Nervös stand ich vor dem heruntergekommenen, dreistöckigen Mehrfamilienhaus, über dessen metallener Eingangstür ein Leuchtschild mit der Aufschrift Exile hing. Dass die Buchstaben im Moment nicht erleuchtet waren, deutete wohl darauf hin, dass der Club geschlossen war. Der Eingang befand sich in einem Hinterhof zwischen anderen Häusern und war etwas versteckt. Zufällig hätte es wohl niemanden hierher verschlagen.
Ich trat von einem Bein auf das andere. Ich war zu früh, da ich nicht sicher gewesen war, wie gut ich es finden würde. Jetzt stand ich da und musste warten. Leider gab es vor dem Club keine Sitzgelegenheiten. Wobei ich nicht sicher war, ob ich mich überhaupt hätte setzen wollen, denn mir tat der Hintern weh. Er war ziemlich wund.
Roger hatte mich am Abend wohl eine ganze Weile gefickt und das vermutlich ohne Gleitgel. Zumindest hatte ich nichts davon mitbekommen, dass er welches genommen hätte, andererseits war ich ziemlich weggetreten. Es war also wahrscheinlicher, dass ich es einfach nicht bemerkt hatte. Dass mich Toby am Morgen noch mit zu einem Quickie in die Dusche genommen hatte und auch Roger nicht abgeneigt gewesen war, als ich mich danach nochmal zu ihm ins Bett gekuschelt hatte, hatte meinen Zustand nicht gerade verbessert. Mein Hintern war jedoch nicht das Einzige, was geschunden war. Ich hatte ein weites T-Shirt anziehen müssen, da meine Brustwarzen stark gereizt waren.
»Hey, was willst du denn hier? Der Club ist heute dicht. Komm morgen wieder.« Ein junger, kräftiger Mann mit kurzem Iro war um die Ecke gebogen und musterte mich. Er trug eine schwarze Lederhose und ein schwarzes T-Shirt, sowie mehrere Nietenarmbänder. In den Händen hielt er eine Kippe und Drumsticks.
»Ehm, hallo. Ich bin Isaac. Peter hat mich herbestellt.« Ich ging einige Schritte auf ihn zu und hielt ihm die Hand entgegen. Ich bezweifelte, dass ich bei ihm falsch war.
Jetzt musterte er mich noch eingehender, seine blauen Augen schienen mich zu durchlöchern. Dann ergriff er meine Hand und schüttelte sie knapp. Seufzend erwiderte er: »Dann musst du der Sänger sein, den Maniac angekündigt hat. Ich hab mir dich etwas anders vorgestellt.«
Ich hielt seinem prüfenden Blick stand und musterte ihn ebenso. Er schien ja schonmal nicht so begeistert von mir. »Wie denn?«
»Erwachsener. Wie alt bist du denn? Gerade 18?« Er klang abfällig.
Kurz dachte ich darüber nach, zu lügen, entschied mich dann aber dagegen. Bei Toby und Roger oder einem Club war es die eine Sache, es war nicht nett, aber noch vertretbar, aber hier konnte mich so eine Lüge wirklich etwas kosten. »17.«
»Hi, da bist du ja«, hörte ich Peters angenehme Stimme hinter mir. Er stand in der geöffneten Tür zum Wohnhaus und lächelte mir zu, als ich mich zu ihm umdrehte. Seine Klamotten waren fast dieselben wie am Dienstag.
»Ernsthaft, Maniac? Ist der dein Ernst? Ein kleiner 17-jähriger Schönling?« Der Irotyp ging auf Peter zu und deutete auf mich. Na, das fing ja schonmal gut an. »Wo hast du den denn aufgegabelt? Im Knabenchor?«
»Reg dich nicht so auf, gib ihm erstmal ’ne Chance.« Als der andere erwähnt hatte, dass ich erst 17 war, waren Peters Augen kurz zu mir geglitten, hatten dann aber wieder seinen Gesprächspartner fixiert. »Er ist häufiger im Common mit seinem Freund, da hab ich ihn gehört. Glaubst du wirklich, ich würde ihn herbestellen, wenn er nicht gut wäre?«
»Bei dir weiß man nie, wann du zuviel gekifft hast.« Der Kräftige zuckte mit den Schultern und drückte sich durch die Tür. Dabei fuhr er in versöhnlicherem Ton fort: »Wir können ihn uns ja mal anhören, aber er sollte schon sehr gut sein.«
»Nimm es Zombie nicht übel, er ist immer noch ziemlich angepisst, dass wir so kurzfristig jemand neuen suchen müssen.« Peter lächelte mich mit seinem reizenden Lächeln aufmunternd an. »Hätte wirklich nicht gedacht, dass du erst 17 bist. Das könnte tatsächlich schwierig werden. Aber lass uns erstmal sehen, wie es wird. Wenn du so gut bist, wie bisher auch, dann bekommen wir das schon hin. Komm mit, ich zeig dir alles.«
Ich trat hinter ihm ins Haus. Im Erdgeschoss befand sich eine weitere solche Tür genau gegenüber im Hausflur, die aber geschlossen war. Eine Treppe führte nach oben, eine weitere nach unten. Vor beiden hing eine schwere Eisenkette, wobei die vor der Treppe nach unten nur noch auf einer Seite befestigt war und herunterhing.
Peter deutete auf die Metalltür: »Das ist das Exile, aber das ist nur am Wochenende auf, wir haben also heute Ruhe.« Bevor er die Treppe nach unten nahm, befestigte er einen Keil an der Haustür, der sie offen hielt. Ich folgte ihm.
Unten gab es zwei solcher schweren Türen, wobei beide geöffnet waren. Sie gehörten zu einem großen Raum, in dessen Mitte eine kleine Bühne stand. Auf der Seite der Bühne, deren Tür man als erstes erreichte, wenn man die Treppen hinabstieg, waren einige Sofas und Stühle aufgestellt. Auf der anderen Seite lag jede Menge Equipment. Es war wohl der Backstagebereich, wenn man die Vorhänge schloss, die auf beiden Seiten der Bühne angebracht waren. »Das ist unser Probenraum. Wie du siehst, können wir hier auch kleinere Konzerte spielen. Samstags, wenn der Club oben offen ist, kommen auch immer ein paar Leute zur Probe. Alles gute Bekannte von uns.«
Während ich mich noch im Raum umsah, ging Peter zum Drummer und half ihm, einige Sachen auf die Bühne zu tragen. Ich beobachtete sie und war noch unsicher, wie ich das alles aufnehmen sollte.
»Oh, du musst der Neue sein«, erklang eine freundliche, weibliche Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht einer hübschen, jungen Blondine, die gerade durch die Tür kam. Ihr schwarzes Kleid zeigte ein tiefes Dekolletee und endete knapp zwei Hand breit überm Knie. Es betonte durch die Schnallen am Oberkörper ihren schlanken Körperbau. Die langen, blonden Haare umschmeichelten ihr zierliches Gesicht, die Füße wurden von offenen Plateauschuhen bedeckt, deren Schnallen bis an ihr Schienbein reichten.
Sie lächelte mich an und streckte mir ihre Hand entgegen: »Ich bin Angel und das hier ist Zulu.«
Sie deute mit der freien Hand auf einen Typen neben sich, den ich noch nicht wahrgenommen hatte. Er hatte kinnlange Haare, die struppig um und in seinem Gesicht hingen. Die Kleidung war etwa dieselbe wie die von Zombie, nur trug er eine Jeans. Auch er hielt mir seine Hand entgegen. »Hi.«
»Hallo. Isaac«, stellte ich mich vor und gab erst ihr und dann ihm die Hand.
»Gut, dann sind ja alle da. Habt ihr die Tür zugemacht?« Peter war zu uns getreten.
Zulu schüttelte den Kopf und machte sich direkt auf den Weg nach oben. Einen Moment später hörte man die Tür zufallen.
Bevor er wiederkam, forderte Peter mich auf: »Sing dich eben ein, wir müssen auch noch stimmen und uns einspielen, beziehungsweise auch noch etwas einsingen. Danach singst du einfach mal ein, zwei Sachen, die dir einfallen, und dann spielen wir dir ein paar Songs von uns vor, die du dann mal versuchst.«
Wie erwartet, setzte sich Zombie hinter das Schlagzeug, während sich Peter und Angel jeweils eine der E-Gitarren schnappten. Als Zulu wiederkam, ging er an den Bass. Jeder spielte sich ein und stimmte sein Instrument. Wie immer, wenn ich mich mit anderen Musikern im Raum befand, fühlte ich mich direkt wohl und eine angenehme Nervosität machte sich in mir breit. Ich mochte es, mit Gleichgesinnten zu spielen.
»Was willst du singen? Vielleicht können wir dich begleiten, dann sehen wir gleich, wie es harmoniert«, schlug Peter vor, als wir alle so weit waren.
»Ich hätte jetzt spontan I remember you genommen, weil ich das am besten kann, und Gothic Girl.«
Peter grinste. »Ich bin nicht überrascht. Das erste hab ich zwar ein paar Mal bei dir gehört, aber könnte ich jetzt nicht. Das andere geht klar.«
Zombie und Angel stimmten ihm zu, nur Zulu kannte keines der Lieder. Zumindest nicht gut genug, dass er es sich zutraute, mich zu begleiten.
»Schonmal E-Gitarre gespielt? Dann kannst du selbst beim Ersten spielen«, bot mir Angel ihre Gitarre an.
Ich schüttelte den Kopf. »Nee, nur Akustik.«
»Ich stell sie dir ein, dann bekommst du das schon hin.« Peter nahm ihr das Instrument aus der Hand, verstellte etwas an den Reglern und gab sie mir dann. »Das müsste so passen. Spiel mal kurz ... Ja, kommt hin.«
Dafür, dass ich weder eingespielt war, noch jemals mit einer E-Gitarre gespielt hatte, lief es ganz gut, auch wenn es ungewohnt klang. Das Lied von The 69 Eyes war etwas schwieriger für mich. Es war mir spontan eingefallen, ich hatte es nie geprobt, es war nicht ganz meine Tonlage und mit so vielen Instrumenten war ich es nicht gewohnt zu singen. Besonders das Schlagzeug brachte mich etwas durcheinander. Dennoch war ich mit meiner Leistung recht zufrieden.
Peter schien, als hätte er sich mehr erwartet, Angel und Zombie ebenfalls. Zulu dagegen war begeistert.
»Na gut, hören wir mal, was du mit unseren Sachen hinbekommst.« Peter stellte die Gitarre weg und ging nach hinten. Dort legte er eine CD in die Anlage und kam mit einer Fernbedienung und ein paar Zetteln wieder, die er mir in die Hand drückte. »Das wären erstmal die wichtigsten Lieder. Die Noten sind nicht vollständig. Dein Vorgänger hat sich nicht unbedingt die Mühe gemacht.«
Ich sah auf die Zettel. Es standen Texte sowie an einigen Stellen hingeschmierte Noten darauf. Ich musste mich also darauf verlassen, was ich auf der CD hörte. Das Lied, das ich hörte, kam mir bekannt vor. Ich hatte es schonmal gehört, mehr als einmal, konnte es aber keiner Band zuordnen.
Während ich mich auf den Gesang konzentrierte, hörte ich auch Peters Stimme. Es ging hier also nicht darum, etwas zu covern, sondern um eigene Sachen. Das machte mich dann doch etwas nervös, vor allem, da mir das Lied ja bereits bekannt war. So ganz unbekannt konnten sie also nicht sein. Wenn mir nur der Bandname wieder einfiel.
Ich sah mich, während ich das Lied ein zweites und drittes Mal hörte, im Raum um, ob ich einen Hinweis darauf fand.
»Bekommst du das hin?« Peter sah mich auffordernd an, nachdem er die CD nach der dritten Wiederholung gestoppt hatte. Ich nickte knapp.
Es brauchte zwei Anläufe, bis ich es mindestens so gut wie Gothic Girl hinbekam. Beim ersten Mal hatte ich noch zu viel zu tun, auf das Spiel der anderen Instrumente zu hören und verpasste dadurch ein paar Mal den Einsatz. Auch die Notenlage war noch nicht perfekt. Beim zweiten Versuch lief es deutlich besser. Lediglich einen Einsatz verpasste ich, fand mich dann aber mit Peters Hilfe ein, der übernommen hatte und das Singen beendete, als ich wieder wusste, wo es weiterging. Sicher, nicht jeder Ton war getroffen, aber es war ein guter Anfang.
Das schienen auch die anderen zu sehen und wollten gleich etwas Schwereres versuchen. Wieder hörte ich es mir ein paar Mal an und auch diesmal kannte ich das Lied bereits. Es war ein Duett mit Angel. Das klang nach einer interessanten Herausforderung.
Der erste Versuch lief besser als der vom anderen Lied, es half mir, mich an ihr orientieren zu können. Beim zweiten Versuch war es noch nicht auf dem Niveau von vorher, Peter musste zwei Mal helfen. Dafür war der dritte Anlauf bis auf ein paar fehlgeleitete Noten in den schwereren Melodien perfekt.
Wir übten weiter an beiden Stücken, die anderen schienen wirklich zufrieden mit meiner Leistung. Und nachdem die erste Nervosität, es mit erfahrenen Musikern zu tun zu haben, überwunden war, machte es wirklich Spaß. wir lachten gemeinsam über Fehler, alberten etwas herum, fanden aber zügig zur nötigen Konzentration zurück.
Schnell verging die Zeit. Als wir Pause machten, sah ich auf die Uhr. Es war bereits nach 22 Uhr. »Wie lange macht ihr normalerweise?«, fragte ich Zombie, der gerade neben mir saß und rauchte.
Er sah mich etwas verwirrt an. »Eigentlich meistens solange wir Lust haben. Warum, musst du schon ins Bettchen?«
»Haha.« Ich verdrehte die Augen. Er schien wirklich etwas gegen mich zu haben. »Nein, aber spätestens um zwölf sollte ich zu Hause sein.«
»Wo musst denn hin?«, fragte Angel. »Vielleicht kann dich wer mitnehmen.«
»Jamaica Hills.«
»Ich kann dich beim nächsten Mal mitnehmen, ich wohn auch dort. Ich bin aber mit dem Motorrad hier und ohne zweiten Helm«, bot zu meinem Erstaunen ausgerechnet Zombie an.
»Ich kann ihm meinen leihen, wenn er passt«, mischte sich Peter ein.
Nachdem das geklärt war, konnten wir die restliche Zeit nutzen, um weiter an den Liedern zu arbeiten. Das Erste fiel mir noch etwas schwerer, beim Zweiten konnte ich mich tatsächlich noch steigern, es war schon recht gut.
Am Ende der Probe quatschten wir noch etwas und alle waren sich einig, dass ich zumindest Samstag wiederkommen und mal live proben sollte. Ich schien überzeugend genug zu sein, was mich wirklich freute.
»Hier, wenn du morgen nichts anderes vorhast, komm ins Exile und bring ihn mir zurück, ansonsten bring ihn Samstag wieder mit.« Peter war nach der Probe die Treppe hinaufgestiegen und kam kurze Zeit später mit einem Helm wieder, den er mir in die Hand drückte.
»Maniac, er ist 17!«, empörte sich Zulu. Er hatte die ganze Probe kaum gesprochen, weswegen es mich verwirrte, dass er es gerade jetzt tat.
Peter zuckte mit den Schultern. »Und es ist mein Club. Wenn ich Anatol sage, er soll ihn reinlassen, dann kommt er auch rein.«
Ich schaute Peter mit großen verwunderten Augen an. Das Exile war sein Club? Dann würde ich es mir nicht nehmenlassen, am nächsten Tag vorbeizukommen.
Wir verabschiedeten uns, Angel umarmte einmal alle und dann fuhren Zombie und ich in unser Viertel, wo er mich gerade noch rechtzeitig vor der Haustür absetzte.