Das Essen war seltsam. Es war nun wirklich nicht das erste Mal, dass wir zusammen essen waren, trotzdem fühlte es sich völlig anders an. Vielleicht lag es auch daran, dass wir uns beide ziemlich herausgeputzt hatten. Beide hatten wir uns in Jeans und Hemd gekleidet. Peters Haare waren ordentlich frisiert. Genau wie ich ließ er sie im Alltag häufig machen, was sie wollten. Das Piercing in der Augenbraue hatte er durch ein sehr kleines, unauffälliges ersetzt und auch die Tunnel in seinen Ohren waren eher unauffällig gehalten. Lediglich die dünnen Lederbänder um Hals und Handgelenk waren dieselben wie immer. Ohne mich mit ihm abzusprechen, hatte auch ich mich weniger alltäglich gekleidet. Nicht nur wegen des Hemdes. Zum Beispiel trug ich die Haare offen, was ich sonst selten tat, da sie meistens störten, aber ich wusste, dass er sie so mochte. Außerdem hatte ich mich, bevor wir losgegangen waren, tatsächlich noch mal rasiert. Irgendwie war das hier wohl so etwas wie unser erstes offizielles Date.
Und Peter schien das auch so zu sehen. Denn kaum hatten wir uns gesetzt, legte er seine Hand auf meinen Arm und streichelte darüber. Beruhigend lächelte er nur für mich. »Entspann dich. Hier ist niemand der uns beobachtet. Nur ein paar Idioten, die noch nicht verstanden haben, dass sich auch Männer lieben können. Es ist alles gut.«
»Und wenn uns doch jemand so sieht?« Leise seufzte ich, ließ aber Peters Berührung zu.
Der Kellner kam, um die Karten zu bringen, und fragte nach unseren Getränkewünschen. Auch wenn er uns abschätzig musterte, blieb er doch freundlich.
Bevor ich mich äußern konnte, bestellte Peter für uns beide Wein. Doch noch im selben Moment, wohl auch durch den einschätzenden Blick des Kellners auf mich, wurde ihm sein Fehler bewusst und er änderte die Order in eine Flasche Wasser.
Kaum war der Kellner weg, ging er auf meine Frage ein: »Selbst dann müsste er es erst mal jemandem erzählen, den es interessiert und der ihm glaubt. Ohne Beweise werden es alle für die üblichen Gerüchte halten. Was meinst du, wie oft solche Gerüchte schon über Luke und mich erzählt wurden? Oder über Luke und Carla? Es gab sogar mal was über Mat und mich. Es ist völlig normal, dass sich die Leute was ausdenken und das können wir für uns nutzen. Solange wir nicht zu offensichtlich bei irgendwelchen offiziellen Veranstaltungen oder auf Partys flirten, sollte es kaum ein Problem werden. Wir sind zum Glück nicht bekannt genug, dass uns die ganze Zeit jemand mit Kameras verfolgt. Weißt du schon, was du Essen willst?«
Tatsächlich war ich noch unschlüssig. Es war zwar ein Asiate, aber er hatte vieles auf der Karte, was ich nicht kannte. Peter dagegen hatte nicht einmal einen Blick hinein geworfen, als er fragte, ob er einfach bestellen sollte, er wüsste da schon etwas. Schelmisch grinste ich ihn an. »Führst du öfter deine Dates hier her?«
Etwas verlegen lachte er. »Erwischt. Aber nur die wirklich Wichtigen. Also, vertraust du mir?«
»Na gut, aber nur, wenn du nicht irgendwelche Insekten bestellst, um mich zu ärgern.« Denn tatsächlich hatte ich welche auf der Karte gefunden.
»Nein, keine Sorge, keine Insekten.«
Sein Grinsen gefiel mir dennoch nicht. Und auch nicht, dass er meine Karte zuschlug und beide dem Kellner reichte, direkt nachdem dieser Wasser und Gläser abgestellt hatte. So konnte ich nämlich nicht mehr nachsehen, was er bestellt hatte.
»Was hast du bestellt?« Mich wurmte, dass ich keine Möglichkeit hatte, mich notfalls gegen das Essen zu wehren.
»Wirst du gleich sehen. Aber du musst aufessen, sonst gibt es keinen Nachtisch.« Immer noch grinsend zwinkerte er mir zu.
Na toll, diese Anspielung steigerte meine Vorfreude nicht wirklich.
Eine Weile später kam der Kellner mit einer großen Platte und zwei kleinen Tellern wieder. Höflich bedankte sich Peter.
Auf der Platte lagen zwei Omeletts und zwei Schälchen Reis, auf denen jeweils eine marinierte Hühnerkeule lag. Gut, das sah ja erst mal nicht so schlimm aus, auch wenn in die Omeletts etwas eingebacken war, das ich im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Außerdem waren sie gefüllt. Dafür irritierten mich die beiden Hotdogs auf der Platte. Zumindest sah es nach Hotdogs aus, auch wenn die Wurst etwas anders als normal aussah. Womit ich gar nichts anfangen konnte, waren zwei Stäbchen, auf denen jeweils etwas rechteckiges aufgespießt war, das von einem Teigmantel umgeben war. Also alles in allem eine merkwürdige Kombination aus verschiedenen Speisen.
Peter nahm sich zuerst eines der Omeletts. Ich tat es ihm nach, um nicht eventuell gleich das Schlimmste zu erwischen. Denn Peters Grinsen sagte mir, dass irgendwo eine Überraschung lauerte.
Als das Eigericht vor mir lag, konnte ich sehen, dass Blüten darin eingebacken waren. Waren das wirklich Blüten? Vermutlich ja. Als ich probierte, schmeckte es nicht schlecht. Die Füllung bestand aus Austern, was ich so nicht erwartet hatte.
Neugierig beobachtete Peter mich und als er feststellte, dass es mir zu schmecken schien, lächelte er zufrieden.
Beim Hähnchen und dem Reis, gab es keine Überraschung. Es war genau das, wonach es aussah.
Witziger war da schon der Hotdog. Das ›Brötchen‹ bestand in Wirklichkeit aus klebrigem Reis, der in einem Wurstdarm zusammengehalten wurde. Also eine große Reiswurst, die man aufgeschnitten hatte, um darauf etwas Salat zu verteilen und eine würzige Wurst hineinzulegen. Auch wenn es auf den ersten Blick merkwürdig aussah, war es wirklich gut. Nicht das, was ich im ersten Moment erwartet hatte, aber eine schöne Variante.
Als Letztes wagte ich mich an den Spieß, der mich an ein Eis am Stiel erinnerte. War es vielleicht einer dieser verrückten amerikanisch-asiatischen Sachen, bei denen alles in einem Teigmantel frittiert wurde, was nicht schnell genug war, um wegzulaufen? Könnte es also tatsächlich ein frittiertes Eis sein?
Peters lauernder Blick verriet mir, dass etwas passieren würde, womit ich nicht rechnete. Außerdem schien er zu warten, bis ich abgebissen hatte, bevor er selbst mit dem Essen begann.
Vorsichtig biss ich eine Ecke ab und kaute. Tatsächlich war es nicht kalt, sondern warm und kein Teigmantel, sondern einfach nur eine Panade aus einem ungewöhnlichen Mehl, irgendwie etwas nussig. Außerdem war in der Panade Koriander. Wirklich merkwürdig war aber das, was damit ummantelt wurde. Es war leicht geleeartig und bissig. Außerdem war es fast schwarz. Das ganze hatte einen sehr starken Geschmack nach Schwein, war aber trotzdem leicht süßlich. Irgendwie erinnerte mich das an ...
Ich verzog das Gesicht. »Wirklich? Black Pudding?«
»So ähnlich«, lachte Peter und biss dann von seinem eigenen Spieß ab. »Das ließe sich wohl am besten mit Schweineblutkuchen übersetzen.«
Etwas angewidert sah ich ihm dabei zu, wie er seinen aufaß. Ihm schien es zu schmecken, ich war wirklich nicht sicher, was ich davon halten sollte. Ich biss ein zweites Mal vorsichtig ab, während er seinen schon zur Hälfte gegessen hatte und entschied mich dafür, dass er das Essen besser zu würdigen wusste, und hielt ihm meinen hin.
»Du verzichtest wirklich auf den Nachtisch?«
»Damit ich das esse, müsste es schon sehr guter Nachtisch sein.« Nein, wirklich, ich wollte davon nichts mehr. Sollte er es essen, wenn es ihm schmeckte.
Während er sich zu mir herüberbeugte und mir den Spieß abnahm, grinste er mich an. »Oh, der Nachtisch wird gut, glaub mir. Weil du es aber zumindest probiert hast, bekommst du ihn trotzdem.«
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Peter wusste genau, wie er mich nur mit seiner Stimme und Worten verrückt machen konnte. Dennoch wollte ich das letzte Wort haben. »Oh, zu gnädig.«
»Ich kann es auch sein lassen.« Seelenruhig zuckte er mit den Schultern und aß auf.
Im ersten Moment wollte ich protestieren, doch dann wurde mir klar, dass er genau das erwartete. Ich ließ es also und trank noch ein Glas Wasser.
Als er aufgegessen hatte, fragte er: »Magst du noch Nachtisch oder direkt nach Hause? Du musst ja morgen auch wieder früh raus.«
»Ich nehm gerne noch Nachtisch. Aber lieber to go.« Ich zwinkerte ihm zu.
»Alles klar.« Damit gab Peter dem Kellner ein Zeichen, dass er zahlen wollte.
Einen Moment später stand dieser auch schon bei uns und kassierte. Kaum waren wir aufgestanden und hatten unsere Mäntel angezogen, nahm mich Peter an der Hand und wir verließen das Restaurant.
Vor der Tür lehnte ich mich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke fürs Essen.«
Er streichelte über meine Wange, dann ließ er seine Hand in meinen Nacken wandern und zog mich an sich. Der Kuss hielt eine ganze Weile an und schickte mein Blut aus dem Kopf in südlichere Regionen.
Er konnte mich doch nicht jetzt so küssen! Nicht hier, direkt vor dem Restaurant, nicht, während er meine Hand hielt.
Gerade diese Öffentlichkeit machte mich kribbelig. Als mir ein leises Seufzen entwich, löste Peter den Kuss wieder. »Ich hoffe, es hat dir trotzdem geschmeckt, auch wenn der Kuchen nicht so deins war?«
»Ja, der Rest war wirklich lecker.« Ich verschränkte meine Finger mit seinen und ließ mich dann von ihm führen. Er hatte ja schon am Vorabend vorgeschlagen, nach dem Essen noch einen Spaziergang zu machen. Ich war gespannt, wo er mich hinführte.
Nachdem wir eine Weile schweigend gelaufen waren, fiel mir ein, dass ich ihn noch etwas fragen wollte. »Was ist jetzt eigentlich aus der Kleinen geworden?«
»Ach so, ja. Ihr Bruder ist felsenfest bei seiner Meinung geblieben. Mat und ich sind dann allein hin. Sie war schon völlig aufgelöst, als wir dort ankamen, weil ihr Bruder gestern Abend nicht ›nach Hause‹ gekommen ist. Sie ist Mat direkt in die Arme gefallen. Wir haben ihr dann gesagt, dass ihr Bruder bei der Polizei ist und wir sie hinbringen können, dass sie dann aber wieder in eine Pflegefamilie muss, vermutlich ohne ihn. Kurz war sie bockig, weil sie nicht von ihrem Bruder wegwollte, aber als wir ihr versprochen haben, dass wir noch mal mit den Behörden reden, ob sie nicht doch zusammenbleiben können, wir aber nicht versprechen können, dass es klappt, ist sie mitgekommen. Oder besser gesagt: Sie hat Mat aufstehen lassen, damit er sie tragen konnte.« Peter grinste und drückte meine Hand etwas fester. »Das hättest du sehen sollen. Das war total süß, wie er mit dem kleinen Mädchen auf dem Schoß in der Bahn saß und sie sich die ganze Zeit an ihn geklammert hat. Erst bei der Polizei hat sie ihn losgelassen, um ihrem Bruder um den Hals zu fallen.«
Tatsächlich konnte ich mir Zombie so überhaupt nicht mit einem Kind auf dem Schoß vorstellen. »Haben die anderen Leute nicht komisch geschaut, wegen dem kleinen Mädchen und ihm?«
»Nö, warum sollten sie? Mat oder ich könnten locker ihr Vater sein. Vermutlich dachten die meisten, ihr geht es nicht gut und dass sie deshalb so anhänglich an ihren Papi ist.«
»Ich finde nicht, dass er wie ein Papi wirkt.«
»Nicht? Doch, ich finde schon. Er wäre sicher ein toller Vater. Und ich kann mir vorstellen, dass er gerne Kinder hätte.«
»Hmm ... Stell ich mir schwierig vor, wenn er schwul ist. Er ist doch schwul, oder? Du hattest, glaub ich, gesagt, dass er mit Mädchen nichts anfangen konnte.«
»Ja, Mat ist homosexuell. Er bezeichnet sich aber nicht als schwul und lehnt das auch für sich ab, weil er zwar auf Sex mit Männern steht, aber sich nicht vorstellen könnte, mit einem zusammen zu sein. Vermutlich, weil es nicht mit dem Bild übereinstimmt, das man ihm als Kind eingeprügelt hat. Schon sich in einen Mann zu verlieben, wäre für ihn ein Ding der Unmöglichkeit.«
Schockiert sah ich Peter an. »Zombie war also noch nie verliebt?«
»Schwierig ... Er ist ja nun auch nicht völlig gefühlskalt. Ich denke schon, dass er sich durchaus das ein oder andere Mal verknallt hat. Aber wirklich verliebt ... Eher nicht. Er lässt niemanden länger als für einen Fick an sich ran. Ich hab keine Ahnung, wie dieser Roger es schafft, dass sich Mat immer wieder auf ihn einlässt. Das ist eigentlich überhaupt nicht seine Art. Eigentlich sucht er sich einen Kerl, lässt sich von ihm vögeln und sieht ihn dann nie wieder.«
Ich merkte, wie Peter begann, sich darüber aufzuregen. Irgendwie konnte ich das aus seiner Sicht auch verstehen. Da ließ sein bester Freund doch jemanden an sich heran und dann war es einer der beiden Kerle, die er hasste.
Ich wollte mit dem Gespräch lieber wieder in ungefährlichere Gefilde. Daher fragte ich: »Das heißt, er könnte sich tatsächlich vorstellen, einen auf Familie zu machen?«
»Nein, nicht mehr. Aber ja, wäre er nicht auf der Straße gelandet, hätte er jetzt vermutlich Frau und Kinder.«
»Was hat das damit zu tun, dass er auf der Straße gelandet ist?« Das ergab für mich überhaupt keinen Sinn. Wo sollte da der Zusammenhang sein? Er hätte sich doch danach trotzdem eine Frau suchen und Kinder bekommen können.
Eine ganze Weile herrschte Stille. Als keine Antwort kam, sah ich in Peters Gesicht. Offensichtlich rang er mit sich. Ich ließ ihm die Zeit. Ich war mir sicher, wenn er meinte, dass es mich nichts anging, würde er das sagen.
Nach einer Weile entschied er sich, doch zu antworten: »Ich darf dir nicht alle Gründe sagen, warum daraus nichts wird, aber der größte Grund ist einfach: Er ist homosexuell. Er musste sich damit auf der Straße zwangsweise auseinandersetzen und es tolerieren. Als ich ihn kennengelernt habe, hat er es noch vehement abgestritten und behauptet, er würde es nur tun, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Aber irgendwann musste er einsehen, dass er nicht auf Männer verzichten kann. Auch wenn er es immer noch nicht ganz mit sich vereinbaren kann. Er hat zu häufig gesehen, was aus den Männern wird, die sich zwanghaft eine Frau suchen, aber eigentlich auf Männer stehen und dann irgendwie ihre Fantasien befriedigen müssen. Gefühlt die Hälfte der Freier haben zu Hause Frau und Kinder.«
»Oh.« So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Das hieß also, Zombie akzeptierte seine Homosexualität nur, um nicht irgendwann selbst zum Freier zu werden? Das klang hart. Wie konnte man so in einer Vorstellung gefangen sein, dass man sich dafür selbst verleugnete?
Eine Weile liefen wir schweigend weiter. Jetzt nahm ich auch die Umgebung wieder wahr. Durch das Gespräch hatte ich gar nicht darauf geachtet, wohin wir gingen, sondern hatte mich einfach von Peter führen lassen. Mittlerweile befanden wir uns in einem Park. Aufgrund des Weges, den wir vom Restaurant nach Hause zurücklegen mussten, tippte ich auf den Common. Im Dunkeln und mit kahlen Bäumen sah er aber völlig anders aus als im Sommer.
»I hang around and stare at the scene
It’s unbelievable and obscene
So fucking decadent and so clean
It’s like a fucking film to me«
Oomph! – Anniversary