Aurelia die Kristallfrau
Rückkehr der Verbannten
Das Licht bündelte sich im Zentrum des Kristalls und wurde dann zu einem weissen Lichterball. Die Jugendlichen wichen etwas zurück. Der mächtige Edelstein bekam ein ganz seltsames Aussehen. Er wurde durch das Feuer, das in ihm loderte, so hell erleuchtet, dass er für einen Moment lang jegliche Farbe verlor. Es sah beinahe so aus, als würden seine Konturen dabei zerfliessen. Der Lichterball löste sich kurz darauf von dem Kristall los und schwebte auf die fassungslosen Kinder zu. Einen Moment lang, flog er vor ihren Gesichtern hin und her, dann sank er auf den Boden hinab. Als er diesen berührte, stellen die Geschwister mit Erstaunen fest, dass er sich zu einer Silhouette formte!
Kurz darauf stand vor ihnen einen wunderschöne Frau mit weissem Gewand, welches mit bläulichen, phosphoreszierenden Sternen verziert war!
Ihr Haar war glänzendweiss, mit einem leicht hellblauen Schimmer darin. Sie wirkte sehr jung, ihre blauschimmernde Haut war straff und ihre sanften Augen leuchten hellblau, wie der geheimnisvolle Kristall selbst. Ein Strahlen lag um ihren schlanken Körper, eine Aura voller Reinheit und Liebe. Sie lächelte die Kinder freundlich an und sprach: «Seid herzlich willkommen Grosse Führer! Es ist mir eine Freude euch zu treffen! Ich bin die Seele des Blauen Kristalls. Man nennt mich Aurelia- die Kristallfrau.»
Pia und Benjamin musterten die magische Erscheinung mit grossen Augen. «Du kennst uns?» fragte der Junge.
«Ja, natürlich! Ihr wart doch schon mal hier. Ausserdem habt ihr das Medaillon mitgebracht. Ihr seid hergekommen, um meine Hilfe zu erbitten, habe ich recht?»
Die Geschwister nickten verlegen. Dann meinte Pia. «Wir haben das Medaillon wieder zusammengesetzt, um die Verbannten, welche einst Maleks Fluch zu Opfer fielen, zurück in ihre Heimat zu bringen.
Die Geister des Lichtes haben uns gesagt, dass sich dazu das Medaillon wieder mit dem Kristall vereinen muss und du uns dann helfen wirst, die Pforten zu öffnen.»
«Das stimmt allerdings. Einstmals wurde das Medaillon aus dem blauen Kristall gefertigt. Die hohen Geister der Himmels zerteilten es darauf in vier Hälften, denn wie ihr wisst, können durch das Medaillon alle Naturgesetze für eine Weile umgangen werden. Raum und Zeit werden dadurch aufgehoben. Eine gewaltige Macht, die viele Geschöpfe für ihre niedrigen Zwecke missbrauchen könnten. Ihr jedoch seid reinen Herzens. Ihr wollt nur den Verbannten helfen und darum hat sich das Medaillon euch anvertraut. Ich werde euch deshalb auch gerne helfen. Ihr müsst mir nur sagen, wohin ihr wollt oder wohin ihr die Verbannten bringen möchtet und ich kann euch die Türen dorthin öffnen. Dies ist eine uralte Bestimmung, die mir einst von den Mächten des Himmels zugewiesen wurde. Auch für jene Zeit, wenn die Grenzen zwischen den verschiedenen Welten einst ganz aufgehoben sein werden. Eure Bestimmung wiederum ist es, alle Geschöpfe in dieses neue Zeit zu führen, doch das wisst ihr ja alles schon. Eure Seelen liegen vor mir, wie ein offenes Buch und ich habe vollstes Vertrauen zu euch.»
«Herzlichen Dank!» erwiderten die Jugendlichen tief bewegt.
Die Kristallfrau lächelte erneut liebevoll und blickte die Kinder aus ihren blauen, klaren Augen an. «Dann erteilt mir nun also euren ersten Auftrag!» sprach sie und breitete ihre Arme einladend aus. Die weiten Ärmel ihres weissen Gewandes raschelten dabei leise.
Die Geschwister zögerten noch einen Moment. Sie waren so überwältigt, von dem was sie hier erlebten, dass ihnen kurz die Worte fehlten.
Nun war es also soweit! Sie hatten ihren Auftrag schon bald erfüllt. Es war wie ein wunderbarer Traum, aus dem sie manchmal fürchteten, wieder zu erwachen. Doch es war kein Traum. All das hier… es war Wirklichkeit, es war Realität und diese Realität, machte sie im Augenblick ganz und gar sprachlos!
Pia ergriff als Erste wieder das Wort: «Ich glaube, wir holen zuerst mal Ismala ab. Dazu müssten wir ins Silbermeerreich.»
«Wie ihr wünscht!» sprach Aurelia. Sie ging zu der nächstgelegenen Felswand und fuhr leicht mit ihrem Arm darüber. In diesem Moment öffnete sich in dem Gestein eine runde Pforte. «Bitteschön!» sprach die Kristallfrau «das Silbermeerreich, wie ihr verlangt habt.»
Die beiden Jugendlichen traten ungläubig an das Portal heran und tatsächlich breiteten sich dahinter die hellblauen Strände und die silbern glitzernden Wogen, des besagten Meeresreiches aus.
«Das ist einfach unglaublich!» riefen die beiden und traten langsam durch die Pforte. Diese befand sich anscheinend in einer steilen Felswand. «Wir sind tatsächlich im Silbermeerreich!» jubelte Pia, zog ihre Schuhe aus und lief hinaus auf den, noch vom Schatten der Klippen, gekühlten Strand. Sie bückte sich und liess etwas von dem glitzernden, hellblauen Sand durch ihre Finger rieseln. Es lagen hier ausserdem wunderschöne Muscheln herum und das Mädchen sammelte ein paar davon beim Vorbeigehen ein.
«Ich kenne mich hier aus. Das ist ein Teil der Bucht, wo Ismala einen Unterschlupf gefunden hat!» rief Ben. «Schau mal dort hinten, da steht doch eine kleine Hütte aus Reisig und Palmblättern. Dort muss Ismala sein! Komm!» In Windeseile liefen sie zu der Hütte und riefen dabei laut den Namen der Königin.
Kurz darauf trat Ismala tatsächlich aus der Tür der Hütte. Als sie die Geschwister sah, begannen ihre Augen zu leuchten und sie lief voller Freude auf die beiden zu. «Pia, Benjamin!» rief sie «ihr seid zurück! Oh, wie sehr ich mich freue! Seid ihr auf eurer Suche nach dem Rest des Medaillons erfolgreich gewesen?»
«Ja! Wir sind diesmal durch eine Pforte hergekommen, die Aurelia, der Geist des geheimnisvollen blauen Kristalls, für uns geöffnet hat. Du kannst jetzt mit uns zurückkommen!»
«Ich kann zurück in meine Heimat?»
«Ja!»
«Oh wie wundervoll! Ich kann es kaum fassen!» stürmisch umarmte Ismala die Kinder und vergass dabei ganz, sich ihre königliche Reserviertheit zu bewahren.
Die Kinder lachten und sprachen: «Dann lasst uns also aufbrechen und auf dem Weg erzählst du uns ganz genau, wie es dir hier im Silbermeerreich ergangen ist!»
Ismala nickte eifrig. Sie kehrte kurz in ihre aus Reisig bestehende Übergangs- Behausung zurück und packte alles an Habseligkeiten zusammen, das sich im Laufe ihrer Zeit hier, angesammelt hatte. Dann folgte sie munter plaudernd den Geschwistern. Diese erfuhren, dass es Ismala hier sehr gut ergangen war. Sie hatte stets genug zu Essen und zu trinken gehabt, die Geister des Wassers hatten sich rührend um sie gekümmert und sie jede Nacht mit ihren wundervollen Liedern in den Schlaf gesungen.
All das klang sehr schön und so zögerte die Königin auch nochmals, bevor sie den Kindern durch das Portal folgte.
«Vermutlich werde ich diesen Ort hier nie mehr wieder sehen,» sprach sie nachdenklich. «Irgendwie doch ein komisches Gefühl.»
Sie hielt sich die Hände seitlich an den Mund, damit ihres Stimme weiter klang und rief: «Ihr lieben Wassergeister! Ich danke euch für alles, was ihr für mich getan habt! Ich werde euch niemals vergessen, doch nun kehre ich endlich in meine alte Heimat zurück! Möget ihr alle für eure Güte gesegnet sein!» Ein wundervoller Gesang, den sie die letzte Zeit schon so oft gehört hatte, war die Antwort und Tränen stiegen ihr dabei in die Augen. Die Königin wischtes sie jedoch sogleich ab und lächelte den Kindern zu. «Dann also los! Gehen wir nach Hause!»