hatten.
Lance und ich traten ebenfalls nach links, wo einige Stehtische standen, die allerdings alle belegt waren. Also lehnten wir uns gegen eine Wand.
Ich sah mich um. Obwohl das Licht recht diffus war, konnte man doch den ganzen Clubs sehen, aber er bestand auch nur aus einem großen Raum. Scheinbar war das mal eine Wohnung gewesen, bei der man die inneren Wände entfernt und die Fenster zugemauert hatte.
Direkt rechts neben der Tür an der Wand gab es ein kleines Podest, auf dem ein DJ-Pult aufgebaut war, hinter dem sich gerade zwei Herren mit der Musik beschäftigten. Schon draußen hatte man gehört, dass hier scheinbar eher elektronische Musik wie Industrial oder EBM gespielt wurde. Links neben der Tür, war etwa ein Viertel des Raums mit Stehtischen zugestellt. Dahinter gab es zwei Türen, die offensichtlich zu den Klos führten, zumindest implizierten das die Männchen auf den Türen. Das andere linke Viertel war mit einer Wand vom Tischbereich abgetrennt. Da Peter dorthin gezeigt hatte, musste sich dort wohl die Bar befinden. Der Rest des Raums stellte die Tanzfläche dar und wurde auch großzügig so genutzt.
»Das war der Typ, der dich wegen seiner Band angesprochen hat?«, schrie mir Lance gegen die Musik ins Ohr und unterbrach damit meine Gedanken. Um nicht unnötig schreien zu müssen nickte ich. Er riss die Augen auf und starrte mich an.
Verwirrt zog ich eine Augenbraue nach oben. Wo war das Problem?
Dann brach er in Gelächter aus und schlug mir hart gegen die Schulter, stützte sich darauf, während er lachte.
Noch immer hatte ich keinen Plan, wo das Problem lag, und sah ihn daher drängender an.
»Mensch, Isaac, du bist so naiv. Du hast keine Ahnung, wer das ist, oder?«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste, dass er Peter hieß, die anderen ihn Maniac nannten und er mich gefragt hatte, ob ich in der Band singen wollte, in der er Gitarrist war. Und dass die Band halbwegs bekannt sein musste. »Keine Ahnung. Ein Gitarrist in ’ner Goth Rock-Band.«
Nun fiel Lance das Lachen aus dem Gesicht und er sah mich noch entgeisterter an. »Du meinst, du sollst für die Band singen und nicht für ein kleines Nebenprojekt von ihm? Das ist nicht dein Ernst!«
Was hatte er nur? Ich legte den Kopf schief. Wie wäre es, wenn er mich endlich mal aufklärte?
Er schien zu verstehen, was ich wollte. »Du hast doch gesagt, du hast gestern mit ihnen geprobt. Ist dir da nichts aufgefallen?« Ich schüttelte den Kopf. Er schüttelte seinen ebenfalls, jedoch ungläubig. »Du willst mir ernsthaft sagen, dass dir deren Songs nicht bekannt vorkamen? Ich hätte nicht gedacht, dass du mittlerweile so hinter dem Mond lebst. Du solltest wirklich häufiger vorbeikommen, dass wir zusammen ein wenig Musik hören können, das geht ja mal gar nicht!«
»Ich hab die Lieder mal gehört, konnte sie aber nicht zuordnen.«
»Das ist der Gitarrist der Death Demons!«
Nun war es an mir, Lance anzustarren. Er hatte recht! Jetzt wo er den Namen aussprach, konnte ich die Lieder von der Probe auch der Band zuordnen. Wie hatte ich das nicht mitbekommen können? Sie waren immerhin mehr als nur ein wenig bekannt. Eigentlich waren sie die bekannteste Bostoner Band in diesem Genre. Sie waren sogar in ganz Amerika bekannt und wenn man den Kritikern glauben konnte, würde es auch nicht mehr lange dauern, bis sie auch in Europa bekannt würden. Sie hatten schon vier Platten rausgebracht, die alle recht erfolgreich waren. Und wenn ich mich richtig an die Berichte erinnerte, sollte noch in diesem Jahr eine Tour durch Amerika starten.
Ich schlug mir die Hand kraftvoll gegen die Stirn und ließ den Kopf sinken.
»Scheiße, Isaac, du willst mich verarschen!« Lance schien es immer noch genauso wenig glauben zu können wie ich.
Langsam schüttelte ich den Kopf. Nein, ich wollte ihn nicht verarschen. Peter wollte mich scheinbar wirklich als Sänger der Death Demons! Während diese Erkenntnis langsam in mein Gehirn sickerte, wurde mir mit jedem Moment schlechter.
Es zeichnete sich wohl auch auf meinem Gesicht ab, denn Lance zog besorgt die Stirn in Falten. »Alter, geht es dir gut? Du wirst total blass.« Ich schüttelte den Kopf. Lance packte mich an der Schulter und führte mich nach draußen.
Die kühle Nachtluft schlug mir entgegen. Wir entfernten uns etwas vom Eingang, blieben aber im Innenhof. Mehrmals atmete ich tief ein. Langsam drängte ich die Übelkeit zurück. »Lance, ich kann das nicht!«
Er sah mich verwirrt an. »Was kannst du nicht?«
»Bei denen singen! Die gehen doch bald auf Tour! Lance! Ich hab doch gar keine Erfahrung! Wie soll ich das denn machen?« Ich schrie ihn an, obwohl das hier draußen nicht nötig war.
Lance grinste amüsiert. »Das hättest du dir vielleicht früher überlegen sollen. Maniac schien ziemlich überzeugt, dass du das machst.«
»Ich wusste doch nicht, dass es so schnell ernst wird. Ich dachte, wir proben ’ne Weile und dann irgendwann mal ein paar Konzerte hier in Boston, irgendwo auf ’ner kleinen Bühne.« Ich hatte geflüstert. Mir zitterten die Finger, aber so langsam beruhigte ich mich wieder.
»Das packst du schon. Wenn du nicht gut wärst, hätte er dich wohl kaum gefragt und auch dem Türsteher nicht gesagt, dass du der Ersatz für Phantom wirst.«
Ich wusste, dass Lance es ernst meinte. Doch so ganz konnten mich seine Worte noch nicht überzeugen.
»Alles klar mit ihm?« Ich war noch immer vornübergebeugt und schnappte nach Luft. Jemand hatte sich neben mich gestellt und die Frage wohl an Lance gerichtet. »Ich hoffe doch, er hat nichts getrunken.«
»Nein, hat er nicht. Ihm ist nur mal wieder aufgefallen, dass er völlig naiv ist. Das hat ihm etwas auf den Magen geschlagen.« Das breite Grinsen war auch in Lance’ Stimme zu hören. »Nichts, was ein wenig frische Luft und ein paar aufmunternde Worte nicht richten könnten.«
»Du bist ein Arsch!«, grummelte ich und zeigte ihm den Stinkefinger. Wie konnte er so etwas einem völlig Fremden sagen?
»Du kamst mir gestern gar nicht so empfindlich vor. Nur etwas grün hinter den Ohren.«
Bei den Worten drehte ich meinen Kopf zu dem Unbekannten und sprang reflexartig einen Schritt von ihm weg. Zombie! Warum ausgerechnet er?
»Wow, du bist ja heute noch nervöser als gestern. Ist wirklich alles gut?«
»Ja«, brummte ich. »Wie er sagt: Ich bin nur naiv. Sorry, dass ich euch gestern eure Zeit gestohlen hab.«
»Was?!«, kam es von Lance und Zombie gleichzeitig.
»Ich kann nicht für euch singen. Das bekomm ich nicht hin. Du hattest recht: Ich bin zu jung und ich hab keine Erfahrung.« Scheiße, ich hätte mich vorher informieren und dann nicht zur Probe erscheinen sollen. Ich konnte doch nicht bei den Death Demons singen. Das ging nicht!
»Er ist doch hoffentlich betrunken?«, fragte Zombie erneut.
»Nein, er hat nur mal wieder sein Selbstbewusstsein zu Hause gelassen.«
»Gut, dann pack das morgen zur Probe wieder ein!« Zombie wirkte ziemlich erbost. Hatte er denn nicht gehört, was ich gesagt hatte? Warum sollte ich nochmal zur Probe kommen? »Und wehe du erscheinst nicht. Ich weiß, wo du wohnst!«
Mit den Worten stapfte er auf den Türsteher zu, grüßte diesen und betrat das Exile. Lance und mich ließ er einfach stehen.
»Wollen wir gehen?«,
Lance schüttelte vehement den Kopf. »Wenn du schonmal in ’nen Club kommst, geh ich nicht nach ’ner viertel Stunde wieder. Spring endlich über deinen Schatten. Sie wollen dich, du scheinst das gut zu machen, also akzeptier es. So wie der aussah, trau ich ihm zu, seine Drohung wahrzumachen. Und ich bin mir sicher, du willst ihn nicht vor deiner Tür stehen haben, damit er Rose und deinem Dad erklärt, dass er dich zu ’ner Bandprobe abholt.«
Ich biss mir auf die Lippe und nickte. Ja, ich traute es ihn auch zu. Wir gingen also zurück ins Exile, holten uns jeder eine Cola und gingen dann tanzen, nachdem wir ausgetrunken hatten. Langsam konnte ich mich wieder entspannen.
Während des Tanzens fiel mir ein gut aussehender junger Kerl auf, der immer mal wieder zu mir herübersah. Als ich seinen Blick erwiderte, lächelte er. Nachdem ich Lance Bescheid gegeben hatte, dass wir uns spätestens an der Bahnstation trafen, und er mir viel Erfolg und Spaß gewünscht hatte, ging ich rüber.