CN: Häusliche Gewalt
Am nächsten Tag machte ich mich früh auf den Weg nach Hause, immerhin hatte Dad Geburtstag und bestand ebenfalls auf eine kleine Feier im Kreis der Familie, für die ich sogar die Probe am Abend abgesagt hatte.
»Oh, sieh an, tauchst du auch mal wieder auf?«, war meine Begrüßung aus der Küche, als ich das Haus betrat. Wirklich? Hielt sie es nicht mal drei Wochen aus?
Ich riss mich zusammen, wollte Dad nicht den Geburtstag versauen, indem ich einen Streit vom Zaun brach. Dann versuchte ich es eben mit Humor: »Ich dachte mir, Dad würde sich freuen, wenn ich zu seinem Geburtstag mal vorbeischaue.«
Sie nickte darauf nur und schien sich mit der Antwort zufriedenzugeben.
Ich ging nach oben, suchte ein paar Klamotten in meinem Zimmer und verschwand dann im Bad, um mich fertig zu machen. Meine Wahl war auf eine schwarze Jeans und ein rotes Hemd gefallen. Ich wusste, dass Dad mich gern im Hemd sah und das würde auch keine Diskussion hervorrufen. Mir fiel ein, dass ich gar nicht genau wusste, ob seine Eltern auch kommen sollten. Dann konnte ich mit dem Hemd erst recht nichts falsch machen.
Ich duschte, machte mir die Haare und zog mich an.
Nachdem ich das Bad verlassen hatte, suchte ich Dad, fand ihn im Haus jedoch nicht. Also ging ich zu Rose in die Küche. Ich nahm mir einen Snack von den Platten und schob ihn mir in den Mund. »Ist Dad grad mit Dave unterwegs?«
»Finger weg! Ja, Dave braucht mal wieder was Neues zum Anziehen, er ist aus allem rausgewachsen.« Sie drehte sich zu mir um und warf mir einen bösen Blick zu, da ich wohl ihr angerichtetes Kunstwerk zerstört hatte. »Das Hemd steht dir. Immerhin bindest du unseren Gästen damit nicht gleich durch dein Aussehen auf die Nase, dass du schwul bist.«
Schön, selbst ein Kompliment wurde bei ihr eine Beleidigung. Ich überging den beleidigenden Teil: »Danke. Kommen Grandma und Grandpa?«
»Nein. Hilfst du mir eben?« Sie hielt mir eine Schüssel mit Zutaten hin, die wohl verrührt werden mussten.
Ich nahm sie ihr ab und rührte darin. »Wer denn sonst?«
Wir hatten doch sonst keine Verwandtschaft. Nur noch die Eltern meiner Mum, aber die würden wohl kaum kommen. Arbeitskollegen von Dad? Eigentlich hatte er doch unbedingt nur mit der Familie feiern wollen.
»Maria und Bryan kommen mit Marie Ann vorbei. Wir wollen über euch beide sprechen. Wenn jetzt wirklich ein Krieg beginnt, dann müssen wir das schnell klären.«
Fast fiel mir die Schüssel aus der Hand. Mir zitterten die Hände. Etwas zu heftig stellte ich sie auf der Arbeitsplatte ab. »Ist das dein Ernst? Ich werde Marie nicht heiraten, wenn du darauf hoffst! Was sagt Dad eigentlich dazu?«
»Das werden wir ja sehen.« Sie sagte es geradezu beschwichtigend. »Rene findet es auch gut, wenn wir uns alle mal zusammen setzen und darüber reden, was passiert ist.«
»Aha.« Ich rührte den Teig fertig und drückte ihn ihr dann in die Hand. »Brauchst du noch Hilfe?« Als sie den Kopf schüttelte, lief ich in mein Zimmer und stellte laut Musik an.
Das durfte doch nicht wahr sein! Ich zitterte vor Aufregung. Ob es jedoch die Aufregung darüber war, dass Rose ihre Familie zum Gespräch eingeladen hatte, das sehr sicher im Streit enden würde, oder ob es war, weil Marie kam, konnte ich nicht definitiv sagen. Vermutlich eine Mischung aus beidem.
Ich legte mich aufs Bett und versuchte, mich mental auf das Gespräch vorzubereiten, mir Sätze zurechtzulegen und mich zu beruhigen.
Dad und Dave kamen zwei Stunden später nach Hause. Ich ging kurz nach unten, um meinem Vater zu gratulieren, dann verzog ich mich erstmal wieder auf mein Zimmer.
Marie und ihre Eltern kamen zum Abendessen an. Tatsächlich wurde währenddessen sehr wenig gesprochen, lediglich ein Kompliment von ihrem Vater, dass ich wieder wie ein vernünftiger junger Mann aussähe, ging in meine Richtung. Marie warf mir immer wieder fragende und aufgeregte Blicke zu, zwinkerte einmal. Sie schien sich zwar zu wundern, warum sie da waren, sich aber dennoch auf die Nacht zu freuen. Ich versuchte, ihr mit meinen Blicken klarzumachen, dass es nichts zum Freuen gab, doch das schien sie nicht zu bemerken.
»David, machst du dich heute alleine bettfertig?« Wir waren gerade fertig. Rose schien es eilig zu haben, zum eigentlichen Thema zu kommen.
»Ich will aber, dass Isi mich ins Bett bringt!«
»Nein, Isaac bringt dich nicht ins Bett!« Ich zuckte bei Rose’ scharfem Ton zusammen. War es wirklich schon zu viel, dass ich ihn ins Bett brachte? »Du sagst jetzt bitte allen hier gute Nacht und dann gehst du allein ins Bett.«
Marie warf mir einen irritierten Blick zu und ich versuchte, ihr mit einem leichten Kopfschütteln klarzumachen, dass sie nicht fragen sollte.
Dave stand bockig auf, schüttelte Maries Eltern die Hand, ließ sich von Marie drücken und gab Dad einen Gutenachtkuss. Dann hielt er Rose trotzig seine Wange hin. Scheinbar wollte er seiner Mutter jetzt keinen Kuss geben. Zuletzt kam er zu mir und wollte einen Kuss.
Doch ich drückte ihn nur, immerhin würde das Gespräch auch ohne eine aufgebrachte Rose unangenehm genug werden.
Dave sah mich traurig an. »Wann darfst du mich wieder ins Bett bringen?«
Verzweifelt sah ich ihn an. Ich konnte nichts sagen, denn entweder hätte ich ihn anlügen oder ihn sehr enttäuschen müssen.
Doch das schien Rose gerne für mich zu übernehmen: »Isaac kann dich wieder ins Bett bringen, wenn er wieder vernünftig geworden ist.«
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht etwas Gemeines zu sagen, und schob den traurigen Dave von mir.
Er schien sich jedoch noch nicht mit der unklaren Aussage abzufinden. »Bist du wieder vernünftig, wenn du Marie heiratest? Mum hat gesagt, dass du das musst.«
Na wenigstens machte Dave den Gesprächseinstieg einfach.
Ich blickte über die Tischkante hinweg zu Marie, die bleich wurde, dann sah ich wieder meinen kleinen Bruder an. Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu reden: »Wir werden sehen. Gehst du bitte ins Bett, wir wollen uns noch unterhalten.«
Trotzig gab er mir einen Kuss auf die Wange und stampfte dann die Treppe nach oben.
Am Tisch herrschte eisiges Schweigen. Auch als Daves Tür hörbar ins Schloss fiel, sprach keiner. Gut, so viel also zum guten Gesprächseinstieg.
Ich sah zu Marie, die auf ihrem Stuhl immer kleiner wurde und unterdrückte den Impuls, zu ihr hinüberzugehen und sie in den Arm zu nehmen.
Dann donnerte Bryan: »Glaubst du eigentlich, mich auf den Arm nehmen zu können, Junge? Hab ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?«
Ich zuckte zusammen. So wütend ich hatte ihn noch nie erlebt. Ich vergaß alles, was ich mir zurechtgelegt hatte, wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, ohne die Situation direkt eskalieren zu lassen. Vorsichtshalber schüttelte ich nur den Kopf.
»Wie kommst du dann darauf, meine Tochter in dein Bett zu holen und zu glauben, dass du ungeschoren davonkommst?«
Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten, als er aufstand, schaffte es aber keine zwei Sekunden.
»Bryan, beruhig dich etwas und setz dich wieder. Wir wollten das in Ruhe mit den Kindern klären.« Beschwichtigend hob Dad die Hände.
Maries Vater setzte sich tatsächlich wieder und Marie atmete erleichtert ein. Nun meldete sich auch ihre Mutter zu Wort: »Wann wollt ihr denn heiraten? Ich denke mal so schnell wie möglich, bevor wirklich ein Krieg ausbricht, wäre gut, oder?«
»Gar nicht«, war meine klare und nüchterne Antwort.
»Du kleiner, verzogener Bengel, was fällt dir eigentlich ein?« Bryan sprang wieder auf. Marie zuckte zusammen, als hätte man sie geschlagen. »Stiehlst unserer Tochter ihr Heiligstes und willst dich dann aus der Verantwortung ziehen!«
»Er hat mir gar nichts gestohlen«, kam es leise von Marie. Man sah ihr an, dass sie am liebsten aus dem Raum gerannt wäre. »Ich wollte es auch.«
Rose und Maria atmeten hörbar ein.
Schön, dass man mir hier am Tisch scheinbar zutraute, Marie zu vergewaltigen. Das gab doch wirklich Mut.
Sofort donnerte Bryan weiter: »Du versprichst ihr, sie zu heiraten, und versuchst dann, dich aus der Affäre zu ziehen?«
»Er hat mir gar nichts versprochen!« Marie schien es gar nicht zu gefallen, wie ihr Vater auf mich losging. Andernfalls hätte sie wohl kein Wort herausbekommen. »Ich wusste, dass Isaac mich nicht heiraten will. Und ich will es auch nicht.«
»Aber Schätzchen! Wenn du schon befleckt heiraten musst, dann doch wenigstens den, der dir die Unschuld genommen hat«, redete ihre Mutter auf sie ein.
»Wenn die Kinder doch aber nicht miteinander glücklich sind, dann lasst sie doch jemanden finden, mit dem sie glücklich werden können.« Ich war dankbar, dass wenigstens mein Vater für uns Partei ergriff.
»War ja klar, dass du sowas sagst, nachdem du so ein Flittchen wie seine Mutter geheiratet hast. Scheinbar kommt der Junge ganz nach ihr. Schade, man hätte ja hoffen können, dass Rosamond einen guten Einfluss auf ihn hat«, herrschte Bryan meinen Vater an.
»Nimm das zurück!«, zischte ich in bedrohlich an. Jetzt wurde es mir doch zu bunt. Sie sollten endlich aufhören, ständig Mum zu beleidigen!
Rose ging dazwischen: »Beruhigt euch. Isaacs Mutter hat damit wirklich nichts zu tun.«
»Da hat sie recht«, bekräftigte Maria. »Viel wichtiger ist doch, dass er Marie Ann heiraten muss. Kein guter Christ nimmt eine Frau, der schon jemand beigelegen hat.«
»Das muss ja keiner erfahren«, mischte sich Marie leise und mit hoffnungsvoller Stimme ein.
»Aber Schatz, dein Zukünftiger wird sich die Bestätigung vom Arzt holen, dass du noch unberührt bist.« Ihre Mum hatte sich zu ihr gebeugt und ihr den Arm um die Schultern gelegt. »Und spätestens in eurer Hochzeitsnacht wird er es merken, wenn das Häutchen bereits gerissen ist. Stell dir doch mal diese Schande vor!«
Marie sah mich flehend an.
Wollte sie, dass ich es aussprach? Oder sollte ich den Mund halten?
Sie brach in Tränen aus und begann zu stottern: »Ich ... Wir ... Wir haben das so gemacht ... Ich bin noch Jungfrau ...«
Ich konnte sie einfach nicht weinen sehen, ging zu ihr und zog sie sanft von ihrem Stuhl in meine Arme. Es brach mir fast das Herz, wie sie schluchzte.
Ihre Mutter atmete erleichtert auf. »Na Gott sei Dank. Dann findest du ja doch noch einen ehrbaren Mann.«
Ihr Vater dagegen wurde durch diese Offenbarung noch zorniger, schien sie im Gegensatz zur Mutter zu verstehen. Er ging auf mich zu und riss Marie aus meinen Armen. Blitzschnell erhob er die Hand und schlug zu. Mein Kopf flog zur Seite. »Du Sohn einer läufigen Hündin! Was fällt dir ein, meinen Schatz wie Vieh zu begatten! Du wirst deine widerwärtigen Neigungen nicht an meiner Tochter auslassen! Dafür, was du ihr angetan hast, sollst du deiner räudigen Mutter in die Hölle folgen.« Während er sprach, schlug er weiter auf mich ein.
Zuerst hatte ich versucht, seinen Schlägen auszuweichen, doch dann brandete die Wut in mir hoch. Niemand nannte meine Mutter räudig!
Ich rammte meinen ganzen Körper gegen ihn, brachte ihn zum Taumeln. Den Moment nutzte ich, um meine Fäuste auf ihn einprasseln zu lassen. Ich schrie und schlug zu. Ich wusste nicht, was ich schrie und wohin ich schlug. Mir waren alle Sicherungen durchgebrannt.
Als ich wieder zu Sinnen kam, schrien mich Frauenstimmen an, ich sollte verschwinden. Immer wieder, wiederholten sie, dass ich ein widerwärtiges Ekel sei, dass Gott mich verdammen würde und andere Beleidigungen. Ich sah Dad, wie er sich zu Bryan hockte, ihm hochhalf. Dann sah ich Marie, die sich auf die andere Seite des Tisches gerettet hatte und mich mit verstörtem Blick ansah.
Ich riss mich von der Szenerie los und rannte nach oben in mein Zimmer. Ohne nachzudenken, nahm ich mir eine Tasche und schmiss wahllos Klamotten hinein. Zum Schluss warf ich noch einige andere Sachen oben auf, die mir wichtig waren: mein schwarzes Heftchen und eine kleine, einfache Spieluhr.
»Isaac, wohin gehst du?« Marie stand hinter mir, als ich mich umdrehte, um das Zimmer zu verlassen.
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß ich noch nicht. Irgendwohin. Aber erstmal weg.«
Sie sah mir in die Augen und nickte. Dann stürzte sie in meine Arme.
Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Tut mir leid, dass das passiert ist.«
»Wenn wir uns das nächste Mal sehen, musst du mir erzählen, wie sie es rausgefunden haben.« Sie lächelte mich tapfer an und küsste mich vorsichtig.
Ich bezweifelte, dass wir irgendwann nochmal in Ruhe würden reden können, nickte aber.
Dann hörte ich meinen Vater die Treppe heraufkommen. Er rief meinen vollen Namen, er musste also mächtig sauer sein. Ich ließ Marie los und verließ mit meiner Tasche das Zimmer. Gerade kam er oben an der Treppe an. »Ich bin schon weg.«
»Warum hast du das getan?« Dad schien mich nicht aufhalten zu wollen.
Ich schaute ihn entsetzt an, während ich die Tür zu Daves Zimmer öffnete. »Bist du taub? Er hat Mum beleidigt! Schon wieder!«
Mein kleiner Bruder saß wach in seinem Bett, Tränen liefen ihm übers Gesicht. Vieles musste er auch hier oben gehört haben.
Ich ging zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich bin für ein paar Tage weg. Passt du auf meine Sachen auf, während ich weg bin? Du darfst auch an meinem Computer spielen, wenn Dad es erlaubt.«
Tapfer nickte der Kleine und schlang seine Arme um mich. »Tschüss, Isi.«
Dad stand immer noch im Flur, als ich das Zimmer verließ, machte mir aber Platz. »Isaac, lass uns vernünftig reden.«
»Du hast es doch gehört: Ich bin hier nicht mehr willkommen. Ich lass dich und deine neue heile Familie in Ruhe. Für deinen missratenen Hundesohn ist hier kein Platz mehr.« Ich ging die Treppe nach unten und nahm meinen Mantel von der Garderobe.
»Ich ruf dich an, wenn sich hier alles beruhigt hat«, hörte ich meinen Vater noch sagen, der mir zur Tür gefolgt war, dann fiel sie hinter mir ins Schloss.