Zwei Wochen später waren wir wieder an Daves Schule. Doch diesmal war es geplant. Er hatte es sich zu seinem Geburtstag gewünscht, dass wir beide da waren und ihn abholten. Ich hatte keine Ahnung, wie er Rose davon hatte überzeugen können, aber es freute mich.
So irrten wir um drei Uhr nachmittags durch die Grundschule und suchten seinen Klassenraum. Natürlich hatte ich nicht daran gedacht, dass er nicht mehr im Vorschulklassenzimmer sein würde. Und das letzte Mal hatten wir ihn ja vor der Schule abgeholt. Ich wusste also nicht, wohin wir mussten.
»Miss Fox.« Ich hatte sie bei einigen anderen Lehrern entdeckt und lief nun auf sie zu. »Entschuldigen sie die Störung. Aber ich suche Dave. Ich wollte ihn abholen, weiß aber nicht, wo er Unterricht hat. Könnten sie mir vielleicht weiterhelfen?«
»Oh, Mr. Valentine.« Sie lächelte mich überrascht an. Und, als sie Peter einige Schritte hinter mir entdeckte, auch ihn. »Natürlich kann ich helfen. Kommt mit, ich hab gerade Freistunde. Ich bring euch hin.«
»Vielen Dank. Wir suchen sicher schon seit einer halben Stunde.«
Wir folgten ihr, bis sie nach einigen Minuten vor einem Klassenzimmer stehenblieb. »Da sind wir schon. Die Stunde ist in fünf Minuten zu Ende. Dein Bruder hat heute Geburtstag, oder? Schön, dass ihr ihn abholt. Hat sich das mit deinen Eltern mittlerweile geklärt?«
»Ja. Ja, alles gut. Es hat sich alles geklärt. Sie brauchten nur etwas Zeit sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich einen Freund habe.« Ich schenkte ihr mein überzeugendstes Lächeln und hoffte, es würde reichen. Denn natürlich war es gelogen, ging sie aber auch nichts an.
Sie lächelte zurück und nickte einmal. »Schön. Freut mich. Ich wünsche euch noch einen schönen Tag.«
»Ihnen auch.«
Kaum war sie außer Hörweite, frage mich Peter schmunzelnd: »Wie machst du das?«
Verwundert sah ich zu ihm. »Was meinst du?«
»Dass sie dir diese dreiste Lüge abkauft?«
»Keine Ahnung. Ich hab angeblich schon als Kind die Leute um den Finger gewickelt.« Selbstsicher grinste ich ihn an.
Er nahm mich in den Arm und küsste mich kurz. »Du bist eben unwiderstehlich.«
Da im selben Moment die Schulglocke ertönte, machte ich mich lachend von ihm los. Die ganzen Kinder mussten uns so nicht sehen.
Natürlich war Dave einer der ersten, die aus dem Raum gestürmt kamen. Er rannte direkt auf mich zu und in meine Arme. »Isii!«
»Hallo Knirps. Na, wie war die Schule?« Ich küsste ihn auf die Stirn und ließ mich dann von ihm an der Hand zur Garderobe führen.
»Wie immer. Warum muss ich eigentlich an meinem Geburtstag zur Schule?« Etwas bockig zog er Jacke, Schal und Mütze an.
»Weil alle an ihrem Geburtstag zur Schule müssen«, antwortete Peter für mich, da ich noch einmal kontrollierte, dass Dave auch gut genug angezogen war. Es schneite schon wieder.
»Aber Isi muss nie an seinem Geburtstag zur Schule! Das ist voll unfair!«
»Du weißt doch, dass das eine Ausnahme ist, weil ich zu meinem Geburtstag immer krank bin«, versuchte ich, dem Kleinen zu erklären. Noch immer wusste ich nicht, wie ich ihm das am besten klarmachen konnte.
Mein Freund sah mich verwundert an, ich bedeutete ihm aber mit einem Kopfschütteln, dass ich ihm die Frage jetzt nicht beantworten würde.
»Dann bin ich nächstes Jahr auch krank!«, erklärte mein kleiner Bruder voller Ernst, während er versuchte, in die Handschuhe zu kommen. So gern er auch zur Schule ging, ein paar freie Tage fand er dennoch super.
Ich seufzte und half ihm dabei. Das gleiche Gespräch hatte ich schon im Jahr zuvor mit ihm geführt, als er morgens der Überzeugung gewesen war, er müsste nicht zur Schule, weil er Geburtstag hatte. Ich konnte es ja nachvollziehen. Mich hätte es auch verwirrt, wenn mein Bruder jedes Jahr zu seinem Geburtstag ein paar Tage frei hätte und ich nicht. Aber immerhin nahm sich Dad auch für Daves Geburtstag einige Tage frei. Dennoch schienen seine Eltern der Meinung, es sei meine Aufgabe, ihm das zu erklären. Aber wie sollte ich ihm denn erklären, dass ich zu Hause blieb, weil ich mir jedes Jahr die Augen ausheulte? Das war nichts, was ich einem Sechsjährigen erklären wollte.
»Bekomm ich dann wenigstens jetzt schon meine Geschenke?« Begierig starrte er auf den Sack, den Peter bei sich trug. Er sah damit aus, als hätte er sich um einen Monat verspätet, aber tatsächlich war Daves Geschenk zu groß und unförmig, um es einzupacken, und wir hatten den Sack in der Wohnung gefunden. Ihn interessierte es nicht, wie er sein Geschenk bekam.
»Nein. Das gibt es erst zu Hause. Je mehr du dich beeilst, desto schneller bekommst du es.« Ob Peter wusste, was er damit anrichtete? Vermutlich nicht.
Sofort nahm mein Bruder ihn bei der Hand und zog ihn in Richtung Ausgang. Ich war jetzt vollkommen uninteressant. Gut, ich hatte ja auch nicht das Geschenk.
Ich folgte den beiden nach draußen und führte sie dann durch das Schneegestöber zu Dads Haus.
»Dad, schau mal! Peter sieht aus wie der Weihnachtsmann!«, rief Dave, sobald er zur Tür herein war.
»Oh, das sind aber dünne Weihnachtsmännchen«, feixte mein Vater, als er uns sah.
»Wir haben unsere Pfunde vom Weihnachtsessen schon wieder abtrainiert«, erklärte ich, während ich mir den Schnee abklopfe und die Mütze vom Kopf zog, damit ich ihn nicht mit hineinbrachte.
Peter gab mir den Sack, um sich ebenfalls von dem nassen Weiß zu befreien.
Sofort stand Dave neben mir. »Darf ich den jetzt aufmachen?«
»Nein, erst nach dem Kaffee«, erklärte mein Vater und nahm ihn mir ab, um ihn zu den anderen Geschenken zu stellen. »Die anderen Gäste sind übrigens schon alle da.«
Erst jetzt warf ich einen Blick in Richtung des Esszimmers und tatsächlich war der Tisch bereits besetzt. Schnell zog ich den Mantel aus und hing ihn an die Garderobe. Dann nahm ich Peter seinen ab.
Dave flitzte schon weiter, um sich den besten Platz zu sichern, dabei war der für ihn reserviert.
Dad winkte mich und Peter noch einmal kurz zur Seite. »Darf ich euch bitten, euch ein wenig ... zurückzuhalten? Grandma Teresa und Grandpa Rob sind auch da. Wir haben ihnen nichts davon erzählt und sie würden es auch nicht verstehen.«
Ich nickte nur missmutig. Ihn darauf hinzuweisen, dass das ziemlich unhöflich Peter und mir gegenüber war, hätte nichts gebracht. Ich wollte an Daves Geburtstag keinen Streit vom Zaun brechen. Außerdem würden meine Großeltern sicher nicht lange bleiben. Sie mochten solche Feierlichkeiten nicht. Danach gab es keinen Grund mehr, uns zu verstecken.
Als wir an den Tisch kamen, blieb ich einen Moment stehen, bevor ich mich setzte. »Hallo Rose. Grandma, Grandpa. Das ist Peter, ein Freund von mir.«
Verwundert sahen sie meinen Freund an, der meiner Großmutter höflich lächelnd die Hand entgegen streckte. Die Hand ignorierend fragte sie: »Was soll ein Freund von dir hier?«
»David wollte ihn dabei haben«, erklärte mein Vater schnell, bevor Dave etwas Falsches sagen konnte.
Ich deutete Peter an, dass er sich setzen sollte. Darauf zu warten, dass meine Großeltern seinen Gruß erwiderten, war hoffnungslos.
»Aber so geht das doch nicht! Es ist Davids Geburtstag. Samuels Freunde können kommen, wenn er Geburtstag hat! Ich finde das nicht gut. Erst dieses Mädchen und dann noch dieser Mann. Und wie du wieder aussiehst, Samuel! Kannst du dich nicht vernünftig anziehen? Diese Haare! Rene, wie kannst dem Jungen das nur durchgehen lassen?«
Ich hatte ganz vergessen, warum Dave ihr Lieblingsenkel war. Er hatte ja nur mich als Konkurrenz. Da war es wohl nicht schwer. Ich konnte es ihnen einfach nicht recht machen. Wollte ich auch gar nicht mehr.
Grandma meckerte noch eine Weile weiter, doch ich hörte ihr gar nicht mehr zu. Denn eine Gestalt auf der Treppe zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Das konnte doch nicht ... Mir klappte fast die Kinnlade herunter, als sie zu uns an den Tisch kam. Was tat sie hier?
Schüchtern sah sie mich an, während sie sich neben mich setzte. »Hi Isaac. Tut mir leid, ich hab ein wenig länger gebraucht.«
»Schon gut, Liebes. Du hattest eine lange Fahrt. Da kann es ein wenig länger brauchen, sich frisch zu machen«, entschuldigte Rose sie.
»Hallo Marie.« Mühsam schloss ich den Mund wieder. Mit einem leisen Räuspern machte Peter auf sich aufmerksam. »Ehm, ja, das ist Peter. Ein Freund von mir.«
»Hallo Peter. Schön mal einen von Isaacs Freunden kennenzulernen.« Sie lächelte ihn offen an und streckte ihm die Hand entgegen.
Er ergriff sie und drückte sie kurz. »Hallo Marie. Freut mich auch, dich kennenzulernen.«
»Können wir jetzt essen? Bevor der Kaffee kalt wird«, fragte mein Großvater ungeduldig.
Wir stimmten zu und aßen ruhig. Wenn meine Großeltern am Tisch waren, durfte währenddessen nicht geredet werden.
Nach dem Essen durfte Dave endlich seine Geschenke auspacken. Von unseren Großeltern erhielt er eine Menge neuer Klamotten, die er wohl nie anziehen würde, da sie für den Alltag viel zu gut waren, von Marie eine magnetische Reisespielebox und von seinen Eltern einen Fahrradhelm und ein Lernspiel für den Computer. Damit hatte ich das Teil wohl endgültig an meinen Bruder verloren.
Als Letztes machte er sich daran den Sack auszuräumen, da er dort zurecht das größte Geschenk vermutete. Zumindest wenn man vom Volumen ausging. Als er die Sporttasche hervorzog, grinste er erst noch freudig, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck immer missmutiger. Dennoch bedankte er sich höflich. »Danke Isaac und Peter.«
»Schau mal rein«, versuchte Peter, es noch zu retten.
Wir hatten als Entschädigung ein paar Süßigkeiten hineingetan. Doch wie ich es vermutet hatte, hob das seine Laune nur bedingt. Aber ich meinte es nur gut mit meinem kleinen Bruder. Irgendwann würde er mir dafür danken.
Da unsere Eltern keine Taschen und Rucksäcke mit Kindermotiven mochten, hatte sich Dave statt einer Sporttasche mit Dinos, wie er sie eigentlich wollte, eine in lila gewünscht. So sehr ich den Kleinen auch mochte, aber diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen. Wie auch immer er darauf gekommen war, aber es war uns nicht möglich gewesen, eine solche Tasche zu finden, die nicht nach Mädchen schrie. Stattdessen hatten wir uns für eine Dunkelblaue entschieden.
Wenigstens Dad schien erleichtert, als er sie sah und nickte mir dankend zu.
Nach dem Auspacken machten sich meine Großeltern auch direkt auf den Weg nach Hause. Sie hatten an allem herumgemeckert, dass ihnen eingefallen war, nun wurde es ihnen langweilig.
»Marie, spielst du das mit mir?« Dave hatte sich ihr Geschenk geschnappt.
»Klar. Spielt noch jemand mit?« Auffordernd sah sie mich an.
»Isaac, kann ich kurz mit dir sprechen?«, forderte mein Vater jedoch gleichzeitig meine Aufmerksamkeit.
Ich ging mit ihm in die Küche, damit wir im Wohnzimmer nicht gleich gehört wurden.
»Danke. Ich hatte wirklich Angst, was passiert, wenn er mit einer lila Tasche in die Schule geht.«
»Wie kommt Dave darauf?« Ich konnte mir da keinen Reim drauf machen. Er stand doch sonst auf Grün oder im Notfall eben Blau.
Dad seufzte, während er sich etwas zu trinken eingoss und dann mir anbot. Ich lehnte ab. »Ich hab mich das auch gefragt, bis Miss Fox mir erzählt hat, was letzte Woche in der Schule vorgefallen ist. Einer der Jungs aus Daves Klasse hat sein Federmäppchen verloren und musste dann das von seiner Schwester nehmen. Ein anderer Junge hat ihn dann geärgert, dass Lila ›voll schwul‹ sei. Sie meinte, dass Dave das Wort hier zu Hause im Bezug auf dich aufgeschnappt haben könnte. Er hat in der Schule dann gesagt, dass er auch schwul sein will. Ich vermute, dass es daher kam.«
Nachdenklich nickte ich. »Habt ihr es ihm erklärt?«
»Ich hab es versucht. Aber ich glaub nicht, dass er es verstanden hat. Gestern Abend hat er erzählt, dass er mal den anderen ›schwulen‹ Jungen aus seiner Klasse heiraten möchte.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Na, das Grundprinzip hat er doch verstanden. Soll ich nochmal mit ihm reden?«
»Ich denke besser nicht. Rose ist deswegen sowieso schon sauer auf dich. Sie meint, das sei alles nur, weil Peter und du auf ihn aufgepasst habt.«
»Das glaubst du doch nicht etwa?!« Schockiert sah ich meinen Vater an.
Doch er schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß, dass das nicht ansteckend ist. Aber er will eben sein wie sein großer Bruder. Du solltest etwas Rücksicht darauf nehmen. Das ist alles, worum ich dich bitte.«
»Ist gut. Ich pass ein wenig auf.« Ich wusste, dass es hieß, hier vor Dave mit Peter nur als Freund zu agieren, so zu tun, als sei ich ganz normal. Aber ich wollte auch nicht, dass mein Bruder wegen mir zum Außenseiter wurde.
»Danke. Peter tut dir wirklich gut. Du bist ziemlich erwachsen geworden.« Dad legte mir einen Arm um die Schulter und ging mit mir ins Wohnzimmer zurück.
Abwechselnd spielten wir mit Dave eines der neuen Spiele, bis es Zeit fürs Abendessen wurde. Es wurden zwei Familienpizzen bestellt und gemeinsam aßen wir am Küchentisch.
Während ich mir ein weiteres Stück Pizza nehmen wollte, griff Marie nach demselben. Dabei berührten sich unsere Hände. Sofort zog ich meine zurück und überließ es ihr. Wenig enthusiastisch nahm sie es sich.
Es war heute schon häufiger vorgekommen, dass sich unsere Hände kurz berührt hatten. Ich glaubte mittlerweile nicht mehr an Zufall. Außerdem versuchte sie, möglichst in meiner Nähe zu bleiben. Ich wusste einfach nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich wusste ja noch nicht mal, warum sie überhaupt da war.
Nach dem Essen setzten wir uns alle gemeinsam vor den Fernseher. Dave durfte heute etwas länger wachbleiben, was ihn unglaublich freute.
Mich stellte das vor ein logistisches Problem: Marie, Peter und Dave wollten alle möglichst in meiner Nähe sitzen und Körperkontakt. Peter musste ich nur einen kurzen Blick zuwerfen, damit er verstand, dass ich das gerade nicht wollte, Marie jedoch musste ich mir recht mühsam fernhalten, da ich nicht wusste, wie Dad und Rose reagieren würden, wenn ich ihr zu nah saß. Dave störte das alles nicht, er hatte sich einfach auf meinen Schoß gesetzt.
»Wollen wir langsam los?«, fragte ich nach dem Film an Peter gewandt. Ich hatte keine Lust mehr auf die angespannte Stimmung.
Peter nickte. »Ich muss nur noch kurz mit deinem Dad reden. Hätten Sie kurz Zeit, Mr. Valentine?«
»Hihi, dann sehen Peter und Isi aus wie Schneemänner!«, kicherte mein kleiner Bruder.
Ich folgte seinem Blick zum Fenster hinaus. »Fuck!«
»Isi hat das schlimme Wort gesagt!«
»Isaac Samuel Valentine! Ich will solche Worte nicht aus deinem Mund hören!«
»Sorry«, murmelte ich ehrlich betreten.
Ich sah kurz zu Peter, der ebenfalls nach draußen blickte. Dann seufzte er. »Wir bleiben wohl heute wieder hier. Wäre das in Ordnung, Mr. Valentine?«
Mein Vater hatte schon den Videotext aufgerufen. »Ja. Die T fährt im Moment nicht. Und ihr habt morgen schneefrei.«
»Juhu!« Begeistert sprang Dave auf und hüpfte auf dem Sofa herum, bis er von seiner Mutter zur Ordnung gerufen wurde. Wenigstens einer konnte sich freuen. Okay, Zwei. Mich traf Maries Blick, die mich leicht schüchtern und mit einem Lächeln musterte.
»Gut. Dave, gehst du dich dann bitte fertig machen? Isaac, kannst du das Gästezimmer vorbereiten? Und du wolltest etwas mit mir besprechen? Oder hat sich das erledigt?«, ordnete mein Vater das Chaos.
»Aber Dad! Ich hab doch morgen frei! Und Geburtstag!«, nörgelte Dave. Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig, als mit seiner Mutter nach oben zu gehen.
»Ja, bitte. Wenn es gerade geht«, bestätigte Peter. Sie gingen gemeinsam in die Küche.
Ich blieb mit Marie allein im Wohnzimmer zurück. Da ich aber ebenfalls eine Aufgabe zu erledigen hatte, wandte ich mich zur Treppe und ging nach oben.
Sie folgte. »Warte, ich helfe dir.«
Während ich das Bettzeug zusammensuchte, grinste ich kurz in mich hinein. Wen sie wohl ins Gästezimmer verfrachten wollten? Es wäre wohl keinem der beiden recht, wenn ich mit Marie in meinem Zimmer schlief. Aber bei Peter hätte Rose ein Problem. Also wäre es wohl das Logischste, wenn Peter und Marie in einem Bett schliefen. Irgendwie paradox.
»Ehm, Isaac.« Ich breitete gerade mit Maries Hilfe das Bettlaken auf dem Bett aus. Fragend sah ich zu ihr auf. »Gehst du mir aus dem Weg?«
Ich seufzte und schüttelte den Kopf, während ich mich auf das Bett fallen ließ. »Nein. Ich bin nur überrascht, dass du hier bist. Allein.«
Sie ließ sich von der anderen Seite fallen, sodass ihr Kopf genau neben meinem lag. »Nach der Sache ... Als wir wieder zu Hause waren, hat Dad mich ... Ich bin dann zum Jugendamt und ausgezogen. Ich wohne jetzt in einem Mädchenwohnheim.«
»Tut mir leid.« Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah ihr ins Gesicht. Scheiße, ich war an diesem ganzen Mist schuld. Ich hätte sie nicht allein stehenlassen dürfen.
Sie lächelte leicht. Mit den Fingerspitzen strich sie mir durch die Haare. »Schon gut. Es ist besser als zu Hause. Aber ich wollte dich wiedersehen. Ich musste ziemlich betteln, aber sie haben mir erlaubt, dass ich herkomme für den Rest der Woche. Ich wusste nicht, dass du nicht mehr hier wohnst.«
»Ich bin nicht mehr nach Hause nach der Sache. Erst war ich eine Weile bei Lance, dann hab ich mir jeden Abend eine andere Schlafmöglichkeit gesucht. Mittlerweile wohne ich bei Peter.« Ich strich ihr ebenfalls eine Strähne aus dem Gesicht.
»Hast du es gut. Dabei bist du ein Lügner!«, warf sie mir entgegen.
Erschrocken richtete mich seitlich auf, um sie besser ansehen zu können. »Was?«
»Du hast gelogen«, flüsterte sie. Dabei sah sie sehr traurig aus.
Ich musste schlucken. Ich konnte mich nicht erinnern, sie angelogen zu haben. »Womit?«
Noch immer flüsterte sie, als sie nach einem Moment antwortete: »Du hast gesagt, wenn ich nicht mehr daran denke, dann geht das Gefühl weg. Es geht nicht weg. Es ist noch immer da.«
»Marie ... ich ... es tut mir leid. Scheiße.« Ich ließ mich wieder nach hinten fallen und strich mir mit den Händen durchs Gesicht. »Ich ... ich wusste nicht, dass es nicht klappt. Marie, hör zu, ich ...«
»Darf ich dich küssen?«, fragte sie unvermittelt. Statt eine Antwort abzuwarten, hatte sie sich bereits aufgerichtet und war direkt über mir, als ich die Hände vom Gesicht nahm.
»Nein!«, kam es von der Tür.