CN: SVV
»Komm mal kurz mit!«, rief Zombie mir zu und zog so meine Aufmerksamkeit auf sich. Er schob sich durch die Menschenmenge auf einen der Stehtische zu.
Ich war noch nie an einem Samstag um diese Zeit im Club gewesen, aber er war eindeutig voller, als es freitags um die gleiche Zeit der Fall war. Diesmal hatte Peter jedoch Zombie und mich raufgeschickt, um Getränkenachschub für den Probenraum zu holen. Da ich nicht sinnlos im Weg stehen wollte, folgte ich Zombie.
Er lief auf einen großen, recht breiten, blonden Kerl in schwarzen Klamotten zu, der mit dem Rücken zu uns stand. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Zombie klopfte ihm freundlich auf die Schulter, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Hey.« Der Riese drehte sich mit einem freundlichen Lächeln um und schlug direkt in die dargebotene Hand ein.
Ich erschrak, als ich sah, dass es sich bei dem Riesen um Toby handelte. Woher kannten Zombie und er sich denn?
»Hallo, Troublemaker. Willst wohl mal wieder ’ne Runde Ärger machen?« Toby hatte Zombie an sich gezogen und sie klopften sich auf die Schultern.
Um zu hören, was sie sagten, musste ich ziemlich nah bei Zombie bleiben, sodass Toby mich jetzt auch bemerkte und mich neugierig musterte. Für ihn war es wohl ebenfalls eine Überraschung mich hier zu treffen. Immerhin hatten wir uns seit dem Gespräch in seinem Büro nicht mehr gesehen. Und ich hatte ihm nie erzählt, in welcher Band ich sang.
»Klar, wie immer, wenn Maniac unten beschäftigt ist. Dann findet er wenigstens keinen Grund, mich einfach so rauswerfen zu lassen. Ich mag den Club zu gern, um ihn mir von ihm verderben zu lassen, muss ihm aber nicht mehr als nötig über den Weg laufen.« Während er redete, sah der Riese zum Drummer, doch kaum war er fertig, musterte er mich wieder.
Ich beließ es erstmal dabei, neben Zombie zu stehen und ihn zu ignorieren. Wie ich sah, war er wieder mit dem Paar von unserer ersten Begegnung unterwegs, von Roger fehlte jede Spur. Dass Toby hier wohl scheinbar so etwas wie ein Stammgast war, erklärte zumindest, warum Zombie ihn kannte.
»Schade, aber dann bekommen Zulu und ich dich auch kaum noch zu Gesicht. Wäre schön, wenn Peter endlich mal diese Kinderei lassen würde.«
Toby zuckte nickend mit den Schultern. Welchen Grund Peter wohl hatte, ihn rauszuschmeißen?
»Aber du kommst trotzdem nächsten Monat zur Party, oder? Ohne unseren Troublemaker wird es nur halb so lustig. Und Peter kann dich da nicht rauswerfen. Ist immerhin mein Geburtstag.«
»Natürlich komm ich. Ich lass mir das doch nicht entgehen.« Toby und Zombie schienen sich wirklich gut zu verstehen, so wie sie sich freundlich und offen unterhielten. Es war interessant, Zombie auch mal so zu sehen und nicht nur dabei, mich zu ärgern. Das machte ihn deutlich sympathischer.
»Apropos sehen. Wenn ich dich schon mal erwische: Was ist denn mit deinem Kumpel passiert? Ich hab ihn ewig nicht mehr in der T gesehen. Ist irgendwas passiert?«, wechselte Zombie das Thema und sah tatsächlich etwas besorgt aus.
Toby schien einen Moment zu überlegen, bevor er antwortete: »Nein, er ist nur umgezogen und fährt jetzt nicht mehr so häufig mit der Red. Wenn du willst, geb ich dir seine Nummer.«
»Nee, lass mal. Du weißt doch, dass ich damit nichts anfangen kann. Sag ihm lieber, er soll sich mal wieder blicken lassen. Ich bin mir sicher, einige der anderen Jungs vermissen ihn auch schon.« Zombie lachte den Größeren an. Wow, er war wirklich völlig anders.
Toby grinste den Drummer breit an und zwinkerte ihm zu. »Du weißt aber schon, dass es nicht der Sinn von schnellem, anonymem Sex ist, sich jedes Mal die schon bekannten, nicht mehr ganz so anonymen Sahneschnittchen rauszusuchen, oder? Da halte ich einen verabredeten Quicky für zielführender.«
»Seit wann interessiert ihr euch für Regeln?« Zombie zwinkerte zurück und ich war etwas verwirrt.
Redeten sie gerade ernsthaft darüber, dass Zombie Sex mit Männern hatte? Ich konnte mir das nicht wirklich vorstellen. Wenn ich jedoch genauer darüber nachdachte, hatte er nie gesagt, dass er nicht auf Männer stand. Er hatte immer nur betont, dass er nicht auf mich stand. Wer wohl sonst seinem Typ entsprach? Toby vielleicht?
»Hin und wieder tun wir das.« Toby schlug dem Kleineren mit der Hand auf die Schulter und lachte. Dabei lächelte er mir kurz zu. »Aber ich sag ihm, dass du nach ihm gefragt hast. Er freut sich sicher und lässt sich nur für dich mal wieder blicken, wenn er es einrichten kann.«
»Ich freu mich drauf.« Zombie schien es wirklich ernst zu meinen, denn seine Zunge fuhr kurz über seine Lippe.
Interessant, dass er scheinbar genau das tat, vor dem er mich immer warnte. Vielleicht sollte ich ihm beim nächsten Mal sagen, dass er sich an seine eigene Nase packen sollte.
Dann fiel Zombies Blick auf mich, der immer noch interessiert zwischen ihm und Toby hin und her sah. Er stieß mich leicht mit der flachen Hand gegen die Stirn, dann drohte er mir mit dem Zeigefinger. »Vergiss es, Zwerg! Das gibt nur Ärger mit Peter, da kannst du Gift drauf nehmen!«
Verwirrt sah ich den Drummer an, während Toby mir leicht eine Hand auf die Schulter legte. »Keine Sorge, ich fass den Kleinen nicht an.«
Zombie schien davon wenig überzeugt, denn er zog eine Augenbraue zweifelnd nach oben.
Ich wand mich unter Tobys Hand hervor und sah ihn böse an. »Wie wär’s, wenn du es mir noch ein paar Mal unter die Nase reibst? Einmal Nachtreten reicht dir wohl nicht!«
Zombies zweite Augenbraue folgte der ersten. Er hatte nicht mit einem Wutausbruch meinerseits gerechnet. Toby wohl auch nicht, denn er sah schon fast verletzt aus.
War ich doch zu weit gegangen, ihn so anzufahren? Nein, sicher nicht. Er hatte sich schon am Telefon deutlich genug ausgedrückt und in seinem Büro war er noch deutlicher geworden. Er hätte einfach die Klappe halten sollen und so tun, als würde er mich nicht kennen, statt noch einmal demonstrativ nachzutreten.
Aber er schien es auch nicht für nötig zu halten, sich zu entschuldigen. Also konnte ich mit dem Ausbruch ja nicht so falsch liegen.
Stattdessen ergriff nach kurzem allgemeinen Schweigen Zombie das Wort: »Komm, wir sollten wieder nach unten gehen, bevor Peter einen Suchtrupp losschickt.«
Ich nickte, drehte mich um und ging zurück zum Probenraum. Zombie folgte nach einem kurzen Moment, er hatte wohl noch ein paar Worte mit Toby gewechselt.
Bevor ich den Probenraum betreten konnte, hielt mich Zombie mit einer Hand an der Schulter auf. »Warte kurz. Bevor du reingehst: Peter muss nichts davon erfahren, dass Toby hier ist. Das gibt nur wieder unnötig Stress und endet darin, dass er wieder wegen irgendeinem Blödsinn Hausverbot bekommt und Peter den Rest des Wochenendes schlecht gelaunt ist.«
Ich zuckte mit den Schultern und nickte. Mir war das ziemlich egal. Sollte er doch Hausverbot bekommen. Andererseits hatte ich aber auch keinen Grund, Peter zu sagen, dass er oben war.
Zombie musterte mich kurz, bevor er weitersprach: »Und er sollte auch nicht erfahren, dass ihr gefickt habt.«
»Ach, hat er dir das grad noch schön erzählt? Bei der Vorstellung, wie er mich abserviert hat, muss dir ja richtig einer abgegangen sein!«, giftete ich den Kerl vor mir an.
»Toby hat gar nichts erzählt, wir haben uns nur verabschiedet. Aber deine Reaktion war ziemlich eindeutig. Wenn du so speist, muss etwas vorgefallen sein.« Während ich mit um den Kasten geballten Fäusten vor ihm stand, war Zombie die Ruhe selbst. »Aber gut, wenn das vorbei ist.«
»Ach ja, damit du ihn für dich allein hast, oder wie?« Ich kämpfte gegen die Tränen. Natürlich wusste ich, dass ich Unsinn erzählte. Aber ich war zu wütend, um darüber nachzudenken.
»Nein, ich hab kein Interesse an Toby«, gestand der Drummer und schnaubte amüsiert. Wenn er mich jetzt auslachte, dämpfte das meine Wut nicht wirklich. »Nur an seinem Kumpel und das bringt mir schon genug Ärger mit Peter. Er kann die beiden nicht leiden. Wenn er dich jemals mit Toby erwischen sollte, könntest du im schlimmsten Fall deinen Job los sein. Aber in jedem Fall wirst du mächtig Stress mit ihm haben.«
»Pfft. Einen Job für den ich nicht mal bezahlt werde.« Warum machte mich das eigentlich gerade so wütend? Toby hatte doch nur versichern wollen, dass er im Moment kein Interesse hatte und er deshalb keine Gefahr für mich war. Dennoch bekam ich die Wut noch nicht unter Kontrolle und spuckte Gift in alle Richtungen.
»Peter arbeitet daran. Er muss erstmal noch einiges mit Phantom klären, hat ihn aber jetzt erst erreicht. Du bekommst schon noch was.« Beruhigend legte er mir die Hand auf die Schulter. So langsam kam ich wieder runter und konnte klarer denken. »Bist du deswegen zur Zeit so scheiße drauf und flippst schnell aus? Weil du kein Geld hast? Peter hat gesagt, dass du bei ihm auch anders bist. Wir können dir auch was leihen, du musst es nur sagen.«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte kein Almosen von ihm. Und auch von Peter wollte ich kein Geld. Gerade von ihm hätte es sich falsch angefühlt. Ich konnte doch nicht von einem Mann, mit dem ich schlief, Geld annehmen. Wäre das nicht Prostitution?
Aber war das, was ich in den letzten Wochen tat, wesentlich besser? Ich kämpfte den Gedanken zurück, der mir in den letzten zwei Wochen immer wieder gekommen war.
Zombie musterte mich noch einmal eingehend. »Gut, wie du meinst. Aber du musst mit uns reden, wenn du ein Problem hast, sonst können wir dir nicht helfen. Wir machen uns alle Sorgen um dich und selbst Lance hat mich schon gefragt, ob ich wüsste, was mit dir los ist.«
Ich wollte nicht hören, dass sie sich Sorgen machten. Lieber sollten sie mich in Ruhe lassen. Ich würde schon allein klarkommen! »Jaja, schon gut. Ich sag, wenn ich ein Problem hab. Können wir jetzt wieder rein?«
Zombie seufzte, nickte dann aber und drückte mir ein Taschentuch in die Hand, dass er aus seiner Hosentasche fischte. »Sobald du dir die Tränen weggewischt hast. Ich möchte Peter nicht erklären müssen, was seinen Glückskäfer zum Weinen gebracht hat.«
Ich hatte dazu ebenso wenig Lust, wischte mir die zwei, drei Zornestränen weg, die sich aus meinen Augenwinkeln gelöst hatten, und betrat dann mit Zombie gemeinsam den Probenraum.
Das Publikum half mir dabei, mich von meinen Gedanken abzulenken.
Doch kaum waren wir fertig, kamen die Gedanken zurück. Ich wollte nicht im schlimmsten Fall noch einmal Toby begegnen und hätte auch nicht die Zärtlichkeiten ausgehalten, wenn ich mit Peter zusammen ins Bett gegangen wäre. Ich seilte mich also direkt ab und ging nach oben in die Wohnung.
Zu aller erst ging ich duschen und mich rasieren. Ich fühlte mich in meiner Haut nicht mehr wohl, wollte alles loswerden, was mit diesen fremden Menschen in Berührung gekommen war. Ich schrubbte meine Haut, bis sie krebsrot war. Mehrmals seifte ich mich ein und wusch mich wieder ab. Mit meinen Haaren tat ich es genauso.
Irgendwann, meine Haut war schon ganz schrumpelig, fühlte ich mich wieder halbwegs sauber und hatte nicht mehr das Gefühl, nach vielen verschiedenen Menschen zu riechen. Stattdessen roch ich nun nach Peters Duschgel. Das war mir deutlich lieber. Immerhin fühlte ich mich bei ihm geborgen.
Ich verließ die Dusche und trocknete meine Haare. Dann holte ich das Buch, das ich den einen Morgen gelesen hatte, und zog ein altes, weites Shirt von Peter an. Ich wollte so viel wie möglich von ihm an mir haben, wenn ich mich ihm im Moment schon nicht nähern konnte.
Ich legte mich ins Bett und versuchte, etwas zu lesen.
Eine Weile ging das gut, dann schweiften meine Gedanken ab, landeten bei den letzten Wochen. Verzweifelt versuchte ich, sie zu verdrängen. Da es mir nicht gelang, löschte ich das Licht und legte mich hin. Bis in den Schlaf verfolgten mich die Gedanken zum Glück noch nicht.
Irgendwann spürte ich, wie sich Peter neben mich legte und sich an mich kuschelte. Eine Weile blieb ich liegen, versuchte, die Nähe zu genießen. Doch wieder hatte ich das Gefühl, ihn mit meiner Anwesenheit zu beschmutzen.
Als er ruhig atmete, drehte ich mich von ihm weg. Aber auch das war mir zu viel. Ich konnte das diesem Mann nicht antun. Also stand ich auf und ging nach unten ins Wohnzimmer. Mit der Tagesdecke deckte ich mich zu und versuchte, wieder einzuschlafen.
Diesmal war der Schlaf jedoch nicht so gnädig, mich von meinen Gedanken zu befreien. Sie kreisten darum, ob ich nicht wieder nach Hause sollte. Doch ich konnte nicht. Zu sehr quälte mich das schlechte Gewissen. Ich würde erklären müssen, wo ich die letzten Wochen war. Würde erzählen müssen, dass ich mit Leuten Sex hatte, nur damit ich bei ihnen schlafen konnte. Ich konnte schon jetzt den Ekel von Dad und Rose förmlich spüren. Ich würde Dave nie wieder auch nur anfassen dürfen. Und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Immerhin ekelte ich mich so sehr vor mir selbst, dass ich nicht einmal mit Peter in einem Bett schlafen konnte.
Langsam rollten die ersten Tränen über mein Gesicht.
Ich konnte ja sogar verstehen, dass Toby mich nicht mehr anfassen wollte. Ich selbst würde es auch nicht wollen. Sogar Zombie, der wohl ebenfalls auf unverbindlichen Sex stand, war ich zu widerlich.
Ich hielt es nicht mehr aus, zu sehr erinnerte mich der Geruch des Shirts an Peter. Ich zog es aus und warf es auf den Boden. Er würde mich auch nie wieder in seine Wohnung lassen wollen, wenn er davon erfuhr. Da war ich mir sicher.
Selbst Lance würde sich von mir abwenden. Ich wusste, was er davon hielt, dass ich keine feste Beziehung eingehen wollte, aber das konnte er noch akzeptierten. Wenn er erfuhr, was ich die letzten Wochen getan hatte, brauchte ich von ihm kein Verständnis mehr erwarten.
Und dann war da noch Marie. Ich hatte sie einfach stehenlassen. Hatte nur an mich gedacht, daran, dass ich wegmusste, raus aus dem Haus. An sie hatte ich keinen Gedanken verschwendet. Dabei war sie diejenige, die nun von ihren Eltern verachtet wurde wegen dem, was wir getan hatten. Wegen dem, was ich mit ihr getan hatte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was sie mit ihr getan hatten.
Nein, ich konnte nicht mehr nach Hause. Jeder würde erfahren, wie widerlich und pervers ich war.
Fest krallte ich meine Fingernägel in die Oberarme, rollte mich möglichst klein zusammen und weinte.
Irgendwann musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn ich erwachte mit einem Kopfkissen unter meinem Kopf und einer Decke aus dem Schlafzimmer über mich ausgebreitet. Das Shirt, das ich in der Nacht auf den Boden geworfen hatte, hielt ich fest umklammert. Peter musste wohl bemerkt haben, dass ich nicht mehr neben ihm lag, und war nach mir schauen gegangen.
Wieder flossen die Tränen. Ich hatte es nicht verdient, dass jemand sich so um mich kümmerte.
Zügig stand ich auf und ging ins Bad, wo ich mir die Tränen vom Gesicht wusch. Da ich sowieso nichts herunterbekam, ließ ich das Essen ausfallen. Außerdem wollte ich gar nicht erst das Risiko eingehen, Peter zu begegnen, denn ich hätte wirklich nicht gewusst, wie ich auf ihn reagieren sollte.
Ich zog mich an, legte einen Zettel mit dem Wort »Danke« auf die Couch, bevor ich das Haus verließ. Ich wollte nicht zu ihm ins Schlafzimmer, dort wäre ich mir wie ein Eindringling vorgekommen.